Seit Wochen pfeifen es alle Spatzen von den Dächern. Aber die Bundesregierung trickst und streut Parlament und Öffentlichkeit Sand in die Augen. Sie ließ die Staatsminister Zöpel und Volmer, Verteidigungsminister Scharping und den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses eine höchst eigenwillige Version der Wahrheit verkünden und versündigte sich am Ende doch an der Wahrhaftigkeit, einer tragenden Säule unseres demokratischen, freiheitlich verfassten Staates. Doch auf Wahrhaftigkeit haben nicht zuletzt diejenigen Anspruch, deren Söhne und Töchter in Einsätze der Bundeswehr geschickt werden. Für dieses Verhalten gibt es zwar Gründe, aber keinerlei Billigung.
Als die Abgeordneten des Bundestages am 16. November 2001 über
en es alle Spatzen von den Dächern. Aber die Bundesregierung trickst und streut Parlament und Öffentlichkeit Sand in die Augen. Sie ließ die Staatsminister Zöpel und Volmer, Verteidigungsminister Scharping und den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses eine höchst eigenwillige Version der Wahrheit verkünden und versündigte sich am Ende doch an der Wahrhaftigkeit, einer tragenden Säule unseres demokratischen, freiheitlich verfassten Staates. Doch auf Wahrhaftigkeit haben nicht zuletzt diejenigen Anspruch, deren Söhne und Töchter in Einsätze der Bundeswehr geschickt werden. Für dieses Verhalten gibt es zwar Gründe, aber keinerlei Billigung. Als die Abgeordneten des Bundestages am 16. November 2001 XX-replace-me-XXX252;ber die Teilnahme der Bundeswehr an Enduring Freedom entschieden, durften sie sicher sein, dass sich hinter den bereitgestellten "Spezialkräften" nicht die KSK-Truppe ("Kommando Spezialkräfte") verbarg, denn der Kanzler hatte den Einsatz von Kampftruppen - und um was handelt es sich bei der KSK-Truppe sonst? - am Boden in seiner Regierungserklärung acht Tage zuvor ausgeschlossen. Als Ziel der Anti-Terror-Operation unter US-Führung formulierte die Bundesregierung, Terroristen gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen. Ein hierzulande sozialisierter Parlamentarier assoziiert mit diesem Auftrag ein rechtsstaatliches Verfahren, wie es in der Verbrechensbekämpfung zur Anwendung kommt. Derselbe Abgeordnete muss aber seit Wochen täglich hören und lesen, mit welch willkürlicher Interpretation des Völkerrechts gefangene Taleban und al-Qaida-Kämpfer in Afghanistan und auf dem US-Stützpunkt Guantánamo in Käfigen gehalten werden, wie ihnen ein gesicherter völkerrechtlicher Status verweigert wird, wie sie zum Freiwild degradiert werden. Der Beschluss des Bundestages bindet den Einsatz von militärischer Gewalt strikt an das Völkerrecht. Die Öffentlichkeit hört jedoch fast täglich von Orten wie Tora Bora, wo bei der Erstürmung des Höhlensystems durch Angriffe aus der Luft wahllos Dörfer in der Umgebung zerstört wurden, sie hört von Kama Ado und Hasar Kadam, wo es zu "Kollateralschäden" unter der Zivilbevölkerung kam, oder von Mazar-i-Sharif, jener Stadt im Norden, die zum Schauplatz eines Massakers unter gefangenen al-Qaida-Kämpfer wurde, an dem unter bis heute nicht geklärten Umständen offenbar auch "Freedom"-Fighter beteiligt waren. Verständlich, dass bei solchen Nachrichten selbst eine Spielernatur wie der Kanzler die "uneingeschränkte Solidarität" nicht mehr wie eine Monstranz vor sich hertragen mag. Verständlich, dass er und sein Außenminister Deutschlands Reputation bei den Afghanen, denen wir als Führungsnation der ISAF ("International Security Assistance Force") demnächst höchst willkommen sein sollen, nicht verspielen wollen wegen einer deutschen Beteiligung an den hoch zweifelhaften Aktionen der US-Deltaforce und der britischen Spezialkommandos des SAS. Verständlich auch, dass Verteidigungsminister Scharping die in Deutschland sozialisierten, nach dem Soldatengesetz an Völkerrecht, Gesetz und Dienstvorschriften gebundenen Soldaten unserer "Parlaments"- Armee nicht öffentlich in die Wahrnehmungsnähe von sehr speziellen Truppen der Alliierten gerückt sehen will. Denn wer unter US-Kommando und damit nach den Regeln kämpft, die von der westlichen Vormacht für covert actions entwickelt worden sind, macht sich nach hiesigen Maßstäben zwangsläufig die Hände schmutzig, auch dann, wenn er sich selbst an die Regeln des Kriegsvölkerrechts hält. Die Soldaten des KSK versuchen laut Presseberichten zwar, Übergriffe ihrer amerikanischen Verbündeten vor Ort zu verhindern, aber sie machen Gefangene und übergeben sie einer Macht, die sie anschließend einer Behandlung unterzieht, die rechtsstaatlichen Grundsätzen Hohn spricht, sie mit der archaischen Todesstrafe bedroht und die Existenz der afghanischen Übergangsregierung ignoriert. Damit sind deutsche Soldaten Teil einer auch Menschen verachtenden Maschinerie und verletzen zudem Artikel 2 ihrer eigenen Verfassung, nämlich des Grundgesetzes. Mildernde Umstände kann man der Bundesregierung nicht einräumen, denn all das wäre zu bedenken gewesen, hätte sie eine universell gültige Handlungsmaxime: das respice finem. Das fortlaufende Täuschen des Parlaments und die Suche nach scheinbaren Sündenböcken in den Medien helfen nicht weiter. Der Druck im Kessel steigt bedrohlich, seit dem 16. Oktober 1998 ist dieses Land mit rot-grünen Eiterbeulen übersät. Nun wird ihm eine weitere hinzugefügt.