Verklärt

Linksbündig Eine Orientalistentagung und das Phantasma der Verschwörung

Verschwörungstheorien haben in der westlichen Wahrnehmung von Islam und Orient eine lange Tradition, die Bedrohung durch den djihadistischen Islamismus nach dem 11. September etwa produzierte jede Menge mediale Verweise auf die Assassinen und Bin Laden als einer Art modernen Wiedergängers des "Alten vom Berge". Sie sind aber auch fester Bestandteil der politischen Öffentlichkeit in postkolonialen arabischen Ländern. So erwies sich etwa der Massenmord vom 11.9. auch als Treibsatz für moderne Verschwörungstheorien antiamerikanischer und antisemitischer Richtung.

Vor diesem Hintergrund konnte man auf einen Workshop mit dem Titel Orientalism and Conspiracy gespannt sein, der am letzten Wochenende an der Hamburger Universität stattfand. Dort sollte der Frage nachgegangen werden, wie verschiedene Formen von Verschwörungstheorien zum festen Bestandteil von "westlichen" wie "östlichen" Wahrnehmungen des jeweiligen "Anderen" geworden sind, die sich mit den Begriffen "Orientalismus" und "Okzidentalismus" umschreiben lassen.

Dass Verschwörungstheoreme auch in der wissenschaftlichen Zunft der Orientalisten munter blühen, zeigte sich in Hamburg an einer Auseinandersetzung um die amerikanische NGO Middle East Media Research Institute (MEMRI). Die von einem Israeli gegründete Organisation übersetzt Texte aus den arabischen und iranischen Medien, um die westliche Öffentlichkeit sowohl über antisemitische und antiwestliche Kommentare in den Medien des Nahen und Mittleren Ostens zu informieren, als auch über Reformdebatten und Demokratisierungsforderungen in der Region. MEMRI sieht sich indes regelmäßig dem Vorwurf der pro-israelischen und westlichen Einseitigkeit ausgesetzt. Mit diesen Vorwürfen setzte sich Martin Kramer vom Washington Institute for Near East Policy auseinander: In einer Polemik wandte er sich gegen den Mythos MEMRI sei eine durch Manipulationen und Kungelei mit der Bush-Regierung zu Macht und Einfluss gelangten Kamarilla aus konservativen Orientwissenschaftlern und Thinktanks. Gerade hatte aber Kramer die Angriffe einiger US-Nahostwissenschaftler gegen MEMRI kritisiert, da stellte die Mitarbeiterin des Hamburger Asien-Afrika Institutes Schirin Fathi im nächsten Beitrag unter dem suggestiven Titel "MEMRI.org - ein Werkzeug der Aufklärung oder der Aufstachelung?" einen Großteil eben dieser Vorwürfe erneut in den Raum.

Es stellt sich die Frage, was deutsche und amerikanische Orientalisten und Islam- und Nahostwissenschaftler eigentlich so aufbringt, dass sie sich zu verschwörungstheoretisch anmutenden Attacken hinreißen lassen? Offenbar hat sich in den Islam- und Orientwissenschaften eine spezifische Form postkolonialer Auseinandersetzung mit der Region breit gemacht: Gewissermaßen in Umkehr zu Edward Saids Vorwurf des "Orientalismus" ist die Zunft seit langem schon vor allem darum bemüht, das Bild vom Islam oder den Arabern hierzulande "sauber" zu halten. Das durchaus sinnvolle Anliegen, gegen einen rassistischen Diskurs über "den Islam" anzugehen, kehrt sich aber ins Gegenteil, wenn über in der Region verbreitete Phänomene wie Antisemitismus, Patriarchat oder "okzidentalistische" Feindbilder am liebsten ein Mantel des Schweigens gebreitet wird. So ging Karin Hörner in Hamburg soweit, die in arabischen Zeitungen angestellten Überlegungen, wonach Prinzessin Di umgebracht wurde, weil sie angeblich zum Islam konvertieren wollte, als Petitesse aus der Gerüchteküche abzutun, ohne den verschwörungstheoretischen Zusammenhang solcher "Gerüchte" erkennen zu wollen. Kein Wunder also wenn Organisationen wie MEMRI oder Wissenschaftler wie der Göttinger Politologe Bassam Tibi ins Visier der Zunft geraten.

Indem sie sich paternalistisch schützend vor den Gegenstand ihrer Forschungen stellen, generieren Orientwissenschaftler dabei aber selbst eine Art "positiven Orientalismus", der dem Gegenüber nicht auf gleicher Augenhöhe begegnet. Ausgerechnet zwei Wissenschaftlerinnen vom veranstaltenden Hamburger Asien-Afrika-Institut waren es so, die mit der Verklärung und Romantisierung der arabischen und islamischen Welt eine Tradition gerade des deutschen Orientalismus fortschrieben.


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