Vakuum im Osten

Ukraine Westeuropa hat in Osteuropa kaum Einfluss. Die Hegemonien sind aus historischen Gründen anders gelagert
Ausgabe 13/2014

Als Ende 1940, im zweiten Kriegsjahr, die deutsche Wehrmacht halb Westeuropa und Osteuropa bis zu den Grenzen der Sowjetunion besetzt hatte, fürchtete der in Berlin lehrende Staatsrechtler Carl Schmitt dennoch, die Sache könne nur gut ausgehen, wenn die USA nicht in den Krieg eingriffen, wie sie es im Ersten Weltkrieg getan hatten. Von damals her misstraute er den deutschen Kräften in solcher Auseinandersetzung und so beschloss er, mit seinen Mitteln etwas dagegen zu tun. Dabei hielt er sich an den hübschen Satz von Christian Morgenstern „Nicht sein kann, was nicht sein darf“ und schuf eine neue Regel für das Völkerrecht: „Interventionsverbot für raumfremde Mächte“. Vulgo: Die USA haben in Europa nichts verloren.

Tricky an dem Einfall war, dass er sich dabei auf die USA selbst und ihre Monroe-Doktrin berufen konnte. „Diese war die erste Erklärung in der Geschichte des modernen Völkerrechts, die von einem Großraum spricht“ – gemeint ist der ganze Kontinent, Nord- und Südamerika – „und für ihn den Grundsatz der Nichtintervention raumfremder Mächte aufstellt.“ Nun war freilich immer unklar gewesen – und von Washington im Unklaren belassen worden –, ob hier ein rechtlicher Anspruch oder ein politische Regierungsabsicht gemeint war. Zum 100. Jubiläum der Monroe-Doktrin 1923 hieß es von Staatssekretär Hughes, was die Doktrin sei, das „definiert, interpretiert und sanktioniert“ nur die Regierung der USA. Da kannte der Mann Carl Schmitt noch nicht, preußischer Staatsrat von Gnaden Görings, von Hitlers Leuten allerdings soeben verprellt.

Schmitt dekretierte schlicht, der Kern der Monroe-Doktrin bedeute eben die „völkerrechtliche Unzulässigkeit von Interventionen raumfremder Mächte in einem von einem Ordnungsprinzip beherrschten Großraum“.

Überholter Liberalismus

Und hier wird es spannend. 1823 hatte das geheißen: das von den USA bis Feuerland republikanisch regierte Amerika gegen das überwiegend monarchisch-dynastisch regierte Europa. Jetzt schreibt Schmitt zur Doktrin: Ihre „Anwendbarkeit auf den mittel- und osteuropäischen Raum wird nicht dadurch aufgehoben, dass sich seit 1823 die Verhältnisse in Europa und Amerika wesentlich geändert und hinsichtlich der tragenden politischen Ideen die Fronten sich geradezu umgekehrt haben. Der liberale Freiheitsgedanke der westlichen Demokratien ist heute geschichtlich überholt“. Geschrieben im Juli 1941. Die Wehrmacht marschierte in Russland ein.

Die Amerikaner engagierten sich dann trotz Schmitts Ermahnungen in Europa. Sie taten es, weil sie es konnten. Für das Können auf deutscher Seite war nicht der Staatsrechtler zuständig, sondern im speziellen Fall Karl Dönitz mit seinen U-Booten. Die Amerikaner griffen auch ein, als Iraks Diktator Saddam Hussein Kuwait gewaltsam annektieren wollte. Sie konnten es, weil russische Politiker damals noch in den Trümmern der Sowjetunion herumwankten.

Der Ukraine helfen können sie nicht. Den Raum beherrscht Moskau. Das neue Problem dabei ist, dass zwar die USA raumfremd sind, nicht jedoch die Europäische Union. Doch die ist zu schwach, um hier etwas mitzubestimmen. Es geht bei Großräumen ja stets um die Hegemonialmacht. Die ist im Westen das ferne Washington vermittels der Nato. Den EU-Mitgliedern, die an Russland grenzen, ist die Nato wichtiger als Brüssel. Eine europäische Hegemonialmacht gibt es nicht. Deutschland kann und will es nicht sein.

Das läßt Wladimir Putin Spielraum. Und es gibt Putin-Versteher wie Chinesen-Versteher, die sagen, Russland und Peking müssten ja gar nicht Demokratie und Rechtsstaat nach westlichem Vorbild praktizieren. Da herrscht dann wohl ein anderes Ordnungsdenken. Und – schwupp – ist die Krim weg. Können und Dürfen hängen zusammen.

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