Verhältnismäßig verhaltensauffällig

Film Pfadfinder im Puppenhaus: Wes Andersons neuer Film "Moonrise Kingdom" erzählt die Coming-of-Age-Geschichte von Sam und Suzy

Wes Anderson macht Puppenhaus-Filme. In seinen penibel arrangierten Kunstwelten kommt jedem Detail ein fester Platz zu; es herrscht eine rigide Ordnung. Die Produktionsnotizen zu seinem neuen Film Moonrise Kingdom, der letzte Woche auch die Filmfestspiele von Cannes eröffnete, geben schon Aufschluss über die ästhetischen Vorgaben, auf denen das Wes Anderson-Universum beruht. Da ist viel die Rede von Inneneinrichtungen, Farben, Requisiten, Vintagemode und Musik. Es geht immer um Haptik, Oberflächentexturen und ganz nebenbei auch um die Griffigkeit von Genres, zu denen Anderson stets ein gespaltenes Verhältnis pflegt – was sich unter anderem in einer seltsam verhaltenen Affirmation von genrespezifischen Formalismen äußert. Sein Faible für Skurrilitäten und menschliche Verhaltensauffälligkeiten (Bill Murray spielt mittlerweile eigentlich nur noch Wes Anderson-Figuren, egal unter welchem Regisseur) verstärkt diesen Eindruck noch.

Andersons Filme folgen einer Genrelogik, die von seinen Figuren, wenn sie sich bewusstlos gegen das Erwachsenwerden stemmen, immer wieder gekonnt unterlaufen wird. In Moonrise Kingdom gipfelt diese regressive Disposition in der Erkenntnis, dass die Kinder im Grunde schlauer als die Erwachsenen sind. Rückblickend lässt sich so etwas natürlich leicht behaupten; wir schreiben das Jahr 1965. Sam und Suzy haben bereits eine Vorstellung von der Beschaffenheit der Erwachsenenwelt, und sie wenden deren Prinzipien konsequent auf ihre eigene Kindheit an. Sam „kündigt“ ordnungsgemäß bei seiner Pfadfindereinheit und entkommt durch ein Loch im Zelt in die Freiheit, während Suzy ihre erste Nouvelle Vague-Romanze durchlebt. Auf ihrem tragbaren Plattenspieler schmachtet Françoise Hardy, ihr blauer Lidschatten signalisiert eine Sehnsucht, die von allen erdenklichen Verehrern ausgerechnet ein nerdiger Junge mit Biberfellmütze erfüllen soll. Der kennt sich als Pfadfinder schließlich mit Überlebenstechniken aus. Und während die Erwachsenen (unter ihnen Bill Murray, Frances McDormand, Bruce Willis, Edward Norton, Tilda Swinton und in einem verblüffenden Cameo Harvey Keitel) in gewohnt hysterischer Manier die Strukturen von Andersons eigenwilliger Realität erkunden, verwandeln die jungen Liebenden eine einsame Bucht in ihr kleines Refugium.

Andersons Imaginationskraft kann die Beschränktheit seiner Entwürfe jedoch nie ganz verhehlen. Das Puppenhaushafte von Moonrise Kingdom schließt alles ein, was über seine Liebesgeschichte hinausweisen könnte. Jedem Ding sind eine Funktion und ein Platz zugewiesen, zur domestizierten Nostalgie des Puppenhauses gesellt sich das Ordnungsprinzip des Setzkastens. In Moonrise Kingdom fungiert ein alter Leuchtturm als ein solches Puppenhaus, dessen Räume die Kamera der Länge nach durchmisst. Der Querschnitt entspricht Andersons Logik des Zurschaustellens, diese Kamerafahrt findet sich in jedem seiner Filme als anthropologische Geste wieder. Doch das Skurrile seiner Figuren ist auch melancholisch grundiert. Woher diese Melancholie rührt, hat der Regisseur in Cannes zu erklären versucht. Schlüssel ist das Jahr 1965. Nur wenige Jahre später, so Anderson, würden Sam und Suzy in einem völlig anderen Amerika leben. Wenn Suzy eine Schere in das Pfadfinderhündchen bohrt und Bill Murray axtschwingend durchs Puppenhaus läuft, überschattet dieses neue Amerika bereits das Mondscheinkönigreich.

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