Eine Vertrauensabstimmung, untrennbar verknüpft mit der Entscheidung über eine Sachfrage: Man kennt das Verfahren, es ist keine deutsche Spezialität. Hat der Kanzler seine Koalition "erpresst"? Wenn es so wäre, hätte es jedenfalls nicht funktioniert. Denn die acht grünen Abweichler sind bei ihrem Nein zum Militäreinsatz geblieben. Die Möglichkeit, diesen zu verhindern, hatten sie angesichts der Mehrheiten im Bundestag nicht. Nur die Koalition konnten sie beenden. Das aber war nie ihre Absicht. Mit ihrem Vier zu Vier, der Teilung des Stimmensignals in zwei Hälften, nahmen sie die beiden Fragen, die Schröder zu einer einzigen verband, erfolgreich wieder auseinander. Ist also die Kanzlertaktik ins Leere gelaufen? Wenn man sie nur als "erpresse
sserisch" bewertet, ja - aber eine solche Wertung wäre oberflächlich.Die Amalgamierung zweier Fragen ist oft das Kennzeichen der Konfusion. Hast du deinen Vater heute wieder geschlagen? Selbst wenn ich mit Nein antworte, habe ich keine Chance, zu der mitgestellten Frage, ob ich ihn überhaupt jemals geschlagen habe, eigens Stellung zu nehmen. Doch manchmal dient es umgekehrt der Klärung, wenn jemand die Zusammengehörigkeit zweier Fragen betont. Denn neben konfusen Amalgamierungen kommen auch "scholastische" Distinktionen vor. Es wäre "scholastisch" gewesen, wenn Schröder die Vertrauensfrage nicht gestellt hätte. Die Wende seiner Militärpolitik ist nämlich so gravierend, dass sie auch ihn selbst, die wendende Person, neu charakterisiert. Den Abgeordneten ein solches Nein zu erlauben, das suggeriert hätte, hier ginge es nicht um die Richtung der deutschen Politik schlechthin, also um die Richtlinienkompetenz, also eben um den Kanzler und das Vertrauen zu ihm, wäre der Sache nicht angemessen gewesen.Es ging nicht darum, dem grünen Koalitionspartner neue Zügel anzulegen. Das wurde auch mit den Reden auf dem Parteitag der SPD deutlich, der drei Tage nach der Vertrauensabstimmung begann. Mehr Beifall als Schröder erhielt da Heidemarie Wieczorek-Zeul, weil sie klarer darlegte, dass Entwicklungshilfe noch wichtiger als Militärhilfe sei, wenn es darum gehe, den Nährboden des Terrorismus auszutrocknen. Sie und viele andere, darunter Peter Struck, wussten genau und sprachen es aus, dass eine solche Politik nicht mit der neoliberalen FDP, sondern nur mit den Grünen zusammen versucht werden kann. Sicher bindet Schröder die Grünen. Aber er ist auch selbst durch die rot-grüne Koalition gebunden. Darin war sich der Parteitag einig. Diese Grenze seiner Macht wird der Kanzler nicht leicht überspringen können.Die Dramatik der Vertrauensfrage vom vergangenen Freitag war sicher auch auf den Nürnberger Parteitag berechnet. Der Kanzler stellte sich in seiner Eigenschaft als SPD-Vorsitzender zur Wiederwahl. Er verzeichnete einen Stimmenzuwachs. Seine Partei fühlte sich offenbar nicht "erpresst", sondern stellte sich die gleichen Fragen wie er. Schröder konnte sich auf den Rat Erhard Epplers, des einstigen Exponenten der Friedensbewegung, ebenso berufen wie auf Helmut Schmidt. Auch ein kritischer Politiker wie Hermann Scheer, der schon frühzeitig vor verschwiegenen Ölinteressen in Zentralasien gewarnt hat, unterstützte jetzt die militärpolitische Wende. Wodurch wurden so viele von deren Unausweichlichkeit überzeugt? Schröder selbst sprach die Gründe nur vorsichtig an. Er wollte eher suggerieren, dass es eine Wende gar nicht gegeben, vielmehr sich die deutsche Politik vom Kosovo-Krieg bis zum Afghanistan-Einsatz auf einer einzigen "Linie" bewegt habe. Doch alle, die an der Debatte des Parteitages teilnahmen, wurden deutlicher als er.Schließlich handelt es sich ja nicht bloß darum, dass Soldaten irgendwo in der Welt zum Einsatz kommen. Der Bundestag wie der SPD-Parteitag waren nicht nur grundsätzlich gefragt, ob sie für oder gegen Kriege sind. Vielmehr wurde die Militärfrage in einer konkreten Situation aufgeworfen. Diese besteht darin, dass eine in jedem Wortsinn furchtbare Reaktion der US-Regierung auf die Anschläge vom 11. September droht. Der Notwendigkeit, auf diese Gefahr selbst wieder konkret zu reagieren, kann nicht ausgewichen werden. Sie ist allen Lagern der deutschen Politik bewusst: "Tatsächlich ist es die Luft der weiten Welt, die von den amerikanischen Militärberatern angepeilt wird", schreibt zum Beispiel ein FAZ-Kommentator. Von Kuba über Libyen bis Nordkorea - die Liste der Schurkenstaaten ist lang!Wie reagiert der Kanzler auf dieses Szenario? Von Anfang an stellte sich die Frage, was die von ihm bekundete "uneingeschränkte Solidarität" mit den USA bedeutete. War er etwa bereit, an der Seite des Verbündeten in einen Weltkrieg neuen Typs hineinzuschlittern? Oder sollte die Solidarität ihn zur Mitsprache an der amerikanischen Militärstrategie berechtigen? Hier eben kommt die Frage des Vertrauens ins Spiel. Denn einerseits sprach und spricht viel dafür, dass er und die anderen NATO-Verbündeten jene Strategie bändigen, ja unschädlich machen wollen. Andererseits: wenn Schröder bändigen will, kann er das nicht in der Form tun, dass er die Bush-Administration öffentlich warnt. Beobachter können daher nicht sicher sein, ob sie seine Politik richtig interpretieren.Eine Politik der Bändigung wäre nicht, wie manche es hinstellen, schlechthin illusionär. Man kann sie deshalb nicht vor aller Erfahrung verlogen nennen und das Vertrauen schon deshalb verweigern. Es ist zwar richtig: Die USA brauchen im Ernst keine militärische Unterstützung. Sie können nicht schon dadurch, dass solche gewährt wird, in Abhängigkeit gebracht werden. Aber sie selbst glauben sich auf politische Unterstützung angewiesen, zur Zeit jedenfalls. Dann müssen sie doch auch bereit sein, einen Preis zu zahlen. Als politische Unterstützung sehen sie aber nur eine auch militärisch deklinierte Solidarität an. Daraus folgt, dass Westeuropäer, die sie bändigen wollen, dies nur quasi in militärischer Symbolsprache tun können. Das ist der Hintergrund, vor dem der Antrag gelesen werden muss, den der Kanzler dem Bundestag vorgelegt hatte. Da wurde einerseits durch die Wahl der militärischen Mittel deutlich gemacht, dass die Unterstützung der USA sich nicht nur auf Afghanistan, sondern auf den ganzen islamischen "Krisenbogen" bezieht. Denn die Marine-Einheiten ergeben nur in der Nähe Somalias und die ABC-Spürpanzer nur in der Nähe des Irak einen Sinn. Von beiden Ländern weiß man, dass die Bush-Administration sich nur mühsam und vielleicht nicht auf Dauer vor Militärschlägen zurückhält. Der Antrag des Kanzlers weist aber andererseits aus, dass Deutschland die Mittel außerhalb Afghanistans nur mit Zustimmung der betroffenen Regierung einsetzen würde. Bei einem Land ohne Regierung werden sie gar nicht eingesetzt. Durch diese Präzisierung sind Einsätze in Somalia und im Irak ausgeschlossen. Welchen Sinn hätte dann ein Militäreinsatz - wenn nicht den, die amerikanischen Freunde am Militäreinsatz zu hindern?Das war die Lage, als die Parlamentarier in Berlin zu entscheiden hatten, ob sie dem Kanzler vertrauen. Die Schwierigkeit bestand darin, dass Vertrauen verdient werden muss und deshalb nicht schon vorausgesetzt werden kann. Aber Schröders Antrag ist so formuliert, dass ein Vertrauensbruch von seiner Seite sehr schnell erkannt würde. Er selbst hat den Rubikon definiert. Bei Angriffen auf Somalia und den Irak wäre er überschritten. Mehr konnte Schröder nicht tun. Dass die Koalition ihm vertraut, ist wichtig in der Weltkrise, in der wir uns befinden. Die Regierung wäre sonst nicht handlungsfähig. Man stelle sich nur einmal vor, die beschriebene Gefahr wäre wirklich vorhanden und Deutschland, eines der mächtigsten Länder der Erde, stellte sich mit verschränkten Armen hin und "übte Kritik" an den USA, sähe aber ansonsten jedem Unheil tatenlos zu, das von der Bush-Administration in der islamischen Welt - die Europa direkt benachbart ist - noch verübt werden könnte. Vielleicht in der Hoffnung, dass ein Gott vom Himmel her eingreift und dafür sorgt, dass der Menschheitsgeschichte die schlimmstmöglichen Verwerfungen quasi automatisch erspart bleiben? Mag sein, dass die Kriegsgegner im Bundestag schon morgen neue Entscheidungen treffen müssen. Für heute scheint die Vernunft gesiegt zu haben.
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