Van Goghs Kirschblüte

Literatur Ein handverlesenes, üppig bezahltes Expertenteam löst „Das letzte Mysterium“
Ausgabe 16/2021

Hat die Kirschblüte etwas mit Vincent van Gogh, dem „Stolz der Niederlande“, Meister der Farben und des Lichts zu tun? Mit diesem Rätselspiel beginnt Das letzte Mysterium von Matilde Asensi. Der Originaltitel des neuen Thrillers der Autorin heißt Sakura, das ist die Kirschblüte in Japan. Obwohl es sich um einen Krimi aus Spanien handelt, obwohl er mit einem Expertentreffen in der Kunstgalerie Père Tanguy in Paris seinen Ausgang nimmt, liest er sich auch wie eine kleine Japankunde. Die flüssige Übersetzung ins Deutsche von Sybille Martin übernimmt die Japanismen, die den Thriller durchziehen, sprachliche, kulturelle und ästhetische. So spielen zum Beispiel „tetsubishi“ eine Rolle, viele kleine Ninja-Dornen, die aus dem Boden ragen, ähnlich einem Nagelbrett und schmerzhaft für jeden, der darüber gehen muss, ebenso „ma-sāji“, ein Codewort aus dem Tokioer Rotlichtviertel und immer wieder die für Japan ikonische Darstellung des Bergs Fuji auf Gemälden oder Drucken. Seit Jahrhunderten ist der gipfelflache Berg international an seiner weißen Schneehaube erkennbar.

Die Lösung des Rätsels ist einfach. Denn van Gogh, der auf dem platten, hügelfreien Land in der Nähe von Eindhoven groß wurde, wählte erstaunlicherweise neben weiteren japanischen Motiven und Mustern wie der Kirschblüte diesen Fuji-Berg als Hintergrund für das Porträt eines niederländischen Bauern. Noch erstaunlicher ist, dass solche bildlogischen Fehler auf einem vormodernen Gemälde – holländische Menschen vor einem japanischen Hintergrund – selbst Kunstkennern erst dann auffallen, wenn sie darauf hingewiesen werden. Aus dem Rätselspiel, was nun Vincent van Gogh mit dieser ortshybriden Kunst meinen oder zeigen wollte, wird eine Schnitzeljagd nach Bildern, für die sich die Experten auch auf den Weg nach Japan machen müssen.

Das letzte Mysterium ist bereits der vierte Thriller von Matilde Asensi, der auch ins Deutsche übersetzt wurde. In ihrer zweiten Karriere schreibt die spanische Autorin, die zuerst Journalistin war, seit 20 Jahren Romane und Krimis. In kurzen Kapiteln ist der Thriller einfach zu lesen, keine Rückblenden oder Nebenschauplätze stören die Handlung. Erzählt wird aus der Perspektive des niederländischen Kunsthändlers Hubert Kools, der mit dem gut bezahlten Experten-Job seine Galerie in Amsterdam retten will. Zum Team gehören auch Gabriella Amato aus dem Norden von Italien, wie auch der Brite Oliver Roos ist sie Künstlerin. Ein Amerikaner und eine gewisse Odette Blondeau gehören noch dazu, scheinbar haben alle nichts anderes miteinander zu tun als eine kunstaffine Aufgabe zu lösen, für die der Japaner Ichiro Koga sie handverlesen anstellt und üppig bezahlt.

Der Verlag spricht von einem „fesselnden, neuen Abenteuerroman der spanischen Bestsellerautorin“, doch dem muss man nach der Lektüre deutlich widersprechen. „Fesselnd“ ja, „Abenteuerroman“ nein. Die Suche nach van Goghs Gemälden führt auf keinen wirklich gefährlichen Weg und sie fügt niemandem echten Schaden zu. Zwar muss die Suchtruppe über Falltüren und Geheimgänge durch Katakomben gehen und durch den Schlamm robben, um auf des Rätsels Lösung zu stoßen, niemals aber werden sie mit Unbekanntem konfrontiert.

Das letzte Mysterium ist ein „Locked-room mystery“, dessen Unheimlichkeit sich aus dem Unerklärlichen speist. Im Locked-room geschehen Dinge, die nur mit detektivischer Kopfarbeit verständlich werden. Dieses Genre des verschlossenen Raums gehört in die Zeit van Goghs, das 19. Jahrhundert, nicht so sehr in unser Heute. Am erstaunlichsten ist deshalb zu verfolgen, wie es Asensi hier gelingt, die „global crime fiction“ mit der Logik des verschlossenen Raums höchst spannend zu verbinden.

Info

Das letzte Mysterium Matilde Asensi Sybille Martin (Übers.), Lübbe 2021, 391 S., 12,90 €

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