Verbohrt und faul

Psychologie Was lief nur schief beim jungen Hitler? Ein neues Buch tappt im Dunkeln
Ausgabe 11/2020
Adolf Hitler mit etwa 10 Jahren im Jahr 1899
Adolf Hitler mit etwa 10 Jahren im Jahr 1899

Foto: Imago Images/United Archives International

Wer über die Kindheit und Jugend Adolf Hitlers liest, denkt unvermeidlich daran, was später kam, Auschwitz. Wir wissen zwar, dass Hitler sich erst relativ spät, nämlich mit um die dreißig, das Vollbild seines vernichtenden Fanatismus zugelegt hat, dennoch lässt sich die Frage nach dem Warum und Woher nicht abstellen. Als Menschen des Jahrhunderts der Psychologie müssen wir glauben, dass auch ein Adolf Hitler in seiner Kindheit und Jugend geprägt wurde und dass da irgendetwas schiefgelaufen ist. Hannes Leidinger und Christian Rapp haben nun ein Buch darüber vorgelegt. Doch sie drücken sich schon im Titel um eine Antwort: Hitler – prägende Jahre. Kindheit und Jugend 1889 – 1914, das sind drei Feststellungen. Keine Frage, keine These, kein Narrativ.

Es wäre auch viel verlangt, nachdem es schon über 150.000 Schriften zu Hitler geben soll, von dem schmalen Band des Historikers Leidinger und des Kulturwissenschaftlers Rapp den entscheidenden Mosaikstein für ein an sich unlösbares Rätsel zu erwarten. Warum gerade diese Person mit dem größten Menschheitsverbrechen in die Geschichte eingegangen ist, darauf gibt es keine letzte Antwort. Nicht umsonst hat Hitler selbst schon frühzeitig begonnen, sich zu verschlüsseln. Es gibt kaum Quellen zu seiner Sozialisation, und die wenigen Zeugnisse von Menschen, die ihn in jungen Jahren kannten, sind nicht vertrauenswürdig.

Die österreichischen Autoren stützen sich größtenteils auf frühe biografische Skizzen, allen voran auf die Materialsuche des sozialdemokratischen Politikers Franz Jetzinger. Zentrale Quelle ist dabei sein Briefwechsel mit Hitlers Jugendfreund August Kubizek aus den Jahren 1948 und ’49. Dass es sich um nachträgliche Einschätzungen handelt, und nach der Erfahrung des Zivilisationsbruchs, bekümmert die Biografen wenig. Ein methodisches Innehalten an dieser Stelle und die Frage, ob sich jemand an einen Adolf Hitler ohne massive Färberei erinnern konnte, hätte vermutlich zum Stillstand oder zumindest zu einer Umleitung ihres Untersuchungsweges führen müssen. Stattdessen gehen Leidinger und Rapp nach Fahrplan vor. Sie schildern die solide Zollbeamtenfamilie, in die Hitler 1889 hineingeboren wurde, die auch für damalige Verhältnisse hohe Kindersterblichkeit im Haus – von sechs überlebten nur zwei – und eine wiederum geradezu lehrbuchhafte Eltern-Kind-Beziehung mit dem strengen und gewaltbereiten Familienvorstand Alois und der gütigen und nachgiebigen Mutter Klara. Dass der kleine Adolf mit Halbgeschwistern aufwuchs, mehrfach den Wohnort wechselte, dass es nach der Pensionierung des Vaters finanziell bergab ging, das alles ist nicht einmal aus heutiger psychologisierender Sicht bedenklich.

Bitte mal begründen

Die Schulzeit Hitlers verlief ebenso unspektakulär, auch wenn er sich mit seinen schlechten Noten, die für einen höheren Bildungsabschluss nicht reichten, ungerecht behandelt fühlte. Schon früh sei er durch „herrisches Auftreten“ aufgefallen, sei faul gewesen, habe sich treiben lassen, aber gleichzeitig für Höheres berufen gefühlt; man sieht es vor sich, das Pubertier, das später mit seinem besten und womöglich einzigen Freund hochfliegende Träume spinnen sollte. Hitler wollte Musiker werden, Maler, Architekt, hatte schon genaue Vorstellungen, wie er Linz und Wien neu bauen würde. Das alles ist bekannt. Doch dann, ganz unvermittelt zwischen dem Tod des Vaters, dem Umzug nach Wien und diversen Ausflügen in die Welt der königlich-kaiserlichen Kultur und Politik bieten uns die Autoren ein „Charakterbild“ an. Faul, realitätsfern, unbeherrscht, empfindsam und eiskalt, verbohrt, rechthaberisch, megalomanisch und narzisstisch sei Adolf Hitler gewesen. Der Attribute gibt es viel, nur, belegt und begründet werden sie nicht. „Die Einwirkungen des sozialen Umfeldes und der lokalen Geschehnisse in seiner Jugendzeit dürfen dabei nicht außer Acht gelassen werden“, schreiben sie. Das stimmt. Doch wie genau das alles zusammenhängt, das erklären sie nicht. Entweder war das Thema zu groß, oder das Buch ist zu klein.

Info

Hitler – prägende Jahre Hannes Leidinger Christian Rapp Residenz Verlag 2020, 224 S., 24 €

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