Verpatzte Gelegenheit

Kommentar Katerstimmung bei den Zypern-Griechen

Und sie bewegt sich doch! Die Welt. In Zypern aber stehen die Uhren still. Mit dem Scheitern des Referendums haben sich die Insulaner nicht gerade ein Empfehlungsschreiben für Europa ausgestellt. Dabei sind die Zypern-Griechen so stolz darauf, als Musterkandidat unter den zehn Beitrittsländern zu gelten. Die Wirtschaftszahlen stimmen, in Sachen Menschenrechte gibt es nichts auszusetzen, ihr Parlament wählen sie demokratisch. Nicht wie im Nordteil des Landes, wo ein "sogenannter Präsident" in einem "sogenannten Staat" regiert. Bisher wurde diese Lesart der zypriotischen Verhältnisse überall unterstützt. Die Zypern-Griechen ruhten sich darauf aus, dass die türkische Invasion von 1974 sie ein für allemal zum moralischen Sieger erklärt hatte.

Seit dem 24. April allerdings ist die internationale Stimmung gekippt. Historisches Unrecht ist keine Entschuldigung dafür, drängende Veränderungen zu blockieren. Die Türkei ist nicht mehr der Krummsäbel schwingende Feind, und in Nordzypern hat die Opposition den ewig gestrigen Rauf Denktasch aus dem Sattel gehoben. Der Weg zur Wiedervereinigung war geradezu planiert und gefegt. Aber der rote Teppich, den UN-Generalsekretär Kofi Annan darüber ausgerollt hatte, war den Zypern-Griechen nicht glatt genug. Da gab es Beulen und geflickte Stellen im Gewebe des ins Auge gefassten "Föderativen Staates". Das haben sie nun mit ihrem klaren "Nein" reklamiert.

Am Morgen danach herrschte Katerstimmung. Sie wollten alles - und haben jetzt nichts. Auf der Insel bleiben die 35.000 türkische Soldaten, das griechische Eigentum im Norden ist weiterhin unerreichbar. Und die kooperative Haltung der Zypern-Türken wird mit finanzieller Unterstützung und ökonomischer Anerkennung aus dem Ausland honoriert. Die griechischen Zyprioten konnten sich einfach nicht vorstellen, dass ein "Nein" Konsequenzen haben könnte. Denn in den vergangenen 30 Jahren haben weder die UNO noch die Europäer auf verpatzte Lösungsversuche mit Taten reagiert.

Aber Europa braucht keine Streithähne an der Grenze zum Nahen Osten. Eine von Kompromissen getragene Wiedervereinigung auf Zypern wäre ein Zeichen der Verständigung zwischen alten Feinden und unterschiedlichen Kulturen gewesen. Ganz im Sinne der europäischen Idee. Diese Chance haben die frisch gebackenen Europäer auf Zypern nicht erkannt. Wenn sich jemals wieder die Gelegenheit zu einem neuen Referendum bietet, wie es griechisch-zypriotische Politiker jetzt kleinlaut fordern, bleibt offen, ob dann auch ihre türkisch-zypriotischen Landsleute die Lust zur Wiedervereinigung übermannt. So oder so rücken türkischen Zyprioten - auch im Windschatten Ankaras - einem EU-Beitritt näher. Sie sind es eigentlich, die sich am 24. April mit ihrem "Ja" für Europa qualifiziert haben. Nicht mit exzellenten ökonomischen Kennziffern, sondern mit dem Willen, aus der Geschichte zu lernen.


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