Uppers und Downers

Was läuft Ekkehard Knörer über „Orphan Black“, „Rectify“ und dritte Staffeln (Vorsicht: Spoilergefahr!)
Ausgabe 01/2016

Eine Serie im Binge-Watching-Modus zu sehen heißt, dass man nicht mehr aufhören kann. Oder will. Das eigentliche Problem für den Süchtigen ist aber doch, wenn die Frage gar nicht ist, ob er aufhören will, sondern wenn er aufhören muss. Irgendwann ist der Stoff alle, die Serie gecancelt – oder, weniger schlimm, die Staffel vorbei. Dann beginnt das Warten, meistens ein Jahr, das man natürlich mit dem Konsum anderer Serien füllt, aber die Leerstellen im Serienleben schmerzen dann doch.

Es ist aber seltsam. So groß die Trauer ist am Ende einer Staffel, so dringend das Bedürfnis, zu wissen, was nun passiert – nach einem Jahr Warten ist die Erinnerung an die Details der Erzählung wie der einst so dringende Wunsch zum Weitersehen oft verblasst. Man muss auf die Stimmung warten, in die die Serie dann wieder passt. So habe ich die neuesten Staffeln zweier meiner liebsten Serien einige Monate nach ihrer Ausstrahlung liegen gelassen und jetzt erst, Monate später, gesehen. In beiden Fällen die dritte Staffel, und dritte Staffeln sind sowieso heikel. Erste Staffel: der Wurf. Zweite Staffel: Konsolidierung. Drittel Staffel: Und wie macht man jetzt weiter?

Beide Serien, Orphan Black ist die eine, Rectify die andere, kriegen das auf ihre Art ziemlich gut hin. Wobei sie sich unterscheiden wie Tag und Nacht, genauer gesagt, wenn schon von Sucht die Rede ist, wie Uppers und Downers. Orphan Black, eine britisch-kanadische Serie, ist das Aufputschmittel, der Upper. Eine wilde Mixtur aus Medizinthriller mit Klon- und Sci-Fi-Beigaben, Soccer-Mom-Komödie, Lesbenromanze und manch anderem mehr. Im Zentrum steht eine Frau, die es als Klon in mehrfacher Ausführung gibt. Fünf sehr verschiedene dieser Klone sind die Protagonistinnen der Serie, die geradezu hysterisch zwischen den Genres, den Settings, den Stimmungen springt, Musik dazu immer voll auf die Zwölf, der Plot hängt zwischen den Szenen in Fetzen, so ganz kam ich in der dritten Staffel, in der nun auch noch die Mütter proliferieren, um ehrlich zu sein, nicht mehr hinterher.

Macht aber nicht viel. Denn es geht gerade um das Hetzen von Höhepunkt zu Höhepunkt, das breaking bad, das Vom-Rechten-Weg-Abkommen, ausgerechnet der Soccer Mom Alison, den Irrsinn der von Moralfragen wenig belasteten Helena (und ihren imaginären Skorpion), die Mischung aus Ratio und Romantik der Wissenschaftlerin Cosima und vor allem: das Staunen über die Schauspielerin Tatiana Maslany, also darüber, wie sie es hinbekommt, die verschiedenen Versionen des Klons auf eine Weise zu individualisieren, dass man sich zwischendurch ernsthaft fragt, ob das alles wirklich dieselbe Darstellerin ist. Besonders drastisch konturierte sich das in der dritten Staffel, weil es jetzt nämlich auch einen männlichen Klon gab: Dessen Darsteller Ari Millen hat sich immerhin bemüht.

Meine große Liebe jedoch gilt nach wie vor Rectify, der ersten Eigenproduktion des US-Kleinstsenders Sundance TV. Sie erzählt von einem, nein, vielen beschädigten Leben. Im Zentrum mit Daniel Holden (ganz toll: Aden Young) ein Mann, der 20 Jahre lang vielleicht zu Unrecht mit einem Todesurteil im Knast saß – und nach einem ihn entlastenden DNA-Test in sein altes Leben zurückkehrt.

Nur dass dieses alte Leben natürlich längst nicht mehr existiert. Und man kann einen Menschen aus dem Gefängnis entlassen, das Gefängnis aber entlässt den Menschen so einfach nicht. Somnambul, in Trauer getränkt sind der Ton und die Stimmung von Rectify – und erst jetzt, in der dritten Staffel, gibt es mehr als ein zaghaftes Erwachen des Helden, dem das grandios entspannte Buch alle Zeit der Welt lässt, sich zu finden, zu lernen und zu erfahren und zu probieren, wer er nun sein kann, in diesem Kaff in Georgia, in seiner Familie, die nicht recht weiß, wer dieser wiedergefundene Bruder und Sohn ist, für dessen Freilassung man so lange gekämpft hat.

Rectify ist eine Serie von erstaunlicher Großzügigkeit, eine geduldige „Zurück-ins-Leben-Begleitung“ ohne falschen versöhnlichen Ton. Sie geht davon aus, dass alle Leben immer beschädigte sind, zieht daraus aber eine große Offenheit für menschliche Schwächen. Am Ende der dritten Staffel entlässt sie ihren Helden ein weiteres Mal. Abschied und Trauer und doch auch heitere Hoffnung: Seltsame Cliffhanger-Manieren sind das. Aber natürlich bin ich in der vierten Staffel wieder dabei.

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Geschrieben von

Ekkehard Knörer

Redakteur Merkur und Cargo.

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