Verdruss und Gemüse

Grüne Auf seiner Sommertour schlägt das Führungsduo patriotische Töne an und will die „sozialliberale Lücke“ schließen
Ausgabe 34/2018

Robert Habeck, gewohnt verwuschelt unter dem Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald. Auf dem Weg zur Wartburg und am Hambacher Schloss. Es sind Orte der Vergangenheit, symbolisch besetzte und aufgeladene Orte, die der Chef der Bündnisgrünen den Rechten nicht überlassen will. „Des Glückes Unterpfand“ lautet das Motto der Sommertour, die er mit seiner Mitstreiterin an der Parteispitze, Annalena Baerbock, absolviert, entlehnt der deutschen Nationalhymne und eine offene Kampfansage. „Wir dürfen die Interpretation dessen, was Deutschland ausmacht, nicht den Rechtspopulisten überlassen“, doziert er im Schneidersitz auf dem Rasen zu Füßen des Cheruskerfürsten, der der Legende nach die Germanen geeint und siegreich gegen die Römer geführt hat. Aber wen will Habeck einen, angesichts einer von ihm wenig gelittenen linken Sammlungsbewegung und eines erodierenden und von der AfD ausgehöhlten konservativen Lagers? Wo ist die grüne Mitte? Bei der Bundeswehr, die Habeck besucht, oder bei Polizeieinheiten, die den grünen Spitzenkandidaten in Bayern plötzlich eine Visite wert sind?

Danke, Nahles

Versuche, „Heimat“ von links zu besetzen, gab es in den letzten Jahrzehnten zuhauf. Doch so offensiv wie der grüne Vorsitzende das national imprägnierte Terrain in Anspruch nimmt, hat das zumindest in der Ökopartei noch keiner gewagt. „Parteien“, belehrt er das ferne Berlin, „die sich nur auf ihr angestammtes Milieu beziehen, haben die Anforderungen der Zeit nicht erkannt.“ Eine Kampfansage also nicht nur an die politische Konkurrenz, sondern auch an die eigenen Reihen. Schon lange vor seinem Amtsantritt hat der schleswig-holsteinische Umweltminister deutlich gemacht, dass die damaligen Ansager in der Partei, Özdemir und Hofreiter, Peters und Göring-Eckardt, diese Botschaft nicht verstanden haben. Mit Baerbock, der „nah an de Leud“-Politikerin, wie es Kurt Beck einst formulierte, will er umsetzen, was mit der älteren, erstaunlich stillhaltenden grünen Garde nicht möglich gewesen wäre.

Das Klima – das naturatmosphärische und das politische – spielt der grünen Spitzen-Crew in die Hände. Auf 15 Prozent sind die Grünen in der Wählergunst hochgeschossen, und auf der Fahrt durch Rheinland-Pfalz berichtet Habeck auf Facebook von „glühenden Landschaften“, ausgetrockneten Feldern und Kühen, die in seiner Heimat notgeschlachtet werden müssen, weil die Bauern kein Futter mehr haben. Doch das Klima, der grüne Kassenschlager, ist nur ein Moment. Schon im Monat davor lag die Partei bei 14 Prozent, mitten im Streit über die Asylpolitik der Union. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und seine „Anti-Abschiebeindustrie“ lieferten hierfür die Vorlage, denn um als vehementester Gegenspieler der CSU wahrgenommen zu werden, reichte es aus, rechtsstaatliche Prinzipien zu verteidigen.

Zunächst schien es so, dass SPD, Linkspartei, FDP und Grüne sich noch schlagkräftig finden würden. Als Horst Seehofers Ankerzentren die Agenda dominierten, forderten SPD und FDP lediglich Konkretisierungen: die SPD, weil diese Abschiebelager ohnehin Teil des Koalitionsvertrags waren, die FDP, weil sie nur noch ein „Vollzugsproblem“ in den Bundesländern sah. Grüne, Linkspartei und die Gewerkschaft der Polizei machten dagegen verfassungsrechtliche Probleme geltend. Beim Bamf-„Skandal“ – der sich inzwischen als Falschmeldung herausgestellt hat – beantragten AfD wie FDP einen Untersuchungsausschuss, Letztere allerdings, „um die Gesellschaft zu befrieden“. Den Grünen, die keinen Antrag stellten, warf Christian Lindner vor, Bundeskanzlerin Angela Merkel schützen zu wollen.

Baerbock und Innenexperte Konstantin von Notz revanchierten sich mit einem Gastbeitrag zum „Mythos Flüchtlingskanzlerin“ in der FAZ. Darin nahmen sie die Legende über „Grenzöffnung“ und „Rechtsbruch“ auseinander, rechneten mit der Flüchtlingspolitik der vorangegangenen Großen Koalition und deren Asylrechtsverschärfungen ab. Gleichzeitig forderte SPD-Parteichefin Andrea Nahles von ihren Genossen, sich in der Flüchtlingspolitik stärker von den Grünen abzusetzen, just als die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen von der Seenotrettung der Lifeline berichtete. Ein ähnlich miserables Timing hatte Nahles hingelegt, als sie an die Grünen appellierte, im Bundesrat endlich der Einstufung der Maghreb-Staaten als sicheren Herkunftsländern zuzustimmen. Ausgerechnet an diesem Wochenende demonstrierten Tausende in Berlin gegen die Politik der AfD.

Zumindest die SPD muss sich also nicht darüber wundern, wenn die Grünen Wähler bei ihr einsammeln. Auch bei den Liberalen könnten sie wildern. Habeck geht es angesichts der „Achsenverschiebung“ in Europa darum, die „sozialliberale Lücke“ zu schließen und eine pro-europäische Machtoption zu schaffen, jenseits autoritär-nationaler Varianten. Angesichts der Tatsache, dass die Grünen trotz hoher Umfragewerte die kleinste Fraktion im Bundestag stellen, wirkt das ein bisschen hybrid. Auch die Linkspartei müsste hellhörig werden, denn um das junge urbane Milieu konkurrieren beide Parteien. Auf die jungen Neumitglieder der Linkspartei könnte der Streit über Migration und Sozialstaatspolitik abschreckend wirken. Der SPD haben die Grünen bei der Bundestagswahl bereits fast 400.000 Wähler abgenommen.

„Wir haben nicht mehr die klassischen Lager“, erklärt auch Baerbock, nach 100 Tagen Parteiverantwortung auf das „Versuchslabor“ der Grünen hin befragt. Im Gegensatz zu ihrem Mitstreiter konzentriert sie sich aufs Konkrete, auf die erhaltenswerte „wunderschöne Natur“ oder welche Folgen es hat, wenn Bahnhöfe geschlossen werden, ganz ähnlich wie die beiden Spitzenkandidaten in Bayern, Katharina Schulze und Ludwig Hartmann. Diese werben mit lebensnahen Themen wie Umwelt- und Artenschutz um das liberal-konservative Klientel, das sich von der kruden Asyl-Terminologie der CSU abgestoßen fühlt. Mit derzeit 17 Prozent in den Umfragen könnten die Grünen in Bayern zweitstärkste Kraft werden.

Gentechnik? Voll gut

So rosig wie in Bayern sieht es in den Ländern nicht überall aus. In Thüringen müssen die Grünen als Regierungspartei um ihren Wiedereinzug in den Landtag fürchten, in Baden-Württemberg kriselt die Koalition, in Bremen steht eine Urwahl an. Und in den meisten ostdeutschen Ländern herrscht ohnehin grünes Mau. Doch das, was die Öko-Partei in Bayern und im Bund vorexerziert, könnte zum Erfolgsrezept werden. Habeck und Baerbock ergänzen sich prima, sie wirken wie ein grünes Yin und Yang, der eine macht auf kinderverstehender Philosoph, die andere auf hörbereite Ostpflanze, obwohl Baerbock 1980 in Hannover geboren ist, mit Mann und zwei Töchtern im saturierten Potsdam lebt, für die Grünen aber im Wahlkreis Frankfurt/Oder kandidiert. Eben dort, wo es viel mehr Kinderarmut als anderswo gibt, wie sie sagt. Gerechtigkeitsfragen stehen beim grünen Spitzen-Duo wieder ganz hoch im Kurs, Mieterrechte, bezahlbare Wohnungen, Kindergrundsicherung, Arbeitnehmerrechte. Sozialsysteme, fordert Habeck, müssten in eine „neue Garantiesicherung“ umgebaut werden.

Baerbocks Sommertour führte deshalb durch den Osten der Republik, nach Rostock oder ins Anhaltinische und zur Tafel im brandenburgischen Teltow. Sie gibt Gemüse an verdrossene Hartz-IV-Empfänger aus, geht mit einem Landarzt auf Tour und erklärt überall, dass die Grundversorgung auf dem Land besser werden muss, von der Hebamme über den Landarzt bis hin zu Bahnhöfen und Bürgerämtern. Nein, man könne nicht überall alles vorhalten, aber überall etwas. Manchmal spricht sie auch von der Braunkohle in der Lausitz und einer SPD, die sich nicht vom Tagebau verabschieden kann. Das verstehen die Leute, auch wenn eine alte Frau Baerbocks Hinweis auf den Naturschutz entgegenhält: Sind wir hier in Halle nicht auch schützenswert?

Aber wie glaubwürdig ist der Gerechtigkeitskurs einer Partei, die Hartz IV forciert und zu verantworten hat und nun gegen Disziplinierungen und „Auswüchse“ des Systems antritt? Wie lange hängt ihr der Ruch an, den sozialen „Rest“ missachtet und vor allem die ökologischen Interessen der Bessergestellten vertreten zu haben? Das Projekt „grüne Volkspartei“ beinhaltet ja nicht nur, das konservative Milieu auf dem Land einzugemeinden, ohne die hippen Städter zu enttäuschen. Es muss in den eigenen Reihen auch den „nicht-nationalen“ Patriotismus vermitteln, den etwa die Sprecherin der grünen Jugend mit Argwohn verfolgt.

Die grünen Chefs werden aber auch erklären müssen, warum sie im neuen Grundsatzprogramm ein Essential grüner Politik, die Ablehnung jeglicher Gentechnologie, einfach abräumen wollen – und damit nicht nur die eigenen Fachpolitiker düpieren, sondern auch ihre gentech-kritischen Wähler, die in dem einschlägigen „Impulspapier“ erstaunt zu lesen bekommen, dass Biotechnologie, Nanotechnologie und Gentechnik „Krankheiten ausrotten oder heilen, Leben verlängern – und theoretisch sogar den Tod überflüssig machen“.

An der Konkurrenz, Union und SPD, lässt sich studieren, wie schwer es in immer ausdifferenzierteren Gesellschaften ist, eine Volkspartei auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zusammenzuhalten – wie viel schwerer wird es also sein, eine neue zu generieren? Im Januar stellte Habeck noch fest, die Homogenitätsvorstellung, die im Begriff Volkspartei stecke, sei überholt. Keinen Zweifel aber lässt das grüne Führungs-Duo aufkommen, dass sich die Kampfzone um die Wählergunst ausweiten wird. Bayern wird das Exempel – mit offenem Ausgang.

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