Verhaltener Kommentator der miesen Lage

Der Kapitalismus braucht Feinde Der Kabarettist Matthias Beltz ist tot

Deutschland hat wenig zu lachen. Nach 1945 versuchten sie an die größtenteils ausgerottete Vorkriegstradition anzuschließen, die Kleine Freiheit, das Kommödchen, die Zwiebel, die Stachelschweine, die Lach- und Schießgesellschaft und wie sie alle hießen, in der DDR die Pfeffermühle und die Distel und manche andere. Dann setzte ein Riese neue Maßstäbe: Wolfgang Neuss. Als die Studenten respektlos wurden, zog auch in die Kabaretts ein neuer Ton ein, mit Hannelore Kaubs Bügelbrett und dann - nur zeitlich, nicht qualitativ zuletzt - mit den drei Tornados aus Berlin und mit Karl Napp´s Chaos Theater, von dem der harte Kern ab 1982 unter dem Namen Vorläufiges Frankfurter Fronttheater, kurz VFF, weitermachte, ein Trio, welches das hartnäckige Gerücht, die Achtundsechziger seien humorlos und könnten nicht über sich selbst lachen, spielend widerlegte. Einer von den drei Frontkämpfern war Matthias Beltz, der stämmige Mann mit der biederen Visage und dem dichten Schnauzer zwischen dem ewig schusseligen, jonglierenden Dieter Thomas und der verführerisch feixenden Hendrike von Sydow.

Der studierte Jurist ist dann später eigene Wege gegangen. Er war Mitbegründer des mittlerweile vielfach kopierten Frankfurter Varietés Tigerpalast, trat mit Soloprogrammen und mit dem geistesverwandten Kölner Kabarettisten Heinrich Pachl auf und kommentierte in Kolumnen und in Büchern die miese Lage der Welt. Beltz war auf eine sehr verhaltene Weise komisch. Niemals verspielte er eine Einsicht an eine Pointe. Er musste keine Grimassen schneiden und seinem Publikum das Lachen nicht suggerieren, um komisch zu sein. Das Vergnügen an seinem Witz war stets ein aufklärerisches. Er liebte es, auch und gerade seine linke Klientel zu irritieren, redete ihr, seit den Tagen von Karl Napp, nie nach dem Munde, aber im Gegensatz zu vielen seiner Mitkämpfer aus den siebziger Jahren hat er nicht versucht, sich äußerlichen Erfolg durch zeitgerechte Anpassung zu erschwindeln.

In seinem jüngsten Programm Eigenes Konto sagte Beltz, einen Gedanken aufnehmend, den der amerikanische Satiriker Art Buchwald in seiner Geschichte US is short of Reds schon vor rund einem Jahrhundert formuliert hat: "Der Kapitalismus braucht wieder Feinde, negative Helden. Die islamischen Fundamentalisten eignen sich ganz gut, aber es besteht die Gefahr, dass ihre Fronten zusammenbrechen unterm Ansturm der Globalisierung. Aus ethischen Erwägungen also ist der Kommunismus als Feind wieder nötig." Im Grunde war Beltz ernsthaft, fast melancholisch, als hätte er seinen vorzeitigen Tod vorausgeahnt. Matthias Beltz ist am Mittwoch vergangener Woche 57jährig einem Herzinfarkt erlegen.

Matthias Beltz hat es immerhin ins Fernsehen geschafft, ohne seine Seele verkaufen zu müssen. Er wurde sogar mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Aber im Grunde blieb er im Programm der Massenmedien eine Randexistenz. Die Art von politischem Kabarett, für das Beltz stand, ist in Deutschland kaum mehr gefragt. An seine Stelle ist die Zote getreten, die neudeutsche Comedy, die mit der Comedy eines Woody Allen oder von Englands Beyond the Fringe, dessen Dudley Moore - welch mysteriöse Koinzidenz - am selben Tag gestorben ist wie Matthias Beltz, noch weniger gemeinsam hat als das Kabarett mit dem Cabaret.

Statt Manche mögen´s heiß - Der Schuh des Manitu. Statt Matthias Beltz - Stefan Raab. Zwei Nachrufe an einem Tag. Es ist noch ein bisschen trauriger geworden in Deutschland und auf der Welt.

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