Judy Wajcman ist Professorin für Soziologie an der Research School of Social Sciences der Australian National University in Canberra und war mehrfach Gastprofessorin an der London School of Economics. Zur Zeit ist sie als Visiting Fellow am Oxford Internet Institute in Großbritannien tätig.
Bekannt wurde Wajcman vor allem mit ihrem Ansatz, soziale Technikgestaltung als theoretische Analyseperspektive zu verwenden (The Social Shaping of Technology, 1985) sowie mit ihren Arbeiten zur feministischen Technikdebatte (Feminism Confronts Technology, 1991, deutsch unter dem Titel Technik und Geschlecht 1994 erschienen). Ihre aktuellen Forschungen richten sich unter anderem auf eine Sozialtheorie von Technik und Geschlecht. Im vergangenen Jahr veröffentlichte Wajcman hierzu das Buch TechnoFeminism. Ihre Forschungen zur Soziologie von Arbeit und Beschäftigung hat sie in ihrem Buch The Politics of Working Life, das gerade erschienen ist, zusammengeführt.
FREITAG: Frau Wajcman, in Ihrem neuen Buch "TechnoFeminism" beschäftigen Sie sich mit dem komplexen Verhältnis zwischen Feminismus, Sozialtheorie und neuen Informations- und Biotechnologien.Wie sind Sie zu diesem thematischen Zuschnitt gekommen?
JUDY WAJCMAN: Ein Ausgangspunkt waren die Reaktionen auf mein Buch Feminism Confronts Technology. Sie machten deutlich, dass die frühen feministischen Analysen eher durch eine pessimistische Perspektive geprägt waren und tendenziell zu wenig über die Potentiale sagten, die Technologien auch für ein feministisches Veränderungsprojekt bieten könnten. Heute hingegen werden zunehmend Stimmen hörbar, die sich mit einem unbeschreiblichen Optimismus zu den neuen digitalen Technologien äußern. Die feministischen Stimmen unterscheiden sich in diesem Punkt häufig kaum von anderen, zum Teil sehr utopischen Prognosen über ein revolutionär neues digitales Zeitalter, in dem alles anders sein werde. Angesichts dessen war meine zentrale Frage, inwieweit damit Veränderungen für die Geschlechterverhältnisse verbunden sind.
Interessant ist, dass es parallel dazu einen Trend in den Sozialwissenschaften wie in der Geschlechterforschung gab, der eher wegführte von klassischen Formen der Strukturanalyse hin zu Forschungen, in denen Metaphern wie Hybridität, Flexibilität und Grenzverwischungen dominant sind. Auch der speziellere Strang der Wissenschafts- und Technikforschung bevorzugte Formen der Analyse, in denen Technik und Gesellschaft als in einem wechselseitigen Konstituierungsverhältnis betrachtet wurden. In ähnlicher Weise spricht heute auch die feministische Forschung von der Ko-Konstruktion von Technik und Geschlecht. Das bedeutet, dass der aktuelle theoretische Diskussionsstand, wenn man ihn grob so zusammenfassen will, deutlich in die Nähe postmoderner Ansätze und Denkweisen gerückt ist. Angesichts dessen war mein zentrales Anliegen in TechnoFeminism, dieses Spannungsfeld zwischen den eher pessimistischen strukturellen Analysen der Anfangszeit feministischer Technikforschung und den aktuellen Ansätzen, die hoffnungsfroh eher auf die Potentiale von Neuen Technologien setzen, in kritischer Weise neu zu betrachten.
Sie haben sich intensiv mit den Arbeiten der us-amerikanischen feministischen Wissenschaftsforscherin Donna Haraway beschäftigt. Was können wir aus Ihrer Sicht von Haraway lernen? Und wo setzt Ihre Kritik an?
Haraway hat mich auf eine Art fasziniert und gleichzeitig verrückt gemacht. Ihr Versuch, sehr gegensätzliche Perspektiven zusammen zu denken, sich als scharfe Kritikerin der Natur- und Technikwissenschaften zu verstehen und die neuen und spannenden Potentiale dieser Wissenschaften dennoch nicht einfach zu verwerfen, ist herausfordernd. Sie sieht hier Möglichkeiten, Geschlechterverhältnisse auf neue Weise zu deuten und zu leben. Für jemanden wie mich, die aus einer traditionellen soziologischen Ausbildung kommt, ist das hart. Ihre Texte verweigern sich dem Versuch, darin ein strenges logisches Argument im modernen erkenntnistheoretischen Sinne dingfest zu machen. Haraway bedient sich vieler Metaphern und literarischer Tropen. Aber obwohl mich der Stil ihrer Texte anfangs sehr irritierte, denke ich jetzt, dass diese Metaphern auch funktionieren. Es ist ihre Weise, das Verhältnis zwischen Diskurs und Materialität neu zu denken.
Meine Kritik richtet sich stärker gegen AnhängerInnen von Haraway, die einzelne ihrer Gedanken aufgreifen und sie einseitig für Analysen Neuer Technologien einsetzen. Denn dabei geht die Frage der Ungleichheiten, der postkolonialen Verhältnisse und der Klassenunterschiede verloren. Haraway selbst kommt ursprünglich aus einem feministisch-sozialistischen Kontext und hat diese Fragen keineswegs vergessen. Sie sind in ihrer Arbeit vorhanden, werden aber nicht immer rezipiert.
Wie lesen Sie in diesem Zusammenhang die cyberfeministischen Visionen von Sadie Plant?
Zwischen Sadie Plant und Donna Haraway sehe ich einen großen Unterschied. Sadie Plant argumentiert nicht auf der Basis einer fundierten Kenntnis der Wissenschaftsforschung und -kritik, wie Haraway. Ich meine, dass Plant den verführenden Möglichkeiten der Neuen Technologien irgendwie aufsitzt. Sie tappt, wie ich glaube, in die Falle eines feministischen Essentialismus. Ihre Annahmen, dass die neuen Netzwerkbeziehungen genuin nicht-hierarchisch wären, dass Frauen eine Art Affinität zu solchen Beziehungsformen aufwiesen, dass das Netz also einer weiblichen Kultur entspräche, all diese Überzeugungen halte ich für nicht weiterführend. Ich habe feministische Essentialismen noch nie für gut befunden und finde auch ihre neuen Versionen in Verbindung mit Technologie nicht brauchbar.
Was machen diese visionären technofeministischen Ansätze falsch, was wird in ihnen unterschlagen?
Etwas verallgemeinernd gesagt: Die neueren Arbeiten über Naturwissenschaften, Technik und Geschlecht, dies gilt zumindest für Großbritannien und für Australien, bekunden kein großes Interesse mehr an Fragen von Arbeit und Beschäftigung. Ich sehe einen starken Trend, der die Nutzung von Technik und ihre Bedeutung für die Konstruktion von Identität fokussiert. Die Tatsache, dass routinisierte, schlecht bezahlte Frauenarbeit am Computer selten zu einer Art spannendem Prozess der Identitätskonstruktion führt, erfährt dagegen nur geringe Beachtung. Das finde ich sehr beunruhigend. Ich halte es für wichtig, sich die neu entstehenden Sektoren des Arbeitsmarktes genauer anzuschauen, die Softwareindustrie, den Mediensektor, das heißt alle Bereiche der so genannten "new economy" und wissensbasierten Arbeit. Es ist notwendig, mehr darüber herauszufinden, ob sich da die Arbeitsbedingungen von Frauen und Männern unterscheiden, ob die Lohnungleichheiten sich verändert haben und so weiter. Solche Fragen zu stellen, scheint jedoch im Moment nicht sehr schick zu sein.
Inwiefern befinden sich solche Forschungsfragen in einem Widerspruch zu den genannten Techno-Visionen?
Ein gutes Beispiel ist Google. Die Mission von Google ist die weltweite Verteilung von Information. Vor einigen Jahren habe ich einen Artikel über das Unternehmen Google gelesen, in dem auch die Arbeitsumgebungen beschrieben wurden. Mit der Absicht, mehr über diese interessanten Arbeitsplätze der Zukunft zu erfahren, habe ich mich an Google gewandt und gefragt: "Können Sie uns bitte mitteilen, wie viele Frauen bei Ihnen beschäftigt sind und welche Art von Arbeit sie machen?" Ich bekam zur Antwort, dass diese Informationen privat seien. Sie würden mir dies nicht mitteilen. Man muss wissen, dass ich diese Antwort von einer Organisation bekam, die erklärtermaßen der ganzen Welt alle Informationen uneingeschränkt verfügbar machen möchte! Ich denke, man muss versuchen, diesen Medienhype um die wunderbaren Versprechungen der Neuen Welt immer ein bisschen anzukratzen.
Einer der Kernsätze am Ende Ihres neuen Buches lautet: "Wir können uns nur selbst befreien!" Sie argumentieren damit, wie mir scheint, auch gegen technikdeterministische Argumentationen aktueller Gesellschaftstheorien, die sagen, man könne den Prozessen des digitalen oder Informationszeitalters nichts entgegensetzen.
Absolut richtig. Als ich Mitte der 1980er Jahre zusammen mit Donald MacKenzie den Ansatz sozialer Technikgestaltung entwickelt habe, war unser zentrales Anliegen, technikdeterministische Tendenzen zu kritisieren. Heute haben wir eine Menge neuer Formen von Technikdeterminismus in den Diskussionen über Neue Technologien. Ich denke, wir sollten die gesellschaftlichen Veränderungen, die wir beobachten, nicht einfach den Technologien gutschreiben. Veränderungen sind auch und vor allem eine Sache der Politik. Hier muss feministische Politik ansetzen. Es handelt sich wie immer darum, alle Möglichkeiten für die Gleichheit der Geschlechter, die mit diesen technologischen Transformationen verbunden sind, auszuschöpfen.
Welche Möglichkeiten der Kritik und der politischen Veränderung sehen Sie unter den gegenwärtigen Bedingungen globaler Transformationen und neoliberaler Restrukturierungen?
Zunächst einmal ist es wichtig, nicht zu vergessen, dass weite Teile der Produktion, zum Beispiel von Mobiltelefonen, mittlerweile in China, Indonesien und anderen Ländern stattfinden. Man ist beeindruckt von den Wandlungen des Kapitalismus zu neuen Formen informationeller, immaterieller Arbeit, auch weil die materielle Produktion jetzt weiter weg ist als sie es früher war. Und viele der Fabriken, in denen gefertigt wird, sind voller Frauen, die diese Arbeit machen. Wir sehen nicht, unter welchen Bedingungen sie diese Arbeit machen. Dieses Verhältnis zwischen Technikproduktion und Technikkonsum versuche ich in meinem Buch hervorzuheben. Ich bin zugleich aber auch sehr optimistisch und gespannt, wenn ich an die Zusammenschlüsse von Frauen mit Hilfe von Informationstechnologie denke, zum Beispiel im Gesundheitsbereich. Ich glaube, dass das Netz Frauen zusammengebracht hat, um Lobbyarbeit zu machen und Wissen auszutauschen. Eine Menge politischer Bewegung wurde mit dem Internet mobilisiert. Ich begreife es als eine Art von Fortsetzung der frühen feministischen Zusammenschlüsse, nur weiter entwickelt, viel organisierter, globaler und sehr viel spannender.
Das Gespräch führte und übersetzte Tanja Paulitz
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