Reihenweise Taschenbücher Ein Bild: Ulrike Meinhof Anfang der sechziger Jahre. Nichts erinnert an die Gewalt, der sie ein paar Jahre später das Wort reden wird. Die vollen, um ...
Ein Bild: Ulrike Meinhof Anfang der sechziger Jahre. Nichts erinnert an die Gewalt, der sie ein paar Jahre später das Wort reden wird. Die vollen, um das runde Gesicht gelegten Haare, geben ihr etwas mütterlich-sanftes. Fast ein Heiligenbild, wäre da nicht das Hemd mit den aufgenähten Brusttaschen, das ans Militär erinnert. Was hat diese Frau dazu gebracht, dem politischen Mord zuzustimmen?
Das Buch von Peter Brückner, Ulrike Meinhof und die deutschen Verhältnisse, auf dessen Cover das Foto abgebildet ist, versucht auf diese Frage eine unzeitgemäß wirkende Antwort zu geben. Unzeitgemäß deshalb, weil die Beschreibung der »gesellschaftlichen Verhältnisse«, die bei der Entwicklung einer Persönlichkeit vor noch nicht all
or noch nicht allzu langer Zeit gang und gäbe war, heute unüblich ist und das Schwergewicht auf die persönliche Geschichte, auf Kindheit und Familie gelegt wird. Brückner wehrt sich 1976, als das Buch zum ersten Mal erschienen ist, gegen die bereits damals unternommenen Versuche, die Aktivisten der RAF einfach individualpsychologisch zu pathologisieren und sie damit ganz im Sinne des BKA zu entpolitisieren. Das neu aufgelegte und um instruktive Texte von Ulrich K. Preuß und Klaus Wagenbach erweiterte Buch beschreibt dagegen die vergiftete politische Atmosphäre der fünfziger und sechziger Jahre und versucht die Radikalisierung Meinhofs mit diesen - allerdings eher »westdeutschen« als »deutschen« - Verhältnissen zu erklären. Eine Zeit, in der Verteidigungsminister Strauß den Atomwaffensperrvertrag als »Versailles kosmischen Ausmaßes« bezeichnete, in der die Bremer Polizei »übungshalber« ein Internierungslager mit 10 Meter hohem Wachturm für »Störer- und Sabotagetrupps« errichtete und in der 60 Prozent aller Richter bereits unter Hitler Recht gesprochen hatten. Eine »Demokratie«, in der ein kritischer Bericht über die Notstandsgesetze zur Entlassung von Joachim C. Fest führte, dem Chef von »Panorama«, der schon damals nicht gerade ein Linker war. Brückner hat in seinem äußerst lesenswerten Buch Zitate und Zeitungsmeldungen der Zeit den Kommentaren und Interpretationen von Ulrike Meinhof gegenüber gestellt, die in ihren Artikeln und Aufsätzen - im Gegensatz zu den großen Parteien und der Mehrheit der Bevölkerung -, Demokratie, Freiheit und Menschenrechte verteidigt hat. Ein Buch, das nicht nur die »Wege in die Gewalt« politisch zu erklären versucht, sondern auch mit der blödsinnigen Auffassung einer Angela Merkel aufräumt, in Westdeutschland habe mit Gründung der Bundesrepublik Demokratie und Freiheit geherrscht.uWie schwierig und langwierig der Übergang von der Diktatur zur Demokratie ist und mit wieviel Gewalt er verbunden sein kann, das beschäftigt den portugiesischen Autor António Lobo Antunes in seinen Büchern. In dem Roman Anweisungen an die Krokodile wird aus der Perspektive von vier Frauen, die mit den Männern einer rechten Terrorgruppe liiert sind, die Geschichte eines rechten Putschversuches erzählt. Eine Sicht, die diametral der von Peter Brückner auf Ulrike Meinhof entgegengesetzt und doch weit von einer bloßen Pathologisierung entfernt ist. Lobo Antunes setzt vielmehr die Ende der siebziger Jahre von Roland Barthes formulierte These, dass das Private politisch sei, mit äußerster Radikalität um. Denn die ganz individuellen, »privaten« Geschichten der Frauen, die in dem Macho-Selbstbild der Putschisten natürlich keine Rolle spielen, erscheinen im Laufe des Romans noch in ihren weltabgewandtesten Träumen und Neurosen als notwendiges Pendant zu der sie beherrschenden Männerwelt. Das Großartige von Lobo Antunes´ Roman besteht jedoch darin, dass diese Lesart nur eine unter vielen ist. Sein Buch fasziniert den Leser durch seine Schreibweise und nicht durch spannende, aber einfach zu durchschauende Geschichten, Figuren und Zusammenhänge. Ähnlich Faulkners Schall und Wahn sind die einzelnen Erzählstimmen oft nur durch die Beschreibungen der äußeren Umstände zu identifizieren. Das Gleiche gilt für die Ereignisse, die erst nach und nach aus dem Erzählstrom auftauchen. Einen ordnenden, allwissenden Erzähler gibt es in Anweisungen an die Krokodile nicht, so, wie sich auch für die Erzählerinnen jegliche Ordnung aufgelöst hat. Dass Lobo Antunes seine Leser trotzdem durch die Intensität seiner Bilder und seiner Sprache zu fesseln vermag, das ist seine große Kunst. uWarum gibt es im allgemeinen Sprachgebrauch eigentlich einen »linken Terrorismus« und eine »rechte Gewalt«? Weil Terror die höchste Steigerung von Gewalt ist, ihre sinnloseste Variante, und man vor einiger Zeit noch von »gewaltigen Aufmärschen« sprach? Ingo Hasselbach, der 1993 mit der Neonazi-Szene brach, benutzt in seiner nun erweitert vorliegenden Autobiographie, Die Abrechnung, nur bei dem Bombenleger Eckhard Weil das Wort »Rechtsterrorist«. Sein ganzes Buch ist allerdings ein einziger Beleg dafür, dass rechte Gewalt nichts anderes als Terror ist. Von den letzten Jahren der DDR, in der sich seine Opposition gegen das Regime nach und nach in ein Engagement für rechte Ideen wandelte, bis zu seinem Ausstieg nach den Morden von Solingen beschreibt Hasselbach zumeist Erlebnisse und ehemalige politische Freunde. Als Analyse der Szene ist das Buch nicht besonders tiefgründig, was aber nichts daran ändert, dass die Geschehnisse und die Typen, die Hasselbach beschreibt, ein erschreckendes Bild vermitteln. Aufgrund dieses umfassenden Einblicks in die Szene ist das Buch gerade heute, wo der rechte Terror wieder zunimmt, lesenswert. uEigenartig, wie wenig politisch motivierte Gewalttaten aus den USA gemeldet werden. Und das, obwohl dieses Land unter den westlichen Industrieländern das Land mit den meisten Gewalttaten pro Einwohner ist (und den meisten Menschen in Gefängnissen, 2,3 Mio.). In Katy Mungers Kriminalroman Beinarbeit - Ein Fall für Casey Jones, kann somit hinter dem Mord, der einer Politikerin angehängt werden soll, auch kein »politisches« Motiv stecken, sondern nur ein »persönliches«. Allerdings lässt sich das nicht genau trennen, denn in den USA ist Politik - so das Fazit des Romans - die Verfolgung persönlicher Interessen mit anderen Mitteln. Was besonders für die Stadt in den Südstaaten gilt, in der Detektivin Casey Jones den Mord für ihre Chefin und Gouverneurskandidatin aufklären soll. Hier wird die Politik immer noch von ein paar weißen Familien bestimmt, die außerdem alles dagegen unternehmen, dass sie eine Frau in Washington vertritt. Katy Mungers Heldin ist selbstironisch und witzig und mischt mit ihrer großen Schnauze die Verhältnisse unter den reichen Kandidaten und ihren Gegnern auf. Selbst der »American way of life« wird - unter anderem in Form ihres übergewichtigen Chefs - ironisiert. Ein vergnüglicher Krimi und wenn der Schluss eigenartig wirkt, dann vielleicht nur für uns Europäer, für die die politische Szene noch nicht vollständig von Charaktermasken à la Joseph Fischer besetzt ist. Peter Brückner: Ulrike Meinhof und die deutschen Verhältnisse, Berlin, Wagenbach Taschenbuch, Berlin 2001, 21,80 DM António Lobo Antunes: Anweisungen an die Krokodile, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2001, 19,90 DM Ingo Hasselbach, Winfried Bonengel: Die Abrechnung, Aufbau Taschenbuch, Berlin 2001, 14,90 DM Katy Munger: Beinarbeit - Ein Fall für Casey Jones, UT Metro, Zürich 2001, 16,90 DM
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