Verdient gewonnen

Symbolkraft Wegen eines Pfandbons warf man sie raus, doch sie schlug zurück. Zum Tod von „Emmely“
Ausgabe 14/2015

So wie die Welt eingerichtet ist, hobelt sie sich die Menschen zurecht, damit die in sie hineinpassen. Das ist so, das kann man nicht ändern. Es war vor Zeiten gottgewollt und ist heute, da das Kapital undurchschaubarer handelt, alternativlos. Aber es gibt Leute, die sagen: Nein, nur der Tod ist alternativlos. Eine andere Welt für die Lebenden ist möglich.

Ich weiß nicht, ob Barbara Emme so gedacht hat. Ich kannte sie, Emmely, als eine vor allem praktisch handelnde Frau. In die Medien geriet sie 2008, weil ihr fristlos gekündigt worden war von der Kaiser’s-Tengelmann GmbH wegen eines Diebstahls, den begangen zu haben sie stets bestritt. Fremde Leergutbons im Wert von 1,30 Euro sollte sie in einer Berliner Filiale, wo sie als Kassiererin arbeitete, eingelöst haben, was zu ihrer fristlosen Entlassung führte – gegen die sie vor Gericht zog, lange stritt, aber schließlich gewann. Emmelys Kündigung war eine von vielen dieser Art. Und doch ein wenig anders. Eine über Jahrzehnte bei ein und demselben Konzern zuverlässig arbeitende Angestellte – solche nicht zersiedelten Arbeitsbiografien werden immer seltener. Und Emmely wurde geschasst gerade zu einer Zeit, als man zur Kenntnis nahm, dass Bankmanager Millionen veruntreuten, verbrannten und dafür noch Boni kassierten. Dieser Widerspruch machte die Geschichte stark.

Und sie hatte eine großartige Heldin! Emmely schlug Krach, war störrisch, fiel auf. Sie zottelte nicht einfach im Gewerkschaftstross mit, sondern hatte den Mut zum Alleingang. Sie hat einen Wirbel veranstaltet, der in die Arbeitsgerichte fuhr, die seit Jahr und Tag geneigt sind, sich der Meinung der Arbeitgeber anzuschließen. Die Entrüstung der Öffentlichkeit gab Emmely zusätzlich Kraft. Ausnahmsweise war es eine Entrüstung, die auch auf den zweiten Blick richtig schien, heute noch richtig ist.

Nach langem Kampf bekam Emmely, was sie immer gefordert hatte. Die Kündigung musste zurückgenommen werden. Ich erinnere mich, dass ich mutmaßte, sie werde nach ihrem Sieg vielleicht Gewerkschafterin werden, aber doch nicht an ihre alte Kasse zurückkehren. Da kannte ich sie schlecht. Genau das wollte sie, darum hatte sie gestritten. Und das tat sie.

Vor wenigen Tagen ist Emmely, 57-jährig, überraschend gestorben. Sie war kein Kind von Traurigkeit, sah gern Bollywood-Filme, liebte ihren Zeltplatz am See und wollte 100 werden, „aber bitte immer gesund!“ Doch der Tod ist alternativlos. Alles andere im Leben nicht.

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