Verjüngt

Linksbündig Beim P.E.N. tagte man in diesem Jahr pragmatisch, effizient

Zentralhotel, Zentralbad, Zentralstation - in Darmstadt liebt man es zentral. Fehlt eigentlich nur noch Zentralkomitee, aber beim P.E.N.-Zentrum Deutschland, das in Darmstadt residiert und dort auch seinen Jahrestag 2002 abhielt, heißt das ganz normal Vorstand, und der wurde gerade fast vollständig ausgetauscht.
Nach Christoph Hein und Said muss man sich nun an einen Namen mit mehr als vier Buchstaben gewöhnen, aber so gewöhnungsbedürftig ist der Name von Johano Strasser nun auch wieder nicht. Als langjähriger Generalsekretär hat der Mann mit dem Wuschelkopf (Ex-Juso, aber das Haar garantiert ungefärbt) bisher schon großen Einfluss gehabt.
Bedauerlich an dem erneuten Wechsel nach nur zwei Jahren ist nicht nur ein Mangel an Kontinuität. Mit Said tritt ein P.E.N.-Präsident ab, der in politischen Fragen sehr ausgleichend gewirkt hat, insbesondere bei allen Problemen, die sich aus der Vereinigung von Ost- und West-P.E.N. ergeben haben, der auch als eine Art moralische Autorität in vielerlei Nöten und Konflikten von Autoren vermitteln konnte, und der sich bei öffentlichen Auftritten so wohltuend kurz, manchmal ultrakurz fassen kann, eine Qualität, die auch seiner Lyrik und seiner poetischen Prosa eigen ist. Aber vielleicht macht sein Beispiel ja Schule, wenn auch manche Beobachter befürchten, dass es unter dem Präsidenten Strasser häufiger zu dezidierten Stellungnahmen auch in rein politischen Fragen kommen könnte.
In einem Antrag zu Nahostkonflikt zeigte sich noch einmal, wie Said zu agieren wünscht: es wurde an die Autoren in Israel und in Palästina appelliert, der zunehmenden Rhetorik von Gewalt und Krieg in ihrer Region entgegenzutreten. Der Antrag wurde per Akklamation angenommen, wohingegen der Antrag einiger Mitglieder, den Bau eines World Art Centers anstelle des World Trade Centers in New York zu unterstützen, nur eine knappe Mehrheit fand.
Vor einem Jahr in Erfurt hatte es eine peinliche Debatte um die Stasi-Zuträgertätigkeit von Erich Köhler (IM "Heinrich") gegeben, der sich in einer von vielen als gespenstisch empfundenen Rede auch noch zu seiner unrühmlichen Rolle bekannt hatte, außerdem hatte es einen kleinen Eklat gegeben, weil kaum neue Mitglieder hinzu gewählt wurden und die wünschenswerte Verjüngung des P.E.N. ausblieb. Man hatte schon befürchtet, dass sich dieselbe Prozedur dieses Jahr wiederholen würde.
Aber dann traf in den Minuten vor Beginn der Tagung die Nachricht ein, dass die Vizepräsidentin des P.E.N., Elsbeth Wolffheim, zuständig für die Arbeit bei "Writers in Prison", in der Nacht in ihrem Hotelzimmer verstorben war. Da zudem die Tagung traditionell mit der Ehrung der verstorbenen Mitglieder beginnt - und diesem Jahr war dieser Teil besonders lang, besonders prominent (Brasch, Schleef, Heym ...) -, lag ein schwerer Schatten über der ganzen Veranstaltung. Schock und Tränen bewirkten, dass der P.E.N. plötzlich als ein menschlicher Zusammenhalt erlebbar wurde, als eine Solidargemeinschaft, und das hat alle weiteren Diskussionen vereinfacht, beruhigt, konzentrierter gemacht. Die Vorstandswahlen, die Zuwahlen von 30 neuen Mitgliedern und selbst der Ausschluss von Erich Köhler aus dem P.E.N. (wegen Verstoßes gegen die P.E.N.-Charta), der nach Vereinsrecht vollzogen werden musste, weil der Betroffene auch durch gutes Zureden nicht zum freiwilligen Austritt bewegt werden konnte - alles lief wohltuend pragmatisch und effizient ab.
Der neue Präsident und sein neuer Generalsekretär, der Autor und Kritiker Wilfried F. Schoeller, wurden mit einer nicht ganz üppigen Zweidrittelmehrheit der Anwesenden gewählt, die anderen Vorstandsmitglieder mit über 90 Prozent; die Stelle von Elsbeth Wolffheim nimmt nunmehr Karin Clark ein, die auch bisher schon mit der Arbeit für inhaftierte Autoren in der Welt befasst war.
Bleibt zu hoffen, dass ein verjüngter und von den Schatten der jüngsten deutschen Geschichte befreiter P.E.N., nunmehr die einzige Vertretung deutscher Autoren, da der Exil-P.E.N. London nicht mehr besteht, nächstes Jahr in Schwerin sich den Problemen der Gegenwart zuwenden kann, der gesellschaftlichen Rolle und der sozialen Lage von Autoren in einer Zeit industrieller Phantasieproduktion und der Vermarktung nach den Gesetzen der Popkultur. In den begleitenden Diskussionsveranstaltungen waren dazu schon hoffnungsvolle Ansätze zu erkennen.

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