Naomi Wolf ist eine der bekanntesten Feministinnen überhaupt. Als sie 1991 Der Mythos Schönheit schrieb, war sie 27 Jahre alt. Das Buch in einem Satz: Die Hälfte aller westlichen Frauen glaubt, zu dick oder nicht genügend begehrenswert zu sein, und diese Ängste schaffen neue industrielle Märkte. Der gigantische Erfolg des Buches und die bösen Reaktionen, die es hervorrief, verliehen Naomi Wolf eine gewisse Bedeutung – Teilzeit-Pop-Akademikerin (sie wird demnächst mit ihrer Doktorarbeit fertig), Teilzeit-Expertin und zuletzt auch Teilzeit-Bürgerrechtsaktivistin in der Occupy-Bewegung.
Ihr neues Werk, Vagina – A New Biography, ist in Amerika gerade erschienen und erregt dort im Moment mehr Aufsehen als jedes andere. Nicht zuletzt wegen seines Titels, den zu verwenden die 49-Jährige, wie sie sagt, keine Sekunde gezögert habe. „Weil das Wort entweder tabuisiert, negativ konnotiert, mit Scham besetzt oder medikalisiert wird, ist es wirklich wichtig, es zurückzuerobern.“
Aber worum geht es? Das Buch ist eine Mischung aus persönlichen Erinnerungen, Kulturgeschichte und einer wissenschaftlichen Erkundung der weiblichen Sexualität. Vagina unternimmt den grundsätzlich begrüßenswerten Versuch, die weibliche Lust von Jahrtausende altem kulturellen Ballast zu befreien. In seinen stärksten Augenblicken zeigt es, wie wenig Frauen über ihren eigenen Körper wissen – und wird dann zu einer Art geistreichem Sex-Handbuch. In seinen schlechtesten Momenten macht Wolfs akademisches Kauderwelsch das Buch schlicht unlesbar. So wächst der Verdacht: Obwohl Wolfs Herz zweifellos am rechten Fleck ist, produziert sie vor allem heiße Luft.
Da kommt Freud auf
Alles begann damit, dass Wolf Probleme mit ihrem Sexleben bekam. Ihre Orgasmen waren plötzlich keine „existenziellen Erfahrungen“ mehr, sondern nur noch lustlos und langweilig. Dass sie daraufhin zu dem amerikanischen Experten für Beckennerven ging, zeugt von einer gewissen Geistesgegenwart – viele Leute wären an ihrer Stelle wohl zu einem Psychotherapeuten gegangen.
Aber Wolf sollte Recht behalten. Der Arzt diagnostizierte eine schwache Form von Spina bifida („offener Rücken“), die dazu geführt hatte, dass ihre Wirbelsäule auf den Beckennerv drückt. Dann erklärte er ihr den Orgasmus wissenschaftlich: Dass Impulse vom Beckennerv in das „weibliche Hirn“ hinaufwandern, oder, wie sie es später in ihrem Buch zusammenfasst, „wie die Genitalien mit dem unteren Rückenmark kommunizieren, das sich dann wiederum mit dem Gehirn verbindet“. Das also war der Grund, warum sie beim Sex nichts mehr spürte. „Als ich das hörte, fiel ich fast vom Untersuchungstisch“, schreibt sie. Und weiter: „Ich fragte mich, erklärt dies am Ende auch den Unterschied zwischen vaginalem und klitoralem Orgasmus?! Nicht Kultur, Erziehung, Patriarchat, Feminismus oder Freud, sondern neuronale Verbindungen!“
Wolf unterzog sich einer Operation, bei der ihr eine Metallplatte in den Rücken eingesetzt wurde. Seitdem ist ihr Sexleben wieder in Ordnung. Aber es passierte noch mehr. Die Erkenntnis, dass es eine neurologische Verbindung zwischen Vagina und Gehirn gibt, über die bislang relativ wenig geschrieben worden war, veränderte ihre Welt: Sie begann sich ernsthaft dafür zu interessieren, wie konstitutiv ihre Vagina für ihr Bewusstsein ist. Nun gibt es sicherlich viele Frauen (und Männer), für die das keine ganz so große Offenbarung darstellt – nicht etwa, weil es allgemein bekannt wäre, sondern weil heutzutage gefühlt alle zwei Wochen ein Buch erscheint, in dem verschiedene menschliche Befindlichkeiten und Verhaltensweisen – Liebe/Glück/Wut/Sucht – auf die Hirnchemie oder neuronale Vernetzung zurückgeführt werden, begleitet von Daten, die mithilfe eines Scanners und einer Reihe Laborratten gewonnen wurden. Vielleicht liegt ja auch der Sinn des Lebens in der Neurowissenschaft verborgen. Und dann?
Klarheit über körperliche Abläufe
Wolf sagt, sie wolle, dass Frauen „Scham, Unwissenheit, Verwirrung und Selbstvorwürfe gegenüber Dingen loswerden, die evolutionär oder anatomisch bedingt sind“. Nachdem Feministinnen und Antifeministen bereits so viel Zeit darauf verwendet haben, über die Politik des weiblichen Orgasmus zu streiten, sei es angezeigt, Klarheit über die körperlichen Abläufe zu erhalten.
„Freud lag daneben, und der Kampf der Feministinnen in den Siebzigern um den Vorrang der Klitoris vor der Vagina ging ebenfalls an der Sache vorbei, denn bei jeder Frau laufen die Verbindungen anders“, sagt Wolf nun. „Warum haben sie uns das nicht in der achten Klasse erzählt? Die ganze Komplexität des Nervensystems und seine Verbindung zum Rückenmark – für mich war das eine absolute Offenbarung.“
Das ist sicher gut und vernünftig. Aber nachdem sie die Politik zunächst aus der Gleichung herausgenommen hat, bringt Wolf sie mit ihrem Buch wieder hinein. Ein Teil ihrer Untersuchung dreht sich um die verschiendenen Hormone und Neurotransmitter, die während eines „erfolgreichen“ Geschlechtsverkehrs in einer Frau aktiviert werden – wie Dopamin, „das den chemischen Aufbau von Vertrauen, Motivation, Zielgerichtetheit, Durchsetzungsfähigkeit, Konzentration – all dieser weiblichen Qualitäten befördert“. Sie schreibt, „Dopamin sei die feministische Substanz im weiblichen Gehirn schlechthin“. Das klingt nach einem Werbeslogan. Oxytocin wiederum sei die „emotionale Superpower der Frau“. Die Vagina falle nicht nur „mit dem weiblichen Gehirn zusammen“, sie sei auch „Teil der weiblichen Seele“. Und schließlich: „Wenn es einen Ort gibt, an dem die Weiblichkeit zu Hause ist, dann in diesem elektrischen Netzwerk, das sich vom Becken bis zum Gehirn erstreckt.“
Universell Weibliches?
Das, mit Verlaub, ist die Sprache, die Wissenschaftler zum Schreien bringt. Hat Naomi Wolf nicht gezögert, Begriffe wie „Seele“ zu verwenden? „Ich weiß, dass es riskant ist, diese Ebene anzusprechen“, sagt sie, „aber William James, einer der Begründer der Psychologie in den USA, erfuhr aus seinen Studien, dass viele Menschen transzendentale Erfahrungen machen. Und dann haben verschiedene Neurowissenschaftler beschrieben, in welchen Bereichen des Gehirns sich diese abspielen“.
Es wird feministische Kritikerinnen geben, die der Essenzialismus in Naomi Wolfs Buch abschreckt und die ihre Bemühungen um eine neurologische Definition von „Weiblichkeit“ als reduktionistisch und reaktionär empfinden – nachdem sie selbst jahrelang argumentiert haben, diese sei weitgehend kulturell konstruiert.
„Ich verstehe das“, antwortet Wolf. „Ich kenne diese Denkrichtungen, und sie sind sehr hilfreich, wenn es um den begrifflichen Umgang mit Literatur und Philosophie geht. Aber sie werden permanent von dem infrage gestellt, was in den Laboren vor sich geht. Ich habe Ratten gesehen, die sich weiblich verhielten, verstehen Sie? Was ich sagen will: Es gibt innerhalb des Feminismus Raum für viele verschiedene Diskurse.“
Wir leben in einer Welt, in der es Transsexuelle wie die Schauspielerin Jamie Clayton gibt, Intersexuelle wie die Langstreckenläuferin Caster Semenya und nicht zuletzt die Arbeiten von Judith Butler. Wie kommt es, dass eine der bekanntesten Feministinnen unserer Zeit immer noch mit so etwas wie dem „universell Weiblichen“ kommt?
Feminismus vs. Weiblichkeit
Lustigerweise begann Laura Kipnis’ hervorragendes Vagina-Buch The Female Thing aus dem Jahr 2006 genau mit diesem Thema. Für die Medienwissenschaftlerin Kipnis bestand das große Problem mit dem Feminismus – einer Bewegung, die darauf zielt, Frauen zu ermächtigen – darin, dass er mit Weiblichkeit verwechselt wird. Weiblichkeit, das ist dieser Fundus an okkultem Wissen, das Frauen anwenden, um das männliche Interesse zu wecken. Feminismus („Nenn mich nicht Schätzchen, du Depp!“) und Weiblichkeit (‚„Ich habe gerade den besten Push-up-BH der Welt gefunden!“) befinden sich in einem Zickenkrieg, der sich im Kopf jeder Frau abspielt. Kipnis dürfte in Wolfs Buch nun eine Wiederholung dieses Grundproblems erblicken.
Der Hauptgrund für die gegenwärtige „Epidemie sexueller Sorgen“ liegt nicht sosehr darin, dass die „Vagina nicht respektiert wird“, sondern dass Frauen, die es besser wissen sollten, die Komplexität von Kipnis’ „female thing“ unterschätzen. Die Erfahrung nämlich, wie es ist, mit diesem kleinen, pelzigen Ding zu leben, in einer Welt, die Privilegien bei der Geburt nach anatomischen Gesichtspunkten verteilt.
Also ja, Frauen haben allen Grund, traurig und verbittert zu sein, und dieses Problem kommt einer, wie Wolf sagt, „existenziellen Depression“ gleich. Aber ihr Buch hilft da nicht weiter.
Emma Brockes ist Autorin des Guardian. Mitarbeit: Jenny Turner Übersetzung: Holger Hutt
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