Frankreich Michel Houellebecq provoziert mit dem Thema Sextourismus den Skandal der Saison. Doch die französischen Feministinnen bleiben merkwürdig still. Wie finden sie den neuen Roman?
Die Operation Marketing scheint gelungen. Mit seinem neuen Roman Plateforme ist der 43jährige Autor von Elementarteilchen (1998) und Ausweitung der Kampfzone (1994) zum Literaturstar und Kanditaten des renommierten Prix Goncourt avanciert. Dabei mangelt es weder im Roman noch in den Interviews von Michel Houellebecq an reaktionären Äußerungen, die sich jeder political correctness entziehen. In der Literaturzeitschrift Lire offenbart er, dass ihm der Marschall Petain sympathischer sei als General Charles de Gaulle. Verachtungsvoll blickt er auf alle, die mit der Waffe in der Hand für ihre Sache kämpfen - »welcher Art auch immer«. Gemeint sind zweifelsohne die Palästinenser und Moslems, denn weiter heißt es, der Islam sei die dümmste all
es, der Islam sei die dümmste aller Religionen.Ausgelöst aber wurde der Medienrummel sicherlich durch seine Apologie des Sextourismus und der Prostitution. Ein brisantes Thema in Frankreich, wo seit einem 1994 erlassenen Gesetz sieben Männer zu schweren Gefängnisstrafen wegen Pädophilie im Ausland verurteilt wurden. »Prostitution finde ich sehr gut«, sagt Houellebecq in Lire, »und ich weiß, dass ich Recht habe. Das ist doch eine gar nicht so schlecht bezahlte Arbeit. In Thailand ist es sogar ein ehrenhafter Beruf, die Thailänderinnen sind nett zu ihren Kunden und verschaffen ihnen viel Vergnügen.« Die Kunden, das sind die armen Männer unserer neurotischen westlichen Zivilisation, die mit den emanzipierten Frauen hierzulande nicht mehr zurechtkommen. Für den Romanhelden Michel, der bis auf die angetraute Frau und den Hund dem Autor wie eine Stecknadel der anderen gleicht, ist der Sextourismus »die Zukunft der Welt«.Und was sagen die französischen Feministinnen zu dieser Anhäufung von Klischees und Zynismus? Vorerst strafen sie den Provokateur mit verächtlichem Schweigen und überlassen die öffentliche Diskussion den Herren der Schöpfung, die davon mit Genugtuung Gebrauch machen. Der Blätterwald rauscht nur so von wohlwollenden Kommentaren und Interviews. Radio und Fernsehen sind mit von der Partie. Guillaume Durand, der Nachfolger des französischen TV-Literaturpapstes Bernard Pivot, hat den Sextourismus-Apologeten zu seiner ersten Fernseh-Show der Saison geladen. Isabelle Germain, Vorsitzende des Verbands unabhängiger Journalistinnen (A.F.J.), war unter den Gästen, ihre Meinung jedoch war nicht gefragt. Sie weiß, dass nur wenige ihrer Kolleginnen den Mut haben, sich mit feministischen Themen in den Redaktionen zu profilieren. »Die französische Presse ist von Phallokraten beherrscht. Warum sollten Männer, von denen die meisten selbst die Dienstleistung von Prostituierten in Anspruch nehmen, gegen die Prostitution ins Feld ziehen? Durch einen Autor wie Michel Houellebecq fühlen sie sich nur gerechtfertigt und jubeln ihn zum Medienstar hoch. Er spricht dem Durchschnittsbürger der Mittelklasse nach dem Mund. Und in dieser Beziehung reagieren eben auch die Redakteure als Durchschnittsbürger.«Weniger resigniert gibt sich ihre Mitstreiterin Moira Sauvage, Mitglied im A.F.J. sowie im Frauen-Ausschuss von Amnesty International. »Ich habe vorgeschlagen, Houellebecq die Berichte thailändischer Prostituierten über ihr Schicksal als Sklavinnen des Sexgeschäftes, die hinter Schloss und Riegel gefangen gehalten, geschlagen und ausgebeutet werden, zu schicken. Er soll endlich zugeben, dass die meisten den Handel nicht freiwillig und aus Spaß an der Sache eingehen.«Florence Montreynaud, »Rudelführerin« der feministischen »Meute«, wollte zunächst einen Misthaufen vor Houellebecqs Verlagshaus Flammarion setzen. Aber letzten Endes hat sie sich überlegt, dass auch solche Aktionen nur noch für mehr Publizität und Aufruhr sorgen und die Auflage des Buches weiter in die Höhe schnellen lassen, was den Absichten des Provokateurs und seines Verlegers entspricht. 200.000 Exemplare von Plateforme sollen bereits in Druck gegeben sein. »Wir wollen ihn einfach mit Verachtung strafen, mehr verdient er nicht,« sagt sie. »Schließlich haben wir Wichtigeres zu tun. Es ist im Moment dringender, afghanische Frauen tatkräftig zu unterstützen. Auch haben wir alle Berufe, Familien und Kinder und können unsere Zeit nicht verschwenden.« Die engagierte Feministin, die mit ihrer »Meute« gegen sexistische Werbung öffentlich zu Felde zieht und sich unter anderem gegen die Zensur des umstrittenen Films »Baise-moi« eingesetzt hat, ist gegen jegliche Zensur von Autoren, Künstlern oder Cineasten. Folglich kann sie gegen Houellebecqs Roman nichts einwenden. Dagegen umso mehr gegen seine in Interviews offen verkündete Apologie der Prostitution, die sie schockiert. »Vielleicht könnte man gerichtlich gegen ihn vorgehen«, überlegt sie. Aber das braucht Zeit, und die genau fehlt ihr.Michel Houellebecq 1958 auf La Reunion geboren. Sein Vater ist Bergführer, seine Mutter Anästhesistin. Mit sechs Jahren wird er seiner Großmutter, einer Kommunistin, anvertraut. 1980 erhält er ein Diplom als Landwirtschaftsingenieur. Er heiratet, ist arbeitslos, wird geschieden. Wegen Depression verbringt er längere Zeit in psychiatrischen Kliniken. 1992 findet er eine Anstellung als Sekretär in der Verwaltung der Assemblée Nationale.Im selben Jahr erscheint sein erster Gedichtband La pursuite du bonheur, für den er den Tristan Tzara Preis erhält. 1994 wird sein erster Roman Ausweitung der Kampfzone von Maurice Nadeau herausgegeben. Außerdem arbeitet Houellebecq für mehrere Zeitschriften wie L´ Atelier du Roman, Perpendiculaires, Les Inrockuptibles.1996 erhält er für seinen zweiten Gedichtband Le sens du combat den Prix de Flore und wechselt den Verlag. Seitdem verlegt ihn Michel Sorin vom Verlag Flammarion. 1998 erscheint sein zweiter Roman Elementarteilchen, der in 25 Sprachen übersetzt wird. Eine CD erscheint, auf der Houellebecq seine Gedichte rezitiert, die von Bertrand Burgalat und Jean-Claude Vannier musikalisch untermalt werden. Heute lebt Michel Houellebecq in Irland, ist zum zweiten Mal verheiratet, hat einen Hund und ist Kettenraucher. Benoîte Groult, die berühmte alte Dame des Feminismus, Autorin des Bestsellers Salz auf unserer Haut, gesteht, sich beim Lesen von Houellebecqs Roman köstlich amüsiert zu haben - »viel mehr als bei der langweiligen autobiographischen Sexgeschichte von Catherine Millet«, fügt sie hinzu. Den Erfolg des Romans erklärt sie damit, dass »der Leser unter dem Vorwand von Literatur mit Pornographie bedient wird«. »Ohne es zu wollen, erbringt Houellebecq im Grunde den Beweis für die psychologische Misere dieser Art von Tourismus mit seinen Glücksillusionen. Man kann nur Mitleid mit dieser Form von sexueller Befriedigung haben. Der ganze Zynismus des Sex-Urlaubs-Konzepts wird offenbar, was sicherlich nicht in der Absicht des Autors liegt«, räumt sie ein. »Zudem schneiden die Frauenfiguren viel besser ab als die Männer. Sie sind großzügig und stark, die Männer eher schwach und vulgär. Was bleibt, ist der Ekel vor diesen in fernen Ländern gestrandeten Glückssuchern«. Bei allem Vergnügen, das ihr die Lektüre des Romans bereitet hat - für den Prix »Femina«, über den sie zusammen mit 15 weiteren Jurymitgliedern entscheidet, würde sie ihn nicht vorschlagen.Zu der »Femina«-Jury gehört auch Viviane Forrester, Literaturkritikerin und Autorin des Bestsellers Der Terror der Ökonomie. Die vehemente Globalisierungskritikerin findet den Roman »in punkto Stil und Form durchaus gelungen«. Eine weitere feurige Verteidigerin findet Michel Houellebecq in der Schrifstellerin Françoise Chandernagor, Autorin berühmter historischer Romane wie l´Allée du Roi. Schon 1998 wollte sie Houellebecq für Elementarteilchen mit dem Goncourt-Literaturpreis belohnt wissen, und will es dieses Jahr umso mehr.Angesichts dieser teils ambivalenten, teils resignierten, teils wohlwollenden Haltung französischer Feministinnen und renommierter Autorinnen bezieht zumindest eine Frau des öffentlichen Lebens eine klare Position: Claire Brisset. Seit Mai 2000 ist sie in der französischen Regierung »Défenseure des enfants«, eine Art Ombudsmann für die Rechte der Kinder. In ihrem Büro in der rue Saint-Dominique in Paris liegt der Roman von Michel Houellebecq gespickt mit Zettelchen und Anmerkungen neben Zeitungsausschnitten und Interviews des Autors auf ihrem Schreibtisch. Und die ehemalige Sprecherin des französischen UNICEF-Komitees zitiert sowohl die Romanfigur Michel aus Plateforme als auch den Autor selbst, um zu zeigen, wie sehr sich die Aussagen beider Michels überschneiden.
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