Veronika Munk über Ungarns Pressefeindlichkeit: „Mich überrascht nichts“
Global Assembly Veronika Munk hat schon selbst die Pressefeindlichkeit von Viktor Orbán zu spüren bekommen – und zog Konsequenzen daraus. Wie lässt es sich arbeiten in einem Land, das seine Medien immer stärker kontrolliert?
Sind bei Viktor Orbán nicht gerne gesehen: Pressemikros
Grafik: Dorothee Waldenmaier
Wer in Ungarn Journalismus machen will, muss starke Nerven haben. Veronika Munk arbeitete für ein Medium, das von einem Orbán-Freund gekauft wurde – daraufhin kündigte die Redaktion und gründete was Neues. Ein Gespräch über den Sinn von Journalismus.
der Freitag: Frau Munk, Sie arbeiten seit zwei Jahrzehnten als Journalistin in Ungarn, einem Land, dessen Premierminister Viktor Orbán als Feind der Pressefreiheit gilt. Wie ist das, wenn der mächtigste Mann im Staat Sie als seine Gegnerin betrachtet?
Veronika Munk: Als ich in den 2000ern als Journalistin begann, schnitt Ungarn im jährlichen Ranking von Reporter ohne Grenzen noch ziemlich gut ab. Heute stehen wir auf Rang 86 von 180 Ländern. Ich habe diesen Niedergang im Verlauf meiner Karr
ir auf Rang 86 von 180 Ländern. Ich habe diesen Niedergang im Verlauf meiner Karriere miterlebt, und die Situation ist gerade für unabhängige Medienschaffende wirklich sehr hart.Woran liegt das?Die große Mehrheit der Medien ist über regierungsnahe Geschäftsleute, reiche Oligarchen, mit den politisch Mächtigen verbunden. Dadurch ist der Medienmarkt stark zentralisiert und vom politischen Betrieb beeinflusst. Ein Beispiel ist die KESMA-Stiftung, eine eigentümliche Konstruktion, in der 500 Medien konzentriert sind. In den Gremien dieser Stiftung sitzen ausschließlich Menschen, die extrem loyal zur Orbán-Regierung sind. Der einzige Zweck von KESMA ist es, die politischen Ansichten der Regierung zu verbreiten. Und weil die Stiftung von Social-Media-Konten über Klatschblätter hin zu Radio- und Fernsehsendern, politischen Magazinen oder Frauenzeitschriften Hunderte Angebote bündelt, erreicht die Regierung jede Zielgruppe, die sie möchte. Das ist eine sehr effektive Methode. Herr Orbán redet sehr offen darüber, wie wichtig die Medien für die Erhaltung seiner Macht sind.Orbán ist seit 2010 durchgängig im Amt, seitdem hat Ungarn über 60 Plätze auf der Rangliste der Pressefreiheit verloren.Richtig, aber Orbán hatte schon eine erste Amtszeit, ab 1998. Vier Jahre später verlor er die Parlamentswahl, und das war genau der Moment, in dem er realisierte: Wir brauchen mehr Einfluss auf die Öffentlichkeit.Viktor Orbán behauptet derweil, die Pressefreiheit in Ungarn sei gewahrt, schließlich säßen keine Journalisten im Gefängnis. Was war in Ihrer Anfangszeit besser als heute?Ungarn ist kein Land, in dem Medienschaffende im Gefängnis sitzen oder gar umgebracht werden. Aber es gibt viele andere Methoden, unabhängige Medien abzuschrecken, etwa über den Zugang zu Informationen. In meiner Anfangszeit kam es eigentlich nie vor, dass ein Politiker oder eine Politikerin nicht ans Telefon gegangen wäre. Heute ist es extrem schwer, sinnvolle Antworten auf journalistische Fragen zu bekommen. Es gibt Pressekonferenzen, zu denen wir nicht eingeladen oder über die wir nicht informiert werden. Gleichzeitig bietet die Regierung jeden zweiten Donnerstag eine feste Pressekonferenz an, auf der wir unsere Fragen stellen können. So weit wie in Russland ist es also nicht. Es ist eine eigentümliche Mischung: Die Regierung will, auch in Richtung EU, zeigen, dass Journalismus und Pressefreiheit existieren. Mein eigener Arbeitgeber ist dafür ein treffendes Beispiel.Sie haben für die populäre Nachrichtenseite „Index.hu“ gearbeitet, die von einem regierungsnahen Geschäftsmann übernommen wurde. Der feuerte Mitte 2020 Ihren Chefredakteur, woraufhin Sie und über 80 weitere Journalisten „Index“ verließen und „Telex.hu“ gründeten.Der entlassene Chefredakteur Szabolcs Dull ist heute unser Chefredakteur bei Telex. Wir haben unseren Leserinnen und Lesern damals in einem Youtube-Video gesagt: Leute, wir sind jetzt Telex, ihr kennt uns seit 20 Jahren – bitte gebt uns Geld. Das war die Message. Und die Leute haben uns tatsächlich unterstützt und tun das immer noch, wir haben heute täglich 600.000 Leserinnen und Leser. In einem Land wie Ungarn ist das eine Menge. Es gibt offensichtlich eine Nachfrage nach faktenbasiertem Qualitätsjournalismus.War das die Lektion, die Sie aus der „Index“-Episode mitgenommen haben: dass Sie unabhängig sein müssen?Unabhängig sein ist die Definition von Journalismus. Das wussten wir schon vorher, das hat sich auch kein Stück geändert. Als Journalistin muss ich frei von allen Zwängen sein, die mich beeinflussen wollen.Wie kann man sich gegen solche Einflüsse immunisieren?Der Schlüssel ist finanzielle Unabhängigkeit. Wir mussten unserer Leserschaft klarmachen, dass es Geld kostet, einen Newsroom mit 100 Kolleginnen und Kollegen am Laufen zu halten. Es ist teuer, in die Ukraine zu fahren und über den Krieg zu berichten – für die Menschen in Ungarn, auf Ungarisch. Es ist teuer, Podcasts oder Praktika anzubieten, Lokalnachrichten von außerhalb Budapests zu liefern. Ich glaube, das haben unsere Leserinnen und Leser verstanden. Und ich glaube, dass das die Zukunft ist. Ob dann jemand zehn Euro in der Woche oder zehn Euro im Monat beiträgt, ist zweitrangig. Solange die Regierung nicht auf die Idee kommt, solche Modelle zu besteuern oder anderweitig zu behindern, ist das der Schlüssel.Wie schnell sich Gewissheiten ändern können, zeigten die Pegasus-Enthüllungen Mitte 2021. Ungarn war das erste Land innerhalb der EU, das die Spionagesoftware Pegasus auch gegen Journalisten einsetzte. Hat Sie das gar nicht überrascht?Mich überrascht leider gar nichts mehr. Es war einfach nur ein neuer Tiefpunkt. Szabolcs Panyi und András Szabó, die beiden betroffenen Journalisten, arbeiten für das Investigativportal Direkt36. Ich bin sehr gut mit ihnen befreundet. Telex hat damals die Story veröffentlicht, ich war eine der ersten Journalistinnen in Ungarn, die Bescheid wussten. Natürlich habe ich sofort mein eigenes Handy checken lassen.Heute hat man den Eindruck, dass die ungarische Regierung fast unbeschadet aus dieser Affäre hervorgeht. Wie hat sie das geschafft?Auch das war keine große Überraschung. Am Anfang hat sie das Thema einfach ignoriert, später hat es dann ein Politiker zugegeben und es gab eine Untersuchung. In dieser ging es darum, ob es legitim sei, solche Überwachungswerkzeuge gegen Journalistinnen und Journalisten einzusetzen, etwa, wenn die Sicherheit des Staates bedroht sei. Das hat die Untersuchung natürlich genau so bestätigt.Viktor Orbán schafft es, alles legal aussehen zu lassen.Es ist ja legal! Aus einer westlichen Perspektive mag das hier aussehen wie eine Art Potemkin’sche Demokratie, aber es ist alles legal.Dann ist es extrem schwer, die Dinge zu ändern.Ja, sie werden sich auch nicht ändern.Beschreibt das einen der Kernpunkte, die Orbáns illiberale Demokratie so interessant für die Länder in der Umgebung macht, etwa Polen oder Serbien?Dazu muss man ja nicht nur nach Osteuropa schauen, wo man immer diesen zwielichtigen Politikstil verortet. Autokratische Politikerinnen und Politiker gab und gibt es in den USA, in Großbritannien, in Italien. Es ist ein globaler Trend. Die Zeichen für autokratische Führung stehen gut, auf der ganzen Welt.Die EU hält derzeit mehrere Milliarden Euro an Fördermitteln zurück, um die ungarische Regierung zu mehr Rechtsstaatlichkeit zu bewegen. Ist Geld am Ende der einzige Hebel?Ich bin Journalistin, mein Job ist es nicht, die Politik zu beraten. Die EU hat viele Jahre nur geredet und „bitte“ gesagt – jetzt ist die Strategie eine andere. Das kann kleinere Veränderungen bewirken, aber ich bin skeptisch, weil ich nicht sehe, dass es Konsequenzen gibt. Ungarn wird das Geld am Ende bekommen.Trotzdem sagen Sie über sich, Sie seien Optimistin. Wie kann das sein?Mein Optimismus läuft parallel zu der Sinnhaftigkeit, die ich in meiner Arbeit finde. Es geht darum, den Menschen die Informationen zu geben, die sie brauchen, um sich frei eine Meinung zu bilden. Vielleicht nehmen Sie einen Mantel mit nach draußen, wenn ich schreibe, dass es regnet. Und wenn ich aufdecke, dass ein bestimmter Politiker korrupt ist, wählen Sie vielleicht einen anderen. Die Schwierigkeiten ähneln sich weltweit, deshalb freue ich mich auf den Austausch mit gleichgesinnten freien Geistern – wie auf der Global Assembly. Auf den Dialog mit Menschen, die in herausfordernden Situationen sind – aber mit ihnen umzugehen wissen.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1
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