Vergiftetes Klima

Ungarn Nach einer Verbalattacke gegen einen Rabbiner in Budapest zeigt sich die ungarische Regierung empört. Dabei hat sie am Rechtsruck im Land kräftig mitgewirkt
Der Gouverneur Miklos Horthy war Regent von Ungarn und verantwortete vor und während des Zweiten Weltkrieges eine antisemitische Politik
Der Gouverneur Miklos Horthy war Regent von Ungarn und verantwortete vor und während des Zweiten Weltkrieges eine antisemitische Politik

Foto: agence de presse Merisse/ Bibliotheque Nationale de France

Vor einem Jahr wurde ein Freund von mir, ein ungarischer Künstler, in einem Interview im ungarischen Rundfunk gefragt, warum er in Berlin lebe. Weil er sich dort als Jude sicherer fühle als auf Budapests Straßen, sagte er. Dafür kriegte er nach der Sendung mit den ungarischen Behörden eine Menge Ärger, er musste sich öffentlich entschuldigen und seine Aussage zurückziehen. Ihm wurde vorgeworfen, er übertreibe. Leider stellte sich jetzt heraus, dass er recht hatte.

Letzten Dienstag wurde der ehemalige, 90-jährige Hauptrabbiner von Ungarn unweit von seinem Haus auf der Straße verbal angegriffen und beschimpft. Ein Unbekannter brüllte ihm ins Gesicht, dass er alle Juden auf der Erde hasse. Die Attacke schien gut vorbereitet, es ist unvorstellbar, dass sie sich zufällig auf der Straße begegnet sind. Dass je gegen den Täter ermittelt wird, ist allerdings unwahrscheinlich. Die Meinung ist doch frei, oder?

Die ungarische Regierung hat die Tat in einer Erklärung verurteilt und versichert, alle radikalen, rassistischen und antisemitischen Aussagen und Aktivitäten und den Extremismus zurückzudrängen. Allerdings hat die Regierung selbst am Rechtsruck in Ungarn kräftig mitgewirkt, und zwar nicht hinter den Kulissen, sondern recht offen.

Ehrenmal für Horthy

So wurden in den vergangenen Monaten in ungarischen Städten mehrere Straßen und Plätze nach dem Gouverneur Horthy benannt, in einem Dorf unweit vom Plattensee wurde ihm zu Ehren sogar eine Statue aufgestellt. Horthy war der Regent von Ungarn vor und während des Zweiten Weltkrieges und war für eine antisemitische Politik verantwortlich. Aus Ungarn wurden bis Juli 1944 etwa 445.000 Juden deportiert; 437.402 von ihnen kamen ins NS-Vernichtungslager Auschwitz.

Ebenso symbolträchtig für die Orban-Regierung ist die erneute Beerdigung des Schriftstellers Josef Nyirő, der engagierter Anhänger des Nazi-Parteiführers und Nationalführers Szálasi war. Nyirő flüchtete nach der Niederlage der Nazis in Francos Spanien, wo er auch starb und bis jetzt begraben war. Die Neubeerdigung im rumänischen Székelyudvarhely (früher gehörte die Stadt zu Ungarn) wurde vom ungarischen Parlament mitfinanziert, seine Leiche wurde gegen den Willen der rumänischen Regierung nach Rumänien geschmuggelt. Und ganz nebenbei machte das Bildungsministerium seine Werke zur Pflichtlektüre an ungarischen Schulen.

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Geschrieben von

Agnes Szabo

Hospitantin, Medienmittlerin

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