Sie hinterlegen ihre Visitenkarten an U-Bahnhöfen, Bankautomaten oder in Telefonzellen. Auf der kleinen Pappe nur ein Link: www.diekartegefunden.com. Im Internet verabreden sie sich dann zur Demo gegen den gemeinsamen Feind.
Mit Masken und Sonnenbrillen verkleidet ziehen junge Leute seit Februar mindestens ein Mal im Monat gegen die Berliner Scientology-Zentrale in der Otto-Suhr-Allee. Nach einem kurzen, von lauter Techno-Musik begleiteten Protestmarsch durch den Bezirk Charlottenburg postieren sich dann stets mehrere Dutzend von ihnen neben dem Gebäude, das die selbst ernannte Scientology-"Kirche" die "Ideale Org" nennt. Während Polizisten für einen Sicherheitsabstand sorgen, skandieren die Protestler lautstark "Sciento-Lügen, Sciento-Lügen". Auf großen S
ßen Schildern fordern sie die Vorbeifahrenden zum "Hupen gegen Scientology" auf - was diese meistens auch befolgen.Ein junger Bayer, der sich mit Hut und Sonnenbrille verkleidet und Mr. Nym nennt, ist nicht zum ersten Mal dabei. Immer wieder reist er mehrere hundert Kilometer weit an, um an der Anti-Scientology-Demo teilzunehmen. "Das macht mir Spaß, da investiere ich eben mein Geld, und es geht um eine ernste Sache", sagt Mr. Nym, der seinen Namen dem Wort "anonymous" entlehnt hat.Die Protestbewegung hat sich von Amerika aus via Internet auch in Europa rasch ausgebreitet. Allein in Berlin soll es schon 50 Anonymous-Anhänger geben, ihre Kostümierungen stammen meist aus Hollywood-Filmen. Und so demonstrieren die Blues-Brothers und Kapitän Jack Sparrow aus Fluch der Karibik gegen Scientology. Am beliebtesten ist jedoch die Maske des Guy Fawkes aus dem Film V wie Vendetta, einer historischen Figur, die einst den englischen König umbringen wollte.Lieblings-Feindbild der HackerszeneDen Aktivisten geht es aber um mehr - sie wollen gleich eine ganze Organisation zur Strecke bringen. Ihr Unmut richtete sich ursprünglich gegen einen der bekanntesten Scientologen, den Hollywood-Star Tom Cruise. Von dem war im Januar 2008 ein für die Organisation peinliches Video auf Youtube zu sehen, in dem Cruise in großer Pose vor Tausenden Anhängern eine hysterisch-lachende Rede hielt, die aus teils zusammenhangslosen und infantilen Bemerkungen bestand. Mit einer Klage sorgte Scientology schließlich für die Entfernung des Videos.Seitdem rufen anonyme Computerfreunde zum weltweiten Internetkrieg gegen die in den USA beheimatete Organisation auf und sorgen dafür, dass die peinlichen Cruise-Szenen auch heute noch im Internet kursieren. Die Sekte wurde so innerhalb kürzester Zeit zum Lieblings-Feindbild der Hackerszene. Tausende User legten auf virtuelle Absprache hin die Internetseiten von Scientology lahm. Vermeintliche Scientology-Geheimdokumente wie "Dianetik für Kinder" wurden von der Spaß-Guerilla im Netz veröffentlicht. Sogar Büroscherze aus den achtziger Jahren wurden wieder belebt: In den USA sollen Kritiker schwarze Unendlich-Faxe an die Zentrale in Los Angeles geschickt haben - um deren Farbpatronen möglichst schnell zu entleeren.Immer mehr kritische Foren, Chats, Blogs und Videobotschaften gegen Scientology tauchen seit dem Beginn der elektronischen Protestkampagne im Internet auf. So berichtet der Scientology-Aussteiger Jason Beghe auf Youtube über die zwölf Jahre seiner Mitgliedschaft, in denen er unter anderem als Sprecher tätig war. Seine Botschaft: Scientology wolle seine Mitglieder total beherrschen, um ihnen durch horrende Kursgebühren große Geldsummen abzupressen.Auch gegen diese Veröffentlichung wehrte sich Scientology juristisch, das Beghe-Video musste aus dem Internet gelöscht werden - und wurde doch umgehend von YouTube-Nutzern wieder publiziert. So gleicht der Protest einem virtuellen Katz-und-Maus-Spiel. Mittlerweile soll auch Scientology kompetente Computer-Spezialisten angeheuert haben, um in dem Online-Scharmützel bestehen zu können. Die eigenen Webseiten sind zumindest seit den ersten Angriffen wieder stabil. Zeitweise soll Scientology sogar den Spieß umgedreht und die Kritikerseiten erfolgreich gehackt haben.Masken und andere Verkleidungen"Wir als Internet- und Youtube-User sind alle betroffen, weil wir gegen eine Zensur durch Scientology sind", sagt Mr. Nym. Die Sekte sei nicht nur gegen die demokratische Verbreitung von Informationen im Internet, sondern auch gefährlich für kritisch denkende Menschen. Daher tragen fast alle, die sich im Netz zur Demonstration an der Zentrale in Berlin verabredet haben, Masken und andere Verkleidungen. Nicht ohne Grund: Vom Dach und aus den Fenstern des Scientology-Gebäudes werden ihre Aktivitäten jedes Mal gefilmt. In Amerika soll die "Kirche" zwischenzeitlich bereits mehrere Aktivisten enttarnt und deren Fotos mit Namen und Wohnort veröffentlicht haben. "Scientology-Aussteiger und Kritiker werden verfolgt und zu unterdrückerischen Personen erklärt, die nach der Lehre des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard betrogen, belogen oder zerstört werden dürfen", warnt Mr. Nym.Die anonymen Demonstranten wollen nicht nur die Bevölkerung, sondern vor allem die Politik wachrütteln, damit Scientology in der Bundesrepublik verboten wird. Seit langem wird darüber hierzulande debattiert, auch ein Prüfungsverfahren wurde bereits eröffnet. Um ihrem Ziel näher zu kommen, haben Kritiker wie Mr. Nym ihren Protest längst von der virtuellen Sphäre des Internet auf die realen Straßen und Plätze der Republik verlagert. Bis zu einer Entscheidung gegen Scientology will man nicht nur demonstrieren, sondern auch die zahlreichen Dianetik-Stände in deutschen Städten stören. "Diese Stress-Teststände sind nur dafür da, um neue Scientology-Mitglieder zu werben. Viele Leute wissen einfach nicht, was sich hinter Dianetik verbirgt", sagt ein anderer Anonymous, der sich Super Tacco nennt.Offenbar haben die Kritiker damit einen Nerv von Scientology getroffen, denn deren Sprecherin Sabine Weber bestätigt, dass die Organisation derzeit lieber mobile Informations-Stände betreibe, als weitere kostspielige Vertretungen zu eröffnen. Dadurch würden mehr Menschen angesprochen, so Weber. Die gelernte Kommunikationsfachfrau gibt sich angesichts der monatlichen Proteste vor der Zentrale in Berlin gelassen. In den ersten Monaten hatte die Organisation noch Gegenfeste organisiert. Mittlerweile begnügen sich die Scientologen aber damit, wortlos Plakate hochzuhalten, auf denen Religions- und Meinungsfreiheit eingefordert wird.Wortlos hinter SonnenbrillenBefragen darf man die Träger der Schilder nicht, auch ihre Gesichter sind meist hinter Sonnenbrillen verborgen. Für Scientology spricht nur Sabine Weber mit der Presse. Sie meint, dass die protestierenden Jugendlichen vor allem durch kirchliche und staatliche Sektenbeauftragte verblendet und fehlgeleitet wurden. "Meinungsfreiheit sprechen wir denen durchaus zu. Aber den Anonymous-Leuten müssen wir Volksverhetzung, Droh-E-Mails, Drohanrufe, Morddrohungen, Aufruhr und Sachbeschädigung vorwerfen. Da ist ein harter Kern, der fanatisch ist und die große Mehrheit sind Leute, die einfach nur Party machen wollen", sagt Weber.Die Gefährlichkeit von Anonymous sollen Vorfälle wie jener belegen, bei dem in den USA Dutzende Briefumschläge mit verdächtigem weißem Pulver an Scientologen verschickt worden sein sollen, um Anthrax-Biowaffen-Attentate vorzutäuschen. In der Hamburger Scientology-Zentrale gingen jüngst zehn Fensterscheiben zu Bruch, an der Berliner Niederlassung wurde die Fassade beschmiert. Scientology stellte Strafantrag gegen Unbekannt. Nun wird ermittelt."Man kann Feuer nicht durch Feuer bekämpfen! Vermutlich hat Scientology die Sachbeschädigungen selbst organisiert, um uns zu diskreditieren. Wir wollen Gewaltlosigkeit", entgegnet Anonymous Super Tacco auf die Verdächtigungen. Obwohl bei Demonstrationen in Deutschland ein Vermummungsverbot gilt, wird der Aufzug der maskierten Protestler von der Polizei toleriert. Es gebe schließlich bei den Versammlungen keine Ausschreitungen, heißt es aus der Berliner Polizei-Pressestelle, die Scientology-Kritiker seien kooperationswillig und den Beamten namentlich bekannt.Der nächste Protesttag gegen Scientology ist schon angekündigt. Mit Sicherheit tauchen im Vorfeld wieder kleine Visitenkarten in der Stadt auf, um darauf hinzuweisen.
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