Verlage ohne Verleger

Ende einer Ära Was kommt nach Siegfried Unseld?

Die Nachricht von Unselds Tod kam für mich nicht aus heiterem Himmel, da seit längerem bekannt war, dass sich der Chef des Suhrkamp-Verlags seiner schweren Erkrankung wegen ganz aus dem Geschäft zurückgezogen hatte. Doch gleichgültig ließ mich die Meldung deswegen nicht. Ich las aus ihr sogleich etwas Symbolisches heraus, das die Dimension eines individuellen Schicksals übersteigt. Die Verlagsbranche, in der Siegfried Unseld mehr als vier Jahrzehnte lang an herausragender Stelle federführend tätig war, macht selbst nicht den gesündesten Eindruck: Sie brütet etwas aus, ohne dass sich mit Bestimmtheit sagen ließe, was.

Stirbt betagt wie Unseld ein Politiker, stirbt mit ihm nicht gleich die Politik. Das Verlagsgewerbe, so wie wir es bisher kannten, ist vielleicht aber weniger zählebig als die Politik. Das Ableben des Verlegers Unseld, kommt mir vor, fällt mit dem Ende einer Ära zusammen, für die in Deutschland der Name Suhrkamp emblematisch gewesen ist: von der "Suhrkamp culture" wurde bekanntlich sogar in den USA der siebziger Jahre gesprochen. Das Verlagsunternehmen dieses Namens wird zwar aller Voraussicht nach weiterbestehen und weiterarbeiten, jedoch in einer sich radikal umbauenden Verlagslandschaft, in der nur noch wenige der einstigen Wegmarken erkennbar geblieben sind.

Dieser Umbau hat das Verlagsgewerbe nicht nur in Deutschland erfasst und in seiner Substanz zu verändern begonnen. Der New Yorker Verleger André Schiffrin, dessen Vater Jacques Schiffrin in Frankreich die "Bibliothèque de la Pleiade" und später im New Yorker Exil zusammen mit Helen und Kurt Wolff die "Pantheon Books" gegründet hatte, brachte in einem auf deutsch bei Wagenbach erschienen Buch diese weltweit zu beobachtende Entwicklung auf die treffende Formel: "Verlage ohne Verleger". Damit wollte Schiffrin sagen, dass an die Stelle der Verlagsunternehmer heute die Finanz- und Marketingabteilungen von Medienkonzernen getreten sind, die von einer Saison zur nächsten wirtschaften und alles, was sich nicht kurzfristig rentiert hat, rasch wieder abstoßen. Auf einen Autor setzen, weil ein Verlegerinstinkt signalisiert, dass etwas Vielversprechendes in ihm steckt, das sich aber erst noch entwickeln muss und somit dem Verleger Geduld abverlangt, liegt modern ausgebildeten Managern vollkommen fern. Einem kaum mehr schreibenden Wolfgang Koeppen über Jahrzehnte die Treue halten oder einem von writer´s block gelähmten Uwe Johnson unbeirrt zur Seite stehen, wie Siegfried Unseld es tat, ist von Technikern des Marketing auch im Traum nicht zu erwarten. Welche Auswirkungen dies auf die Gestalt künftiger Literaturen haben wird, bleibt abzuwarten.

Verlegertreue, wie Unseld sie verstand und wofür ihm auch Respekt gebührt, war jedoch nicht ohne einen erheblichen Anteil patriarchalisch gefärbter Willkür zu haben. Eine Reihe von Autoren und auch ehemaliger Verlagsangestellter, die nicht wenig darunter zu leiden gehabt hatten, werden Unseld deshalb nicht nur nachtrauern. Autoritärer Führungsstil gehörte jedoch auch zu dem Erbe, das Unseld von dem aus dem alten S. Fischer Verlag stammenden Verlagsgründer Peter Suhrkamp übernommen hatte. Den literarischen Hauptteil des Suhrkamp-Erbes, das Werk Hermann Hesses und Bert Brechts, hat Unseld mit unbestreitbarem Geschick verwaltet und gemehrt. Was aus dem Suhrkamp Verlag wird, der keinen Verleger im Sinne Schiffrins mehr hat, steht vorläufig nur im Kaffeesatz.

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