A
Armbanduhr Ich sag’s gleich: Ich mach das hier nicht freiwillig. Warum? Weil ich über meine Apple Watch schreiben soll. Über meinen kleinen, glänzenden IM am Handgelenk, der mich beim Laufen überwacht, mir ➝ Musik vorspielt und aufpasst, dass mein Herz nicht stehenbleibt. Kollege Jäger würde fragen: Gibt es etwas Verzichtbareres? Womit er recht hätte.
Unabdingbar ist meine Uhr nur als Statement, dass ein Mann versucht, seine Midlifecrisis durch Konsum zu lösen. (Und sein karges Redakteursgehalt für den Sportwagen nicht reicht). Was soll ich sagen, außer: Ohne Apple Watch wäre ich 2019 nicht 1.400 Kilometer gelaufen. Sondern hätte weitergeraucht, unüberwacht. Nur wenn ich schlafe, allein oder mit anderen, zieh ich sie aus. Obwohl? Wenn ich Sex als „Training“ definiere, zählt sie mit, wie viele Kalorien ich verbrenne. Und wie mein Herz schlägt. Dystopisch? Unverzichtbar. Pepe Egger
B
Brille In der Literatur haben Brillen einen festen Platz. Coppolas Brillensammlung etwa in E. T. A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann, die Nathaniel in Wahnvorstellungen treibt. Edgar Alan Poe widmet der Brille eine gleichnamige Erzählung. Bei Wilhelm Busch entdeckt ein Aktuar durch seine Brille das Haar in der Suppe. Was die einen unheimlich wie Nathaniel oder entstellend wie Simpson bei Poe empfinden, macht andere interessant. Der Schriftsteller Arnolt Bronnen etwa trug, obwohl er keine Augenschwäche hatte, ein Monokel. Bei Frauen, fand Stefana Sabin in ihrer kleinen Kulturgeschichte der Brille heraus, hat es länger gedauert, bis sie sich als Modeaccessoire durchsetzte. Ich meinerseits bin mit der Brille quasi geboren, seit eine Kinderkrankheit eine Sehschwäche hinterlassen hat. Das verklebte Glas sollte am Schielen hindern, vielleicht habe ich die Welt deshalb schon früh aus dem linken Winkel gesehen. Wache ich heute auf, taste ich als Erstes nach ihr, und wehe, sie liegt nicht auf ihrem Platz! Schlechtes Omen. Ulrike Baureithel
C
Creme Bei Wikipedia und anderen digitalen Sammelbecken gibt es lange Listen von Phobien. Davon gibt es verblüffend viele, wie die eigentlich allgemeingültige Lyssophobie (Angst vor Tollwut) oder die zeitgeistige Nomophobie (Angst, ohne Mobilkontakt zu sein) oder die Tetraphobie (Angst vor der Zahl Vier). Ich fühle mich da nicht gesehen, ich ekele mich vor rauen Dingen. Zutiefst. In meiner Wohnung findet sich kein Blumentopf aus Ton. Selbst bei verdorbenem Magen Zwieback knabbern ist schwierig.
Am allerschlimmsten sind raue Hände. Und das ist wirklich nicht einfach im Alltag. Überall muss ich Handcreme deponieren oder mitnehmen (➝ Rucksack). Das sollte doch für einen Platz in der Phobienliste reichen? Und somit benenne ich hiermit die „Asperophobie“, die Angst vor rau. Schlicht und schön. Dank meines unerschöpflichen Tubenvorrats creme ich sehr fleißig. Meine beste Freundin behauptet, zu fleißig. Ich hätte Amphibienhände, immer leicht feucht und glitschig.Na und? Nur vor wichtigem Handgeschüttel versuche ich ein wenig aufs Cremen zu verzichten, denn so ein schöner Cremefilm kann mit Angstschweiß verwechselt werden. Das will niemand. Ich muss wieder cremen, das Tippen hat die Hände ausgetrocknet. Diana Gevers
F
Fliegen Da ich nun mal auf der Welt bin, möchte ich sie kennenlernen. Auch London. Die Menschen zum Beispiel, die nach Büroschluss vor den Pubs stehen. Oder die antiken Vasen im British Museum. Dieses Jahr dachte ich, das geht doch mit der Eisenbahn. Der Hinweg ist problemlos, weil die Einreisekontrolle in Brüssel stattfindet, da hast du Zeit genug zum Umsteigen. Auf dem Rückweg findet sie aber in London statt und du hast in Brüssel nur ein paar Minuten. Musst einen riesigen Bahnsteig entlanghasten, dann ein Stockwerk tiefer. Den Lift kannst du vergessen, denn du bist nicht der Einzige. Und wo ist nun die Treppe? Wenn du unten bist, musst du noch durch viele Räume und stößt nur zufällig mal auf einen Wegweiser. Also, das mache ich nicht noch mal. Aber auf London verzichten? Kommt nicht in Frage, nach dem Brexit schon gar nicht. Michael Jäger
G
Gaming Endlich hat Berlin wieder Erfolg im Fußball. 15 Jahre habe ich gebraucht. Fußballmanagerspiel, online. Die Konkurrenz schläft nicht. Ich auch nicht. Wir kaufen Spieler ein, ziehen Nachwuchs, schrubben an der Taktik. Immer ist was! Mein Stromverbrauch in den 15 Jahren dürfte dem von Belize entsprechen. Egal. Letzte Woche: Deutscher Pokalsieger! Meine Jungs, Herthinho BSC! Wir sind der Stolz Berlins. Wenn auch im Geheimen. Der Triumph war jede Kilowattstunde wert – mein Sofa muss als Sportstadt erhalten bleiben. Klaus Ungerer
K
Kakao Wenige Dinge vereinen Genuss und Leid so untrennbar wie Schokolade. Sie ist einerseits Symbol für faule Sonntage und die Rebellion gegen das Schlankheitsdiktat. Und sie steht andererseits für die ausbeuterische und klimaschädliche Wirtschaftsordnung, in der wir leben. Jeder genussvolle Biss hat einen üblen Nachgeschmack von „white privilege“. Leider schreitet die Klimaerwärmung schneller voran als der Umsturz des Kapitalismus. Und Protektionismus ist gerade trendiger als internationale Solidarität. Es bleibt also diese leise Hoffnung: Machen wir weiter wie bisher, steigt die Temperatur in Mitteleuropa um fünf Grad bis im Jahr 2100 – könnte es bis dahin nicht möglich sein, Kakao in Süddeutschland anzubauen? Anina Ritscher
L
Lippenstift Sie soll gesagt haben, „Wenn du traurig bist, trage Lippenstift auf und greife an“: Coco Chanel. Wenn Sie mich fragen, der Lippenstift (➝ Creme) ist in jeder Verfassung unverzichtbar. Die berühmte Designerin entwarf auch sonst Denkwürdiges, das unter heutigen Umweltaspekten einen nachhaltigen Reiz entfaltet. Zum Beispiel: „Eleganz ist Verweigerung.“ Formidable! Sie erfand das „kleine Schwarze“, das Must-have für jede Frau. Sie war gegen Mode, die vergänglich ist. „Ich kann nicht akzeptieren, dass man Kleider wegwirft, nur weil Frühling ist.“ Klare Ansage gegen Primark, Zara, Esprit. Das hier klingt mondän und antikapitalistisch: „Weil Geld etwas Sündiges ist, muss es verschleudert werden.“
Hübsch auch: „Wer sich in der eigenen Gesellschaft nicht wohlfühlt, hat gewöhnlich ganz recht.“ Wie Mottenkugeln hingen nach dem Zweiten Weltkrieg Gerüchte über ihre Kontakte in höchste Nazi-Kreise in der Luft. Und ausgerechnet Coco Chanel soll als alte Frau sehr verbittert gewesen sein. Katharina Schmitz
M
Musik Es fing mit meinem Vater an, ich konnte ihn mir lange nicht ohne Gitarre vorstellen. Wenn wir aufräumen sollten, sagte er: Ich kann euch dabei vorspielen. Es waren Degenhardt-Lieder oder As Tears Go By von den Stones. In der dritten Klasse schickten mich meine Eltern zum Gitarrenunterricht, und ich fing selbst an zu zupfen. Anfang der Neunziger saß ich mit Freunden auf meinem Balkon in Ostberlin, spielte Der Traum ist aus von Rio Reiser. Die anderen brüllten es in die Nacht, auch wenn keiner wusste, welchen Traum wir damals meinten.
Gegenüber leuchtete plötzlich eine Kerze. Die Polizei klingelte, Nachbarn hatten sie alarmiert. „Dit nächste Mal nehmen wir die Instrumente mit“, sagten sie. Als Studentin war ich später in Paris, ging oft in den Parc Monceau, manchmal mit Gitarre. Einmal standen plötzlich „Flics“ vor mir. Es war verboten, in Parks zu spielen. Hund ja, Gitarre „non“. Doch die Uniformierten blieben, hörten zu, sangen leise mit. Sie kannten alle Chansons. Es gibt bis heute solche Begegnungen. Meine Gitarre erzählt mein Leben. Maxi Leinkauf
R
Rucksack Zehn Tage. So lang kann ich aus einem Rucksack mit circa 30 Litern Fassungsvolumen leben. Klamotten, Laptop, Diktiergerät, Powerbank, Desinfektionsmittel, Kaugummis, Ladegerät, Kopfhörer, maximal ein dickes Buch, eine Wasserflasche an der Seite und ein bisschen quetschen – das geht schon. Damit sind Hemden zwar nur noch ein Schatten ihrer selbst, aber man braucht kein Gepäck am Flughafen aufgeben (➝ Fliegen), kriegt das kompakte Textil unter jeden Bahnsitz und in jeden Kofferraum einer Mitfahrgelegenheit. So habe ich mir Journalismus immer vorgestellt: maximal pragmatisch, immer einsatzbereit, beweglich.
Ganz abgesehen von diesem neoliberalen Phantasma meinerseits sind robuste Funktionsrucksäcke aus Hightech-Textilien alles andere als klimaneutral. Das Modell, das Greta Thunberg kürzlich bei ihrer öffentlichkeitswirksamen Bahnreise dabeihatte, besaß ich auch einmal. Sie hat ihn sicher aus dem Second-Hand-Laden. Ich habe meinen in Brooklyn verloren. Ein neuer musste her. Auch wenn mir vorgeworfen wurde, ich sei zu alt dafür. „Schuljungenhaft“ – so gescholten wird mein treuer Begleiter, dass ich froh bin, dass seine Gurte keine Ohren sind. Aber ich bleibe dabei: Aktentaschen sind bourgeois, Umhängetaschen was für Chefredakteure und Koffer jedweder Art das Gegenteil von würdevollem Reisen. Außerdem kann man auf keinem anderen Gepäckstück so gut schlafen, auch wenn man nur einen Boden hat. Das weiß Greta sicher auch. Konstantin Nowotny
S
Schlafsack Irgendwann gerät die Helikoptermutter in die Versuchung zu denken: „Ich will nur noch Vernünftiges schenken.“ Sie sagt das dem Kind nicht, denn es klingt schon sehr freudlos, aber sie ahnt einfach, dass nach den unverzichtbaren Dingen wie der Lego-Eisenbahn und allen Drei Fragezeichen-Folgen etwas kommen sollte, das die Kindheit überdauert, jedoch heute schon seinen Zweck erfüllt. Ein Schlafsack (➝ Rucksack)! Weil: Einen Schlafsack hat man einfach, besorgt ihn nicht erst kurz vorm ersten Zeltlager.
Vorsicht jedoch vor zu viel Übereifer auf der Suche nach dem besten Modell, das jede Arktis-Tour übersteht, noch mehr bei Klimaturbulenzen. Vor einiger Zeit hatten wir einen Übernachtungsbesuch, im Gepäck hatte der Freund einen Super-Schlafsack. Am nächsten Morgen schwitzten wir stundenlang beim Versuch, den Super-Schlafsack wieder in seinen Super-Tragesack zu stopfen. Im August. Das Kind nahm den Schlafsack dann so unter den Arm, es waren auch nur zwei Minuten fußläufig bis nach Hause. Katharina Schmitz
Z
Zeitung Druckerschwärze, all die toten Bäume für das Papier, oder der Energieaufwand (➝ Gaming) für dessen Recycling. Der CO₂-Ausstoß, für die Auslieferung per Lkw oder gar Flugzeug! Aus ökologischer Sicht gibt es Gründe, sich ohne Wehmut von der gedruckten Zeitung zu verabschieden. Aber verbrauchen nicht auch die digitalen Endgeräte, auf denen immer mehr Artikel lesen, Energie? Um nichts will ich auf die gedruckte Zeitung verzichten, über die unser Chefredakteur Michael Angele das wundervolle Buch Der letzte Zeitungsleser geschrieben hat. Der darin unspektakulärste, zugleich wahrste Satz: „Es fühlt sich einfach gut an, eine Zeitung in der Hand zu halten, und wie schön das Papier raschelt.“ Sebastian Puschner
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