A
Alte weiße Häuser Von außen passte „Seven Palms“ mit seiner „more gemütlich version of the International Style“ (Thomas Hines) gut nach L. A., von innen, so Heinrich Wefing, sah das Haus, das sich die Manns 1941 von Julius Ralph Davidson bauen und von Paul Huldschinsky einrichten ließen, wie „das bewohnte Museum einer verlorenen Heimat“ aus.
Die Rede ist von 1550 San Remo Drive in Pacific Palisades, wo Thomas Mann bis 1952 leben sollte. Hier entstanden viele Radio-Ansprachen an die Deutschen Hörer, die Widerstand gegen Hitler schüren sollten. „Wo ich bin, ist Deutschland“, sagte Mann, was meinte, dass hier ein Hort für die exilierten Kulturmenschen aus der alten Heimat sein sollte. 2016 kaufte die Bundesregierung das „weiße Haus des Exils“ (Frank-Walter Steinmeier mit Seitenhieb auf das „andere“ weiße Haus) für 13 Millionen und bewahrte es vor dem Abriss. Was mit dem kleinen weißen Haus mit den blauen Fensterrahmen im brasilianischen Paraty, wo Manns Mutter aufwuchs, geschieht, weiß man noch nicht genau. Mladen Gladić
Attaché Als „Sonderattaché der Zentralafrikanischen Republik für Sport und kulturelle Angelegenheiten in der Europäischen Union“ wähnt sich der Ex-Tennisprofi und Ex-Millionär Boris Becker seit April 2018. Von der Funktion und der damit einhergehenden diplomatischen Immunität erhofft sich der finanziell arg angeschlagene Becker Schutz im laufenden Insolvenzverfahren in Großbritannien. Doch in der Zentralafrikanischen Republik, laut UN-Index „das ärmste Land der Welt“, herrscht Zwietracht über die Ernennung. Während der Botschafter in Brüssel, Daniel Dede, Becker zum aufrichtigen „Unterstützer unseres Landes, (…) vom Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik in den diplomatischen Dienst berufen“ erklärt, dementiert Außenminister Doubane (➝ Stellvertreter, der) vehement die Ernennung.
Und Becker? Der gab in der BBC zum Besten: Freunde bezeichneten ihn als „Bastard“, da er als „Diplomat mit Schlangen umgehen“ könne. Helena Neumann
C
Co-Trainer Es scheint zuweilen, als könnte im Hochglanzfußball kaum noch jemand außerhalb des Rampenlichts stehen. Es gibt sie aber noch, die Zweite-Reihe-Leute. Der Stellvertreter im Fußball ist sogar eine Institution – in Form des Co-Trainers. Öfter hält man ihn für das wahre taktische Gehirn. Man denke etwa an Jogi Löw, dem man in seiner Zeit mit Jürgen Klinsmann nachsagte, dass er weit mehr sei als „bloß“ ein Assistent. Herausgekommen ist ein Bundesjogi, dem man die vielen anderen Facetten des Vertreter-Daseins an der Seitenlinie nicht mehr anmerkt. Denn auf dem Co-Trainer-Posten ist eigentlich noch Platz für Originale. Für Hermann Gerland etwa, jahrelang Co-Trainer beim FC Bayern, der unter anderem Pep Guardiola zuarbeitete. Als Co-Trainer muss man weniger geschliffen daherkommen.
Manchmal steht er plötzlich doch im Rampenlicht: Wenn er erst zum Interimstrainer (➝ Zwischenlösung), dann zum Chef gemacht wird. Manche genießen diesen Weg, anderen merkt man förmlich an, dass sie wieder zurückwollen in die zweite Reihe. In der sie sich wohlfühlen, in der sie Taktiknerds, Kumpel oder harte Hunde sein können. Benjamin Knödler
G
Gott Er ist allmächtig und sieht alles. Überall zugleich kann er aber nicht sein. Deshalb braucht er Vertreter. Leider wissen wir nicht, in welch vielerlei Formen und Aggregatzuständen seine Platzhalter im Universum auftreten. Auf Erden agiert der Papst als „Stellvertreter Christi“ und wird auch so genannt (➝ Stellvertreter, der). Zumindest von den katholischen Fans. So galt der Titel in der Ostkirche einst dem Kaiser von Konstantinopel. Für den Bischof von Rom und Heiligen Vater lässt er sich bis ins 5. Jahrhundert zurückverfolgen. Der Titel ist also nicht gottgegeben, sondern menschengemacht. Das ficht den Papst nicht an. Denn die vielen Wege nach Rom sind bekanntlich unergründlich. Tobias Prüwer
H
Hauptmann, Gerhart Der Stellvertreter Goethes auf Erden? Für den Dichter konnte es nur einen geben – ihn selbst. 1912 mit dem Nobelpreis geehrt und populär, nahm Hauptmann nach dem Ersten Weltkrieg die Pose eines Repräsentanten deutscher Literatur und Republik ein – und das, je weniger Erfolg seine Dichtung hatte. Den Zeitgenossen blieb sein Geheimrats-Getue nicht verborgen: „Äußerlich wirst du mir tatsächlich immer ähnlicher, lieber Gerhart. Aber wenn ich mich hätte so viel photographieren lassen müssen, wäre ich nicht dazu gekommen, den Faust zu schreiben“,sagt Goethe auf einer Simplicissimus-Karikatur von 1930 zu seinem Imitator. Behrang Samsami
K
Katalonien Diese Woche wird die katalanische Vertretung in Berlin wiedereröffnet, nachdem sie als Repressalie für das illegale Unabhängigkeitsreferendum vom Oktober 2017 ein knappes Jahr geschlossen blieb. Die Zentralregierung des Sozialisten Sánchez zeigt damit ihre Gesprächsbereitschaft gegenüber den Separatisten – und diese, nun ja, sind sich uneins, ob sie auch auf Dialog setzen oder lieber bei der Konfrontation bleiben.
Die Vertreterin Marie Kapretz und ihre Kollegen werden sich freuen, ihre Arbeit in den recht großzügigen Räumlichkeiten an der Friedrichstraße wiederaufzunehmen. Fragt sich nur, welche Töne Kapretz von nun an anschlagen wird. Der Freitag rät: Zwischen den Stühlen sitzt es sich vielleicht nicht am behaglichsten, dafür freier. Vielleicht sollte Kapretz ihre zweite (und wohl letzte) Chance nutzen und einfach einmal mehr Unabhängigkeit wagen (➝ Plan B). Ganz undiplomatisch, aber ganz ehrlich. Conrad Lluis Martell
L
Lückenbüßer Kollegin Katharina Schmitz informierte zuletzt darüber, was die Abkürzung LovL bedeutet (Freitag 34/2018). Die Abkürzung steht für Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung. Halbe Lehrer sozusagen. Ob es an Privatschulen LovLs (➝ Co-Trainer) gibt? Ich glaube sicher vermuten zu dürfen, dass es nicht so ist.
Lückenbüßer zu sein, wirkt erst mal für alle Seiten wie ein fauler Kompromiss. Als wenn man statt Schauspielern Statisten auf die Bühne schickte. Doch wie vieles in Kultusdingen ist auch dies nur allzu kurz gedacht. Meine Schulzeit, gekrönt durch einen Abbruch kurz vor dem Abitur, wurde besonders durch die Lehrer reicher, die eben nicht den stromlinienförmigen Weg genommen hatten. Die mit den Rissen und Lücken im Lebenslauf, mit schulexterner Lebenserfahrung. Vielleicht habe ich mir daran dann doch zu sehr ein Beispiel genommen? Egal, die Chance, ein geeigneter Lückenbüßer zu werden, besteht also noch. Was für Perspektiven! Jan C. Behmann
P
Plan B Eigentlich wollte ich nie Kinder bekommen, doch jetzt habe ich drei. Eigentlich wollte ich beim Ordnungsamt falsch geparkte Autos aufschreiben, oder wenigstens Fahrscheine in der U-Bahn kontrollieren, aber stattdessen bin ich Künstlerin (➝ Hauptmann, Gerhart) geworden. Eigentlich wollte ich gestern Abend zu Hause bleiben, aber stattdessen bin ich erst auf die Vernissage gegangen und dann zu Jan in die WG. Eigentlich wollte ich heute mal ausschlafen, aber dann bin ich doch früh raus und habe alles getan, was zu tun war. Eigentlich wollte ich mich ärgern, aber dann habe ich mir gedacht: Ach, ist doch egal, es gibt Schlimmeres. Eigentlich wollte ich Knäckebrot essen, aber dann habe ich Kuchen gebacken. Ruth Herzberg
S
Stellvertreter, der Das Theaterstück von Rolf Hochhuth – 1963 im Theater am Kurfürstendamm uraufgeführt – klagt Papst Pius XII. der Mitschuld am Holocaust an. Eugenio Pacelli, der in der Weimarer Zeit Apostolischer Nuntius in Deutschland war, hatte sich, später als Papst (➝ Gott) in seinen Stellungnahmen zur Politik des NS-Regimes der Judenverfolgung sehr zurückgehalten. Seine größere Furcht galt dem Kommunismus. Der Stellvertreter wurde in vielen Ländern Westeuropas aufgeführt, überall stieß Hochhuths Stück sowohl auf starke Irritation als auch auf Zustimmung. Es war – in seiner Mischung aus Fiktion und realem Hintergrund – ein Stein des Anstoßes für konservative Papstverteidiger, die wütend protestierten. Aber auch für jene Kräfte, die in den frühen Jahren der Bundesrepublik die Rolle der Kirchen in der NS-Zeit kritisch in den Blick nahmen, war Der Stellvertreter ein wichtiger Impuls für öffentliche Debatten. Magda Geisler
Sündenbock Am jüdischen Versöhnungstag bekennen die Gemeindemitglieder ihre Sünden im Angesicht eines Ziegenbocks. Der wird danach in die Wildnis geschickt. Symbolisch. Es geht nur um die Offenbarung der Taten. Luther hat den Sündenbock als Wort salonfähig gemacht. Man lastet jemandem alle Schuld auf, um ihn dann aus der Gemeinschaft zu drängen. Luther gab in antijudaistischen Tiraden auch Anleitungen. Allgemein tendieren aufs Kollektive eingeschworene Gemeinschaften zum Sündenbockprinzip: Innere Konflikte werden an äußere ➝ Stellvertreter externalisiert. Der AfD gelingt das mit doppelter Volte: Die Migranten seien schuld, stattdessen würde sie selbst zum Sündenbock erklärt. So viel Chuzpe muss man erst mal haben. Tobias Prüwer
V
Vertretung, Ständige Es war die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR. Die StäV befand sich in der Hannoverschen Straße 30 in Berlin-Mitte. Ihre Etablierung war ein Ergebnis des „Grundlagenvertrages“ von 1972, der die Beziehungen zwischen der DDR und der BRD regelte. Schräg gegenüber – in der Chausseestraße 131 – wohnte bis zu seiner Ausbürgerung 1976 Wolf Biermann, wo ihn der damalige Chef der Ständigen Vertretung, Günter Gaus, hin und wieder besuchte und seinen Liedern lauschte. Zahlreiche DDR-Bürger flüchteten in den 80er Jahren in die Ständige Vertretung und erzwangen nach dramatischen Verhandlungen ihre Ausreise.
1997 eröffnete ein Bonner Gastronom die gleichnamige Kneipe am Schiffbauerdamm. Sie war sein Protest gegen den Regierungsumzug und wurde zum Wohnzimmer für verschreckte Exil-Rheinländer (➝ Attaché), die sich in der STäV auf ein gemütliches Kölsch trafen. Auf den Toilettenwänden kann man in Zeitungsartikeln dazu nachlesen. Mladen Gladić
Z
Zwischenlösung Chris Dercon ist hinfort. Er wurde geteert und gefedert und aus der Stadt gejagt. Die Scherben fegt Klaus Dörr auf. Der Intendant zwischen zwei Intendanten. Er darf den Karren aus dem Dreck holen, er darf rechnen, die verlorenen Millionen retten, er (➝ Lückenbüßer) darf auf keinen Fall ehrgeizig sein. Das Hauptziel ist die schwarze Null.
Zwischenlösungen betrachtet man gnädig und dankbar. Zum Glück macht einer den Job. Zum Glück ist einer da. Wie ein Mann, der sich bereit erklärt, eine verlassene Frau zu trösten. Der tut, was getan werden muss, er stellt keine Ansprüche und zieht sich bei Bedarf diskret zurück. Die Zwischenlösung wird dankbar hingenommen, bis endlich der Richtige kommt, der ihr wieder das Herz brechen wird. Die Zwischenlösung hilft dann längst woanders weiter. Sie macht nie Probleme. Danke, Klaus Dörr. Ruth Herzberg
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.