Verlogene Übereinkunft

Der Fall Hohmann Antisemitismus und andere -ismen

Nun soll er also sein Mandat niederlegen und wie der General Günzel, der ihn ermunterte, den Rückzug antreten. Was bleibt von der Affäre übrig? War etwas daraus zu lernen - für junge Leute zum Beispiel? Unterwegs und von anderen Themen okkupiert, hatte ich anfangs den Skandal nur bruchstückhaft mitbekommen, irgendetwas im Radio, flüchtig in einer Zeitung im Zug, ein Stück Tagesschau. Ich sah moralische Empörung, große Gesten, Entschlossenheit, gewundene Erklärungen. Das Spießer-Grummeln wurde hörbar ("Darf man nicht mehr sagen, was man denkt ...?").

Es war sofort klar, es ging um Antisemitismus. Aber was genau hatte der Mann von sich gegeben? Irgendwann durfte er es im Fernsehen wiederholen, selbstgewiss, erstaunt über die Aufregung: Etliche Juden hätten die Oktoberrevolution mit betrieben und so das Unglück unzähliger Menschen verursacht, und darum seien auch die Juden ...

Inzwischen ist "ein Zeichen gesetzt". Das Tabu, das für antisemitische Auslassungen gilt, ist bekräftigt worden. Diese Grenze wurde erneut gezogen, und mit Sicherheit werden sich in der Öffentlichkeit die meisten Leute an sie halten. So weit, so gut. Nur - einer bestimmten unterirdischen Übereinkunft ist zu misstrauen, die weite Teile einer Gesellschaft verbinden kann: ein Wohlverhalten ohne Einsicht. Man beharrt unberührt auf seinen Ansichten und bestätigt sich gegenseitig darin. Das funktioniert umso leichter, nachdem die Geisteshaltung, aus der sich der Antisemitismus und andere Chauvinismen nähren, wieder voll bestätigt wurde.

Die ethnischen Kategorien, diese verdummende, aber populäre Methode, die Welt einzuteilen, sind ohne Einspruch hingenommen worden. Die Juden. Die Deutschen. Jemand pickt sich ein historisches Ereignis heraus, zählt die nationalen oder religiösen Zugehörigkeiten der Beteiligten durch und präsentiert uns Schlüsse über nationale Schuld. Das ist so gängig, dass von mancher Seite völlig harmlos und gutwillig die Frage kommen mag: Was ist denn daran falsch? Und man möchte kapitulieren, wenn man diesen blöden Konsens sieht, an den sich alle so gern halten, weil er plausibel wirkt und die Argumente gegen ihn fehlen.

Vor allem gilt in diesem Schema die Oktoberrevolution von 1917 als der Punkt in der Geschichte, von dem das Böse ausging. Daran zu zweifeln, scheint nicht denkbar. Es rührt sich auch wirklich kein Widerspruch. In diesem Geschichtsbild fehlt die kleinste Lücke, um sich auf den Ersten Weltkrieg zu besinnen, auf die Verelendung der Massen in wenigen Jahren, die Verantwortungslosigkeit der Kaiser, Zaren, Kriegsindustrien und Militärs, die Sehnsucht der Menschen nach einem tiefen Wandel. Für so eine Ahnung ist in dem simplen Geschichtsschema kein Platz. Alles liegt unverbunden in der historischen Erinnerung herum. Wie sich die Dinge entwickelten, bleibt ein Rätsel, selbst den Zeitzeugen.

Alle Nationalisten bedienen sich aus diesem Topf, der emotional leicht aufladbar ist. Ein Geschichtsbild, das auf ethnischen Kategorien beruht, ist perfekt zum Gebrauch für Manipulation, insbesondere für Aggressionen nach innen und außen. Eine Bedingung allerdings ist ein sicherer, zuverlässiger Hintergrund, den alle akzeptieren, ohne viel zu fragen. Dafür eignet sich immer noch der altbewährte Antikommunismus. Es wird ausgeblendet, dass Antisemitismus und Antikommunismus in der Vergangenheit eng beieinander lagen und unter den Nazis endlich fusioniert wurden, um ihre Staatsideologie zu begründen. Heute hat sich beides ein wenig getrennt und wird neu gemischt. Diesen über ein Jahrhundert lang eingesogenen, mitgeschleppten Antikommunismus, der seine reaktionäre Funktion nicht eingebüßt hat, haben in diesen Tagen alle braven Redner in ihren angestrengten Formulierungen wie nebenbei befestigt und bestätigt. Wer lacht da zuletzt?

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Geschrieben von

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden