Der englische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze ist seit seiner Kontroverse mit Götz Aly in Deutschland kein Unbekannter. Der Grundthese von Alys Volksstaat, beim Dritten Reich habe es sich um eine Gefälligkeitsdiktatur gehandelt, widersprach er vor zwei Jahren vehement. Seine nun auf Deutsch vorliegende Studie Ökonomie der Zerstörung liest sich in Teilen wie eine Fortsetzung der damaligen Auseinandersetzung. Dabei ist sein Anspruch, der zu Beginn des 900 Seiten starken Werkes formuliert wird, kein geringer: "Dieses Buch ist das erste im Laufe von 60 Jahren, das die Funktionsweise der deutschen Kriegswirtschaft wirklich kritisch betrachtet."
Das eigentliche Thema von Tooze ist die Frage nach dem Verhältnis von Wirtschaft und Ideologie im Nationalsozialismus. In weiten Teilen der Forschung werden diese beiden Sphären als miteinander unvereinbar betrachtet. Als Beleg dafür wird oft der Widerspruch zwischen im Krieg dringend von der Wirtschaft benötigten Arbeitskräften und dem gleichzeitig stattfindenden Völkermord angeführt. Tooze zeigt in seinem Buch dass der ökonomische und ideologische Imperativ nicht gegensätzlich funktionieren müssen, vor allem wenn man ersteren nicht allein auf die Frage der Arbeitskraft reduziert. Denn es war das Ernährungsproblem im Krieg das, neben der Rassenideologie, den entscheidenden Faktor für die Massenmorde im Osten bildete. Um eine Ernährungskrise wie im Ersten Weltkrieg in Deutschland zu vermeiden, sollten im "Generalplan Ost" 30 Millionen Slawen getrost dem Hungertod ausgesetzt werden. Die Lebensmittelversorgung Deutschlands, seiner Soldaten und seiner Arbeitskräfte hatte Priorität vor allen anderen - auch rassenideologischen - Erwägungen.
Eine Wirtschaftsgeschichte des Dritten Reiches, so Toozes Überzeugung, macht die Motive von Hitlers Aggressionspolitik klarer und kann die Gründe für ihr Scheitern benennen. Denn den Dreh- und Angelpunkt der Hitler´schen Politik, so die überraschende Pointe seines Buches, bilden die USA. Diese These wird aus dem so genannten Zweiten Buch Hitlers abgeleitet, das, als Fortsetzung von Mein Kampf geschrieben, erst 1961 von Gerhard Weinberg veröffentlicht wurde und für Tooze eine wichtige Quelle darstellt. Mit Blickrichtung darauf wird ihm die nationalsozialistische Spirale der Gewalt bis hin zum Feldzug gegen die Sowjetunion nur Mittel zu einem letzten Zweck: der Konfrontation mit der Weltmacht USA.
Dass Hitler 1939 den Krieg gegen Polen eröffnete ist für Tooze so ein simples Problem des Zeitzwanges: Mit einer "weiteren Verzögerung hätte er nichts mehr zu gewinnen gehabt." Nach dem anschließenden Sieg im Westen und der Desillusionierung über das Wirtschaftspotenzial des neuen "Großraums", war der Angriff auf die Sowjetunion die einzige Möglichkeit, den Folgen der britischen Blockade etwas entgegen zu setzen und den USA auf längere Sicht Paroli bieten zu können. Erze, Getreide und Öl erhoffte sich das chronisch unter Ressourcenmangel leidende Regime - auf Kosten der dort ansässigen Bevölkerung - im Osten Europas zu holen. Es ist also weniger Ideologie als ein ökonomischer Zwang, mit dem Tooze das "Unternehmen Barbarossa" erklärt. Insgesamt gab es zu keinem Zeitpunkt des Krieges aber eine kohärente Strategie, die Diplomatie, militärische Pläne und wirtschaftliche Anstrengungen miteinander auf einen realistischen Nenner brachte. Deutschland glaubte 1941 zwei Kriege gleichzeitig führen zu können, obwohl es für einen bereits ökonomisch zu schwach war.
Hitlers Lösung für "Deutschlands Probleme" war der Krieg und die Eroberung dringend benötigter Rohstoffe im Kampf um Lebensraum. Für die Wirtschaftspolitik hieß das: "Alles für die Wiederaufrüstung." Die Zwänge der negativen Handelsbilanzen und die chronische Devisenknappheit Deutschlands, der Mangel an wichtigen Rohstoffen für die Rüstungsindustrie, aber auch die massiven Einschränkungen bei Konsumgütern und bei staatlichen Hilfen für private Investitionen - alles wurde dem Primat der Wiederaufrüstung untergeordnet. Die "Finanzkünste" eines Hjalmar Schacht, der erste Vierjahresplan unter Göring und die Besetzung aller wichtigen Abteilungen des Wirtschaftsministeriums mit politisch verlässlichen Nazis folgten nur einem Zweck: die deutsche Wirtschaft in kürzester Zeit kriegsfähig zu machen. Die Kosten des Krieges sind aber für Tooze, anders als für Götz Aly, in der Hauptsache von der deutschen Bevölkerung getragen worden. Der im Vergleich zu den USA oder England niedrige Lebensstandard in Deutschland wurde durch Aufrüstungsmaßnahmen und Krieg nur weiter zementiert. Die Interessen der Verbrauchsgüterindustrien und der Bauernschaft wurden, trotz Blut-und-Boden-Rhetorik, einseitig der Rüstung geopfert.
Die stärksten Momente hat Toozes Buch da, wo es mit hartnäckigen Mythen aufräumt. So zeigt es etwa, dass kein einziger ziviler Konsument, im Gegensatz zur emphatischen Rede einer Motorisierung des "kleinen Mannes", je einen Volkswagen im Dritten Reich bekommen hat. Und auch die 1933 lauthals angekündigten Arbeitsbeschaffungsprogramme, allen voran der Autobahnbau, entlarvt Tooze als reine Rhetorik und "gebaute Reklame." Angesichts der Millionen von Arbeitslosen war die Zahl der dort Beschäftigten - auf dem Höhepunkt 1934 gerade einmal 38.000 - lächerlich gering. Es war einzig die Aufrüstung, in die von Anfang an gewaltige Summen flossen und die vor allem der deutschen Schwerindustrie und der Chemie, allen voran der IG Farben, volle Auftragsbücher einbrachten. Die Remilitarisierung Deutschlands wurde aber zu Beginn, neben weiten Teilen des Unternehmertums, von der Bevölkerung begeistert mitgetragen und bildete, so die provokante These, als Versprechen auf die Zukunft "einen mehr als ausreichenden Ersatz für privaten Wohlstand."
Der Fokus von Toozes Wirtschaftsgeschichte liegt insgesamt auf der Schwerindustrie, auf Kohle und Stahl als den beiden bedeutendsten Rohstoffen für die Militärmaschinerie. Während daneben die Landwirtschaft in ihrer Bedeutung präsent bleibt, wird die Konsumgüterindustrie in seiner Studie weitgehend vernachlässigt. Noch viel mehr gilt das für die Unterhaltungsbranche, der das Regime eine wichtige Rolle für die Stimmung in der Bevölkerung beimaß. Man muss nur daran erinnern dass der teuerste Film der NS-Zeit, das Drama Kolberg, Ende 1944 unter schwierigsten Bedingungen, mit Tausenden von dringend benötigten Wehrmachtssoldaten als Statisten, fertig gestellt wurde. So wichtig die Betonung wirtschaftlicher Faktoren für ein Verständnis des Nationalsozialismus ist, ideologische Zwänge und Ängste vor einem Zusammenbruch der "Heimatfront" blieben im Verlauf des Krieges, nach den traumatischen Erfahrungen des November 1918, mächtige Handlungsparameter.
Natürlich leugnet Tooze das nicht. In seiner Bewertung Albert Speers, ab 1942 Reichsminister für Bewaffnung und Munition, wird die Rüstung selbst als genuines Propagandaprodukt hervorgehoben. An Speer lässt Tooze kein gutes Haar, und er spricht ihm alle Erfolge bei der Reorganisation der Rüstungswirtschaft ab. Die von Speer vorgenommenen Ressourcenverlagerungen in einzelne, spektakuläre Bereiche, etwa das Adolf-Hitler-Panzerprogramm oder die V1- und V2- Raketenwaffen, waren für Tooze, ähnlich den bekannten Nürnberger Lichtdomen Speers, nichts anderes als Versuche, ein mediales "Rüstungswunder" für die deutsche Öffentlichkeit zu inszenieren. In den beiden letzten Kriegsjahren waren es nur noch drakonische Maßnahmen, wie etwa der massenhafte Einsatz von Sklavenarbeitern aus den KZs, die die deutsche Industrie zu bereits verzweifelten Höchstleistungen führten. Zudem wurden alle noch vorhandenen Ressourcen bis zum Übermaß strapaziert. Tatsächlich war die deutsche Wirtschaft, vor allem durch die Zerstörung der Transportwege und der Fabriken für synthetisches Benzin, bereits Mitte 1944 am Ende. Sie war, so der nahe liegende Schluss, trotz der "erstaunlichen Leistungen" ihrer Rüstungsindustrie, der kombinierten Wirtschaftsmacht ihrer Gegner einfach nicht gewachsen.
Das eigentliche Rüstungswunder im Zweiten Weltkrieg verortet Tooze deshalb, neben der überwältigenden Stärke der US-Industrie, in der Sowjetunion Stalins. Nicht nur wurde die deutsche Wehrmacht, sondern die ganze Welt davon überrascht. Aber der Preis für dieses Produktionswunder waren, aufgrund der Vernachlässigung der Landwirtschaft, Millionen von Hungertoten, die für Panzer, Artillerie und Flugzeuge buchstäblich geopfert wurden.
Toozes Buch ist insgesamt eine faszinierende und flüssig geschriebene Geschichte der Wirtschaftspolitik des Dritten Reiches. Seine in epischer Breite ausgeführten Ergebnisse konnten hier nur skizzenhaft dargestellt werden. Dass das Buch heftige Diskussionen zum Verhältnis Wirtschaft und NS-Ideologie auslöst, liegt auf der Hand. Jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigt, wird in Zukunft an Tooze nicht vorbeikommen. Und wer sich für die Geschichte Deutschlands zwischen 1933 und 1945 interessiert - und sich nicht vor Bomberproduktionstabellen und Stahlzuteilungsquoten scheut -, dem sei die Ökonomie der Zerstörung ohne Einschränkung empfohlen.
Adam Tooze: Die Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. Siedler-Verlag 2007, 925 S., 44 EUR
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