V-Leute als Brandstifter

Verfassungsschutz Hätte die Entstehung fester Strukturen in der Naziszene ohne den Verfassungsschutz vielleicht sogar verhindert werden können? Vieles deutet darauf hin
Ausgabe 15/2016
Der „Thüringer Heimatschutz“ 1998, unterstützt mit staatlichen Mitteln
Der „Thüringer Heimatschutz“ 1998, unterstützt mit staatlichen Mitteln

Foto: Christian Ditsch/Imago

Selbstzweifel scheint der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht zu kennen. Hans-Georg Maaßen verteidigte vor einiger Zeit in der ARD sein Konzept, ausgewählte V-Leute in strategische Positionen der Nazi-Szene zu steuern. Über Top-Spitzel könne der Verfassungsschutz auf das rechte Milieu vorbeugend einwirken, erklärte der oberste Verfassungsschützer vor laufender Kamera.

In derselben Sendung wurde Maaßen freilich widerlegt. Ein hochrangiger V-Mann aus der Zwickauer Naziszene soll den NSU-Killer Uwe Mundlos beschäftigt haben – und zwar, als der bereits mit Haftbefehl landesweit gesucht wurde. Maaßens Verfassungsschutzbehörde erfuhr damals nichts von der Liaison zwischen dem NSU-Terroristen und dem Spitzel des Verfassungsschutzes. Und das obwohl das Amt den V-Mann für den besten Zuträger in der rechten Szene Ostdeutschlands hielt.

Angesichts dieser Konstellationen muss sich Maaßen fragen lassen, welchen Zweck die Unterwanderung der Naziszene mit V-Leuten überhaupt haben kann. Eine Frage übrigens, die das Bundeskriminalamt bereits vor zwei Jahrzehnten beantwortet haben wollte: Damals beklagte die Behörde die „zunehmende Divergenz zwischen Verfassungsschutzoperationen und exekutiven Maßnahmen“. Mit anderen Worten: Immer häufiger war die Behörde bei ihren Ermittlungen gegen Neonazis auf V-Leute des Amtes gestoßen. Das BKA warnte vor einem „Brandstifter-Effekt“: „Es besteht die Gefahr, dass Quellen sich gegenseitig zu größeren Aktionen anstacheln. Somit erscheint es fraglich, ob bestimmte Aktionen ohne die innovativen Aktivitäten dieser Quellen überhaupt in der späteren Form stattgefunden hätten.“

Denkt man das zu Ende, kommt man zu einer erschütternden Schlussfolgerung: Hätte die Entstehung fester Strukturen in der Naziszene – also auch die Gründung des NSU – ohne die V-Leute des Verfassungsschutzes vielleicht sogar verhindert werden können? Viele Beispiele dafür, wie V-Leute – teils mit staatlichen Geldern – die Vernetzung loser Nazi-Strukturen und damit auch deren Gefährlichkeit vorangetrieben haben, sind im Zuge der NSU-Ermittlungen bekannt geworden: Tino Brandt, der Nazi-Kameradschaften miteinander vernetzte und den „Thüringer Heimatschutz“ aufbaute; Kai Dalek, der über zehn Jahre hinweg die bayrischen und Thüringer Nazistränge miteinander verwob und einen internen Kommunikationsverbund einrichtete; Thomas Richter alias „Corelli“, der zwei Jahrzehnte lang bundesweit agierende Organisationen zusammen- und anführte; Achim Schmid, der Polizisten in seinen Ku-Klux-Klan-Ableger holte; und eben Ralf Marschner alias „Primus“, der die Zwickauer Naziszene organisierte und in seinem Baubetrieb neben Uwe Mundlos Dutzende anderer Neonazis beschäftigte.

Trotz oder gerade wegen der vom Verfassungsschutz geduldeten und mit Steuergeldern alimentierten Aktivitäten dieser „Steuerungsagenten“ des Verfassungsschutzes konnte eine kleine rechte Terrortruppe 13 Jahre lang unentdeckt raubend und mordend durchs Land ziehen. Damit trägt der Geheimdienst eine Mitschuld an den Verbrechen des NSU. Die Lehre aus dem NSU-Desaster ist daher, dass das Konzept einer Steuerung der rechten Szene von innen nicht funktionieren kann. Wenn BfV-Chef Maaßen das nicht erkennen möchte, dann zeigt das ein-mal mehr, dass er der falsche Mann an der Spitze des Verfassungsschutzes ist.

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