Vampire

A–Z Der Rumänien-Mythos lebt: Vampire gehen in Bars, tauchen in Kinderbüchern, Serien oder als Brandmarker auf Twitter auf. Fledermäuse aber trinken neuerdings Schweineblut
Ausgabe 11/2018
Vampire

Foto: Bips/Hulton Archive/Getty Images

A

Aberglaube Im slawischen Volksglauben war die Vorstellung vom Wiedergänger, der nachts sein Grab verlässt, um die Lebenden heimzusuchen, weit verbreitet. Als probates Mittel zur Vermeidung solch eines Schreckens erschien den handfesten Slawen die Durchtrennung von Sehnen und das Heraustrennen des Herzens. Wer glaubt, der Vampiraberglaube gehöre der Vergangenheit an, unterschätzt die Langlebigkeit der Mythen. Der letzte getötete Vampir datiert auf das Jahr 2005. Es heißt, man habe einem verstorbenen Bewohner des rumänischen Dorfes Marotinu de Sus das Herz aus dem Leib geschnitten und verbrannt.

Vielleicht handelt es sich aber auch um eine rurale Legende. So oder so: Transsilvanien, die Heimat Draculas, profitiert ungebrochen vom touristischen Hype um den Blutsauger. Wer dem mythischen Scharfzahn nicht begegnet, muss auf Gefahr dennoch nicht verzichten: In Siebenbürgen treiben Wölfe und Bären ihr Unwesen. Marlen Hobrack

B

Blutsauger An Pessach backen Juden einen Fladen ungesäuerten Brotes, Matze genannt. Lange Zeit hielt sich die Ritualmordlegende, derzufolge sie dafür das Blut „unschuldiger Christenkinder“ verwendeten. Im ostpreußischen Dorf Konitz zum Beispiel kam es 1900 zum Pogrom, als ein Junge tot aufgefunden wurde. Drei Jahre zuvor war Bram Stokers Dracula erschienen. Ein hakennasiger, geldgieriger Unhold, der das Kreuz fürchtet und sich blutsaugend an der Unschuld seiner Opfer vergreift. Zufall?

Vielen gilt Vlad III. Drăculea, „der Pfähler“, als Vorbild für die Figur. Doch zahllose Auffälligkeiten, die die Wissenschaftlerin Sara Libby Robinson 2011 in ihrem Buch Blood Will Tell sammelte, legen nahe, dass Bram Stoker ganz andere Osteuropäer vor Augen hatte: Juden. So wurde der Vampirmythos antisemitisch aufgeladen. Leander F. Badura

E

Ersatzstoff Kommt ein Vampir in eine Bar, ausgerechnet in einem Redneck-Kaff namens Bon Temps, irgendwo im Süden der USA. So beginnt die Serie True Blood von Alan Ball (bekannter für das Bestatterfamilienepos Six Feet Under). True Blood spielt in einer Zeit, in der synthetisches Blut die zwanglose Koexistenz von Menschen und Vampiren ermöglicht. Theoretisch. In der Praxis hat keiner in der Bar Bock auf den Vampir, außer der telepathisch veranlagten Kellnerin Sookie (Anna Paquin), die genau genommen eine Halbelfe ist, wie eine spätere Staffel ergibt. Und nicht alle Vampire stehen auf den Ersatzstoff; man kennt das auch aus anderen Büchern und Filmen, wo sich das Aussaugen von Tieren als Surrogat auf Dauer nicht durchsetzt.

Mit der Forderung, Vampiren ihre Rechte abzuerkennen, lässt sich alsbald Politik machen und eine durchgeknallte Sekte namems Fellowship of the Sun stellt die Bodentruppen für gezielte Hinrichtungen. Im Kern handelt die Serie – auch das kennt man von Vorläufern des Genres – von Familie, Rassismus, Zugehörigkeit. Und einem Club mit dem schönen Namen Fangtasia. Christine Käppeler

F

Film Der Vampir erlebte im Film eine erstaunliche Metamorphose: Vom glatzköpfigen, fledermausohrigen Nosferatu, dem permanent der Schrecken seiner eigenen Existenz ins Gesicht geschrieben scheint, über den verführerisch sinisteren Christopher Lee bis zum leidenden Schmerzensmann Gary Oldman wurde Graf Dracula nicht nur schöner und schöner. Der Vampir avancierte auch zum Sinnbild für die Sehnsucht nach Liebe. Dass er darüber schwermütig wurde, versteht sich von selbst. Dem Betrachter – pardon, der Betrachterin – soll das egal sein. Sie darf angesichts der eiskaltstahlblauen Augen Brad Pitts oder der tragischgrauen Tom Hiddlestons zerfließen. Schwermütig wird sie nicht. Marlen Hobrack

J

Jugend Samstagabends gehen die Eltern Bohnsack gewöhnlich ins Kino und so hat der neunjährige Anton sturmfrei. Auf dem Fensterbrett taucht plötzlich Rüdiger von Schlotterstein auf, ein echtes, bluttrinkendes Vampirkind. Die beiden freunden sich an und erleben harmlose, aber gruselige Abenteuer, wie mit Vampirjäger Geiermeier. Das Buch Der kleine Vampir von Angela Sommer-Bodenburg erschien 1979, lange vor PC und Smartphone. Es lebt allein von Antons Gefühlsleben, von Geheimnis, Unbehagen und Begeisterung. Unsere siebenjährige Tochter hat das Buch vor Kurzem mit nach Hause geschleppt und ist begeistert von Vampiren und Särgen. Oda Hassepass

K

Killer Blonde junge Frauen sind im Horrorfilm meist die ersten Todesopfer. Als Gegenentwurf dazu schuf Joss Whedon Buffy the Vampire Slayer: Die Titelfigur stellt sich, mit Superkräften ausgestattet, gegen die Mächte des Bösen. Die selbstironische und -reflexive Kultserie gilt heute als Wegbereiterin des Quality-TV, die als Pastiche fortlaufend Elemente aus Horror, Science-Fiction, Mythologie und Folklore referenziert. Diese vermitteln reale Problemlagen: Magie macht süchtig, der vormals nette erste Freund wird nach dem Sex (Vamp) zum Dämon – der Horror des Teenagerlebens metaphorisiert. Besonders Buffy muss mit Berufung, Freunden und Familie jonglieren – Probleme der modernen Frau. Längst interessiert sich auch die Forschung für Buffy, nicht zuletzt dank einiger experimenteller und unkonventioneller Folgen: Die „Buffy Studies“ tauschen sich auf Tagungen aus und bringen zwei wissenschaftliche Zeitschriften heraus. Katharina Rein

M

Medien Friedrich Kittler war der erste Literatur- und Medienwissenschaftler, der nicht fragte, was Doppelgänger, Gespenster und Vampire bedeuten, sondern wie und warum sie erscheinen. Die Antwort liegt in der Beziehung, die sie zu den Medien unterhalten, in denen sie vorkommen. Exemplarisch dafür ist die Lektüre von Stokers Dracula (Blutsauger) als Sachbuch unserer Bürokratisierung: Es thematisiert die medientechnischen Bedingungen, die fantastische Literatur erst möglich machten. Die zunehmende Erschließung Mitteleuropas durch Technik, Verkehr und Tourismus exorzierte Gespenster und Vampire aus der Alten und exportierte sie in die Medien der Neuen Welt. Einmal freigesetzt, musste das Grauen, das vorher in der Natur wohnte, sich neue künstliche Paradiese suchen und ist so in die Zuständigkeit von Unterhaltungsmedien gefallen. Da die Antagonisten fantastischer Romane Wiedergänger sind und bekanntlich nicht sterben können, müssen sie sich immer neue Körper und Medien suchen, in denen sie fortleben. Harun Maye

P

Pop Kinder der 80er kennen den Rocker-Vampirfilm The Lost Boys ( Film). Ezra Koenig von der New Yorker Band Vampire Weekend war so begeistert, dass er sich im College daranmachte, einen Kurzfilm zu drehen, der die Handlung nach New England verlegt. Da reist ein Typ namens Walcott nach Cape Cod, um den Bürgermeister vor einer Vampirattacke auf die USA zu warnen. Das Filmchen wurde nie fertig, aber kurz darauf gründete man die Band und gab ihr den Namen des gescheiterten Projekts. Walcott ist auf ihrem Debüt zu hören, das Punk mit karibischen Rhythmen mixt. Auf den Vorwurf aus dem Vampirschloss ( Twitter), das sei kulturelle Aneignung und sie jawohl die weißeste Band der Welt, antwortete man lässig, man habe ukrainische, italienische, persische Wurzeln und die Musik sei so divers wie die Band. Mladen Gladić

Porphyrie Sie meiden das Licht wie der Teufel das Weihwasser: Menschen mit Porphyrie-Erkrankungen vertragen keine Sonne. Sie verbrennt ihre Haut und erzeugt massive, entstellende Gewebeschäden. Die Betroffenen der genetisch bedingten Stoffwechselkrankheit leiden aber nicht nur unter Lichtunverträglichkeit von Haut und Augen. Da die Produktion des roten Blutfarbstoffs Häm gestört ist, kann die Krankheit mit einer Anämie, also Blässe einhergehen. Einlagerungen färben das Gebiss rot, der Volksmund spricht von „Blutzähnen“. Die Lippen können schrumpfen, die Zähne werden sichtbar. Kulturwissenschaftler sehen in der Krankheit die Vorlage für den Vampiraberglauben. Lichtscheue, fahle und Lebenssaft saugende Wesen, die sich im Dunkeln und nachts herumtreiben (müssen). Nicht ewiges Leben, ewiges Leiden ist diesen Kreaturen beschieden. Tobias Prüwer

T

Twitter Die Entscheidung, bei der Essener Tafel nur noch Deutsche neu aufzunehmen, war falsch. Dass sie nur fallen konnte, weil es Defizite bei der Armenversorgung in unserem reichen Land gibt, interessiert viele Social-Media-Schreihälse nicht. Rassismus ist das Urteil. Auf dem „Schloss der Vampire“, so nannte der Kulturtheoretiker Mark Fisher die Szene, geht’s darum, Schuld zu propagieren. Die Schlossbewohner wollen öffentlich brandmarken. Kritisiert man das, kommt oft der Vorwurf, man sei gegen antirassistische und antisexistische Kämpfe. Diese Vampire saugen aus diesen Kämpfen aber genau jene Energie, die man braucht, um Rassismus nicht als moralisches, sondern als politisches Problem zu sehen. Mladen Gladić

V

Vamp Aus pädagogischen Gründen weisen wir auf den gesellschaftlich hochgradig schädigenden Typus der schönen, bösen Frau hin und warnen: Nicht nur etymologisch besteht eine Verwandtschaft mit dem todbringenden Vampir, dessen Reißzähne ( Zoologie) wiederum mit der „Vagina dentata“ in engem Zusammenhang stehen. Der Vamp gehört der Spezies der Femme fatale an: Hinter blutroten Lippen und Smokey Eyes verbirgt sich der dämonische Thanatos. Sex mit einem Vamp ist ein Versprechen auf den Tod.

Beim Nazi-Vamp zeigt sich die totalitäre Natur dieses Wesens: Lust durchseucht sein Handeln, Unterwerfung von Mann und Frau lautet seine Devise. Nach schleichender Dekadenz mit Curvy Stars aus L. A. ist das mörderische #notme-Biest endgültig vom Zelluloid verbannt. Auch die Altherren-Formation Hollywood Vampires vermag nicht über den Exitus hinwegzutäuschen. Der rote Teppich gebührt den Erleuchteten: Sex killt Solidarität. Om und Amen. Ute Cohen

Z

Zoologie Der Kammzahnvampir ist eine kleine, zarte Fledermausart, die nur 25 bis 43 Gramm schwer wird. Dieser Vampir war mit ziemlicher Sicherheit nie in Transsilvanien ( Aberglaube), sondern bewohnt den amerikanischen Kontinent. Doch scheint er einiges zur Bildung von Vampirlegenden beizutragen, wie auch die Süddeutsche Zeitung kolportiert, die am 2. Februar 2017 titelte: „Nachts saugt der Vampir gern Menschenblut“.

Bekannt ist, dass Kammzahnvampire gern das Blut von Hühnern trinken, weshalb sie unter Geflügelfarmern auch als Tollwut verbreitende Plage angesehen werden. Aber Menschenblut? Hat es so vorher noch nicht gegeben. Wie kommt es wohl zu dieser Änderung der Speisepläne? Eine Theorie: dass es einfach ein Versehen ist, Mensch und Hühnchen verwechselt, sozusagen. Soll ja ähnlich schmecken. Christina Borkenhagen

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