Wir wollen die solidarische Altersversorgung erhalten", versicherte Kanzlerin Merkel in ihrer ersten Regierungserklärung. Die Koalition wolle das Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme wieder herstellen, ergänzte Matthias Platzeck. Sieht man sich die tatsächliche Politik an, wird eine andere Strategie offenbar: sie zielt auf eine Erosion des Vertrauens in die solidarische Rente. In den Koalitionsvereinbarungen ist die Rede von einer vierjährigen Nullrunde. Christian Wulff spricht gar von zehn Jahren. Die Drohung, das Renten-Eintrittsalter auf 67 zu erhöhen, verunsichert zusätzlich. Das Vertrauen in die gesetzliche Rente wird systematisch erschüttert. Ich glaube dabei nicht an Zufälle oder die Dummheit der Verantwortlichen.
Die Lebensversicherer haben die Riester-Rente und andere Formen der Privatvorsorge bisher schlecht verkauft, wittern hier aber das Geschäft der Zukunft. Wenn das Vertrauen in die gesetzliche Rente schwindet, verschafft ihnen das beste Verkaufsargumente. Von der traditionellen Rente kann man nicht mehr leben, wirbt die Versicherungswirtschaft unablässig, während die Berliner Koalitionäre das Terrain bereiten, um dieser zerstörerischen Botschaft die rechte Glaubwürdigkeit zu verleihen. Sie gebärden sich wie bezahlte Werbeagenten der Lebensversicherer. Ohne zu zögern, setzen sie - trotz knapper Kassen - die staatliche Subvention der so genannten Förderrente fort. Obwohl die Koalition angeblich überall sparen muss - hier kommt es ihr nicht in den Sinn.
2006 kostet diese Subvention nach neuesten Schätzungen 870 Millionen - 2008 schon über zwei Milliarden Euro. Damit subventionieren wir alle die Versicherungskonzerne. Sind wir im Wahlkampf gefragt worden?
Offenbar konnte sich die Branche auf die weitere Subventionsbereitschaft aller Fraktionen im früheren Bundestag verlassen. Anders ist nicht zu erklären, dass die Allianz AG noch vor der Wahl im Verbund mit der Bild-Zeitung eine große Kampagne für die Riester-Rente startete. Einen derart teuren Feldzug hätte auch ein großes Unternehmen wie die Allianz nicht begonnen, wäre sie nicht sicher gewesen, dass jede Regierung - gleich welcher Farbe - die Privatvorsorge auch nach dem 18. September fördern wird.
Dahinter steckt eine langfristig angelegte Strategie der Versicherungswirtschaft, die sich der Politik als ihres Werkzeugs sicher sein kann. Da ich in meiner früheren Tätigkeit als SPD-Wahlkampfplaner und als Leiter der Planungsabteilung im Kanzleramt des Öfteren daran beteiligt war, Strategien zu formulieren, um Meinungen zu beeinflussen, kann ich mich gut in das Denken derer versetzen, die für Lebensversicherer und Banken Planungen entwickeln, um die gesetzliche Rente zu diskreditieren.
Wäre ich in ihrer Rolle, hätte ich in etwa notiert: Die weitere Dynamik der Versicherungswirtschaft und des Bankensystems ist wesentlich darauf angewiesen, das Betätigungsfeld der privaten Lebensversicherer zu erweitern. Deshalb sollten wir uns daran erinnern, dass die gesetzliche Rente allein mit den Beitragseinnahmen - bezogen auf 2002 - ungefähr das Dreifache der privaten Lebensversicherer umsetzt. Wenn es uns gelingt, nur zehn Prozent dieser Beiträge auf private Vorsorge umzulenken, erzielen wir ein Umsatzplus von etwa 25 Prozent (gleich 15 Milliarden Euro). Wir müssen daher alles tun, um die gesetzliche Rente zu diskreditieren und können dabei von folgender Situation ausgehen: Weil die sozialen Kosten der deutschen Einheit den Sozialkassen aufgebürdet wurden, mussten die Beiträge zur Rentenversicherung um vier bis fünf Prozent erhöht werden, was die Beitragszahler belastet, aber zugleich half, die Beitragsstabilität als Ziel der Politik zu verankern. Insofern ist es gelungen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Renten nicht mehr steigen können, folglich schwindet die Überzeugung der Menschen, dass diese Art der Altersvorsorge für ihren Lebensabend ausreicht. Außerdem sollte das demographische Problem mit den Argumenten dramatisiert werden: Es gibt zu wenige Kinder, wir leiden unter dem Wenigerwerden. Der Generationenvertrag trägt nicht mehr. Die Generation der Rentner lebt auf Kosten der jungen Generation. Die Arbeitslosigkeit und die schlechte Konjunktur müssen wir nutzen, um die mangelnde Solidität kollektiver Sicherungssysteme wie der gesetzlichen Rente immer wieder sichtbar zu machen. Deshalb haben wir kein sonderliches Interesse, die Rezession schnell zu überwinden.
Soweit Elemente einer Strategie, um die gesetzliche Rente zu diskreditieren und die Privatvorsorge zu befördern. Sie entspricht ungefähr dem, was wir seit Jahren erleben. Dass sich die Politik Einzelinteressen ausliefert, wäre notfalls hinzunehmen, gäbe es tatsächlich relevante Vorteile einer privaten Vorsorge, doch davon kann keine Rede sein. Die Privatvorsorge ist unsicherer als die gesetzliche Rente. Das zeigt der Zusammenbruch derartiger Systeme in den USA, in Großbritannien, in Osteuropa wie in Südamerika.
Zudem ist die Privatvorsorge das teurere Verfahren. Die Kosten für Betrieb und Vertrieb des Kapitaldeckungsverfahrens sind um vieles höher als für das Umlageverfahren. Der Betrieb für Letzteres kostet in Deutschland maximal vier Prozent der eingezahlten Beiträge, die Riester-Rente verbraucht rund zehn Prozent für Verwaltung und Vertrieb.
In Chile liegt der vergleichbare Wert sogar bei rund 18 Prozent. Dort wurden zu Zeiten der Pinochet-Diktatur die Arbeitnehmer gezwungen, in eine Privatvorsorge zu wechseln, die inzwischen auf breiter Front zusammengebrochen ist. Der Staat muss mit Steuergeldern die entsprechenden Systeme nachfinanzieren, will er extreme Altersarmut vermeiden. Deshalb hatte Präsident Ricardo Lagos bei einem Berlin-Besuch im Januar empfohlen, die Erfahrungen seines Landes bei der deutschen Altersvorsorge mit einzubeziehen. Der Rat verhallte ungehört.
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