„Wir hatten wirklich das Gefühl, wir machen den besten sozialen Wohnungsbau, den es gibt“, erinnert sich der Architekt Christoph Sattler an die späten 60er Jahre. „Wir“ – das war die Neue Heimat, bei der Sattler 1966 als junger Planer angeheuert hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der gewerkschaftseigene Konzern innerhalb von eineinhalb Jahrzehnten bereits rund 200.000 Sozialwohnungen gebaut. Wie kein anderes Unternehmen stand er für einen hocheffizienten Wiederaufbau der Bundesrepublik, der nur eine Mission kannte: Wachstum, Wachstum, Wachstum.
Was das im Falle des Wohnungsbaus bedeutete, zeigt eindrucksvoll die von Hilde Strobl kuratierte Ausstellung über die Neue Heimat im Museum für Hamburgische Geschichte. Immer größer werde
3;er werden die Wohnsiedlungen, die der Konzern ab den 1950ern hochzieht, immer weitere Kreise ziehen seine Geschäfte auf anderen Kontinenten, in die die Neue Heimat ihren streng rationalen Ansatz eines neuen Städtebaus exportiert. Sie schiebt sogar das futuristische Klinikum der TH Aachen an, errichtet die raumgreifenden Kongresszentren ICC in Berlin und CCH in Hamburg. Nichts scheint unmöglich.Dann, im Februar 1982, endet diese wahnwitzig anmutende Unternehmensgeschichte mit einem Knall: Der Spiegel enthüllt Korruption in der Vorstandsetage und Schulden in Höhe von 200 Millionen D-Mark. Der bis dahin größte Wirtschaftsskandal der West-BRD leitet das Ende einer Epoche im deutschen Nachkriegsstädtebau ein. Und die Abwicklung der Neuen Heimat wird auch zum Beginn einer deutschen Wohnungsbaupolitik, deren Folgen heute in allen großen und vielen mittelgroßen Städten zu spüren ist und, als „Mietenwahnsinn“ geschmäht, regelmäßig Zehntausende auf die Straßen treibt.Dabei ist die städtebauliche Philosophie, die die Neue Heimat vertritt, von Anfang an vergiftet. Denn in der Ausstellung ist nicht nur „eine sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten“ – so der Untertitel der Ausstellung – zu besichtigen, die allein an der Gier der Vorstände scheiterte.Die Wurzeln der Neuen Heimat reichen tiefer. Ein Strang führt zu den Congrès Internationaux d‘Architecture Moderne, kurz: CIAM, zurück. 1928 von namhaften Architekten und Städtebau-Theoretikern gegründet, bereiteten sie den Bruch mit der historisch gewachsenen, dichten, unübersichtlichen Stadt vor. Die 1933 auf dem CIAM IV verabschiedete „Charta von Athen“ wurde zum Leitbild für die spätere Nachkriegsmoderne: die funktionale Trennung von Wohnen, Arbeiten, Unterhaltung und Verkehr auf je eigene Stadträume, die Schaffung weiter Zwischenräume, in die Licht und Luft dringen. Die Neue Heimat sei den CIAM-Prinzipien gefolgt, bekräftigt Christoph Sattler im Ausstellungsvideo.Das zeigt sich in der Tat in den Skizzen und Entwürfen der Großwohnsiedlungen, die die Neue Heimat errichtete: etwa Am Hasenbergl in München oder Neue Vahr in Bremen. Die lichte Weite zwischen den Wohnblöcken verwandelte sich in der Realität oft genug in eine soziale Leere. Die Wohnungen selbst mit ihren für damalige Verhältnisse großzügigen Grundrissen mögen eine Befreiung von der Enge in Altbauten gewesen sein. Doch in den Siedlungen selbst entstanden im Laufe der Jahre unvorhergesehen Konflikte.Die Limesstadt in Schwalbach am Taunus etwa, 1959 vom Neue-Heimat-Planer Hans Bernhard Reichow konzipiert – wenn auch nicht unter deren Regie –, geriet Ende der 1970er in die Schlagzeilen, weil Jugendbanden aus Langeweile ihr Unwesen trieben. Diese Problematik wird in der Schau mit Fotoarbeiten von Herlinde Koelbl indes nur angerissen, die Graffitis wie „wohnhaftiert“ oder „Beton kann töten“ zeigen.Hans Bernhard Reichow steht aber auch für einen zweiten Strang, der ins Dritte Reich zurückverweist. Seiner Vision von „organischen“ Stadtlandschaften haftet der Geruch der „Volkshygiene“ an, die über neue hygienischere Wohnbedingungen hinausgeht und immer auch den Schmutz der „ungesunden“ Stadt überwinden will. Reichow war Mitarbeiter beim „Generalplan Ost“, in dem die Nazis die Kolonisierung Osteuropas nach dem Krieg vorbereiteten. Gegen Kriegsende wurde er Berater des Arbeitsstabs für den Wiederaufbau zerstörter Städte unter Albert Speer. Für die Neue Heimat entwarf Reichow dann in den 1950ern frühe Siedlungen wie die Gartenstadt Farmsen in Hamburg oder die Neue Vahr in Bremen.Auch der Konzern-Name selbst ist ein Erbe des Dritten Reiches. Die gewerkschaftseigenen Wohnungsbau-Unternehmen wurden 1933 von den Nazis in die Deutsche Arbeitsfront eingegliedert und unter dem Namen Neue Heimat Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft zusammengefasst. Nach dem Krieg wurde deren Vermögen unter alliierte Treuhandschaft gestellt, bis es 1950 unter dem Namen Neue Heimat Hamburg einen Neuanfang als nun wieder gewerkschaftseigenes Wohnbau-Unternehmen gab.Die Strenge der CIAM-Prinzipien lockerte sich in späteren Neue-Heimat-Siedlungen zwar. Das gigantische Neuperlach bei München ist keine reine Wohnstadt mehr, Gewerbeflächen und Bürogebäude werden nun integriert. Der autoritäre Geist der Top-Down-Planung bleibt, daran ändert auch die Nähe zur Sozialdemokratie nichts. Der französische Philosoph Henri Lefebvre beklagte denn auch in Die Revolution der Städte (1970) den Ansatz, Menschen „in Schachteln, Käfigen oder ‚Wohnmaschinen‘ einschließen zu lassen“. Spätestens ab den 1980ern galt der städtebauliche Ansatz, für den die Neue Heimat stand, als überholt.Die Kohl-Regierung schüttete allerdings das Kind mit dem Bade aus. Im Zuge der Steuerreform von 1988 schaffte sie die Wohnungsgemeinnützigkeit ab, die die ökonomische Grundlage für die insgesamt 460.000 Sozialwohnungen der Neuen Heimat gewesen war. Im Sinne des neuen neoliberalen Geistes wurde der soziale Wohnungsbau fortan dem Markt überlassen – mit dem Ergebnis, dass er in den 2000er Jahren fast zum Erliegen kam. Heute fehlen nach Schätzungen des Pestel-Instituts vier Millionen Sozialwohnungen.Während es sinnvoll und rechtlich durchaus möglich wäre, die Wohnungsgemeinnützigkeit wiedereinzuführen, kann die Neue Heimat kein Modell für ein „Dienstleistungsunternehmen für die Allgemeinheit“ – so ein Werbeslogan – mehr sein. Allenfalls ihre Fähigkeit zur seriellen Fertigung von Wohngebäuden in kürzester Zeit lohnt eine genauere Analyse für die Nachverdichtung. Städtebaulich ist sie jedoch eine zweifelhafte Utopie von gestern.