Ursprache

Zeitschriftenschau Kolumne

Vor 30 Jahren gab es schon einmal eine Zeitschrift, die sich Berliner Hefte nannte. Sie wurde von revolutionär gestimmten Intellektuellen, die aus dem Umfeld der maoistischen KPD kamen redigiert, darunter war auch der Philosoph Rüdiger Safranski. Die hier vorgestellten Berliner Hefte werden indes von friedfertigen Junggermanisten aus Berlin und Siegen gemacht und beschäftigen sich ausschließlich mit der Geschichte des literarischen Lebens. Die aktuelle Ausgabe umfasst 290 eng bedruckte Seiten und ist vornehmlich Günter Eich (1907-1972) gewidmet.

Das Interesse an ihm, der wie kaum ein anderer deutscher Autor im Licht der literarischen Öffentlichkeit der Nachkriegszeit stand, nicht zuletzt seiner populären Hörspiele wegen, ist nach Kontroversen um seine Rolle während der Naziherrschaft Anfang der neunziger Jahre zurückgegangen. Zu Unrecht; denn Eichs Leben und Werk bietet gerade ehrgeizigen Wissenschaftlern die Möglichkeit, bislang Unbekanntes zu entdecken und dabei ihr Instrumentarium zu erproben, speziell am Nachlass, der sich im Literaturarchiv in Marbach befindet.

Man geht denn auch sehr fachspezifisch und fast übergenau vor, reichlich Anmerkungen und Dankesbekundungen ausstreuend, was den normalen Leser eher ausgrenzt, selbst wenn den Autoren ein für Germanisten erstaunlich lesbares Deutsch nicht abzusprechen ist. Akribisch wird das an dem nur rudimentär überlieferten Briefwechsel zwischen Günter Eich und Alfred Andersch von Jörg Döring und David Oels demonstriert . So haben die beiden zunächst eine 40 Seiten umfassende Einleitung geschrieben; anschließend werden alle 17 zwischen 1948 und 1972 verfassten Dokumente abgedruckt und Zeile um Zeile kommentiert, was gelegentlich zu Verdoppelungen führt.

Doch es ist spannend zu verfolgen, was sich aus diesem Torso eines fast 25 Jahre währenden Briefwechsels alles gewinnen lässt: vor allem neue Erkenntnisse zur Werkgeschichte von Eich und Andersch in Gestalt von Textfunden. Deutlich wird auch beider Lavieren im Dritten Reich (wovon in den Briefen selbst freilich so gut wie nie die Rede ist). Nicht zuletzt gewahrt man, wie betriebsam (doch nicht immer erfolgreich) sich Andersch als Kritiker für den Lyriker Eich und weitere Autoren der Gruppe 47 eingesetzt hat.

Es ist auch bemerkenswert, wie sich Eichs Poetik innerhalb relativ kurzer Zeit veränderte. Polemisierte er gerade noch gegen eine zeitenthobene Naturlyrik, waren solch harsche Töne schon bald nicht mehr zu hören. Und an die Stelle von Wirklichkeitseroberung und Kahlschlagpathos trat "das Postulat vom Dichter als Übersetzer einer göttlichen Ursprache", worin man freilich nicht nur eine opportunistische Kehre sehen muss. Denn Dichtung, die es ernst meint, spricht ja tatsächlich von nie gehörten Dingen.

Nicht weniger aufschlussreich der Briefwechsel zwischen Günter Eich und dem befreundeten Dichterpaar Horst Lange und Oda Schaefer, die beide kaum noch gelesen werden, obwohl besonders der aus Schlesien stammende Lange in den dreißiger Jahren mit seinen Romanen Schwarze Weide und Ulanenpatrouille weithin bekannt war. Lange und Eich hatten sich 1925 als Studenten in Berlin kennen gelernt und arbeiteten von 1929 bis 1932 gemeinsam mit Martin Raschke, Oda Schaefer, Eberhard Meckel, am Rand auch Elisabeth Langgässer und Peter Huchel, an der Literaturzeitschrift Kolonne.

Die erhaltenen zehn Briefe Eichs aus den Jahren 1945 bis 1960 offenbaren eine schleichende Entfremdung. Im Unterschied zu Eich blieben Lange und Schaefer auch nach dem Krieg der naturmagischen Dichtung verpflichtet; sie standen dem "Kahlschlag" der Gruppe 47 fern und fanden keine überregionale Anerkennung mehr. Gleichwohl dokumentieren die Briefe auch Ansätze eines Werkstatt-Gesprächs, in welchem Eich Gedichte Schaefers im Detail kommentierte.

Weitere Überraschungen in diesem hochkonzentrierten Heft: Eichs Tätigkeit als Drehbuch-Autor 1948 und seine sich über Jahre aufbauende Beziehung zu Martin Heidegger, die 1959 in einem Gedichtbeitrag zu dessen 70. Geburtstag gipfelte, wobei sich Eich, wie Walter Kühn nachweist, "den Bewegungslinien von Heideggers Denken" annäherte. Was sie verband, war wohl "die Angst vor der heillosen Unordnung der Moderne." Auch zu Ernst Jüngers Sekretär Armin Mohler, der mit der "Konservativen Revolution" sympathisierte, unterhielt Eich freundschaftlichen Kontakt.

Berliner Hefte: Nr. 7, 2005 (Humboldt-Universität, Institut für deutsche Literatur, Unter den Linden 6, 10099 Berlin), 290 S., 8 EUR


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