Erneut ist die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung auf dem Tisch und im linken Parteienspektrum zunehmend populär. Das ist durchaus gerechtfertigt, denn die Arbeitszeiten müssen immer wieder den sich fortwährend verändernden Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer angepasst werden.
Im Wahlprogramm der SPD heißt es: „Da wo Gewerkschaften für die Absenkung von Arbeitszeit streiten, um ... Beschäftigung zu sichern, stehen wir an ihrer Seite.“ Die Linke schreibt in ihrem Leitantrag zum Wahlprogramm: „Arbeitszeitverkürzung sichert Arbeitsplätze in der Industrie und in von der Digitalisierung veränderten Branchen.“ Bei den Grünen heißt es im Wahlprogrammentwurf: „Kürzere Arbeitszeiten ... k
en ... können eine Chance sein, Arbeit gerechter zu verteilen, Arbeitsplätze zu sichern und Arbeitnehmer*innen zu entlasten.“Wer allerdings mit dem Instrument der Arbeitszeitverkürzung neue Jobs schaffen oder gar in eine Abwehrschlacht gegen den technologischen Fortschritt, die Roboterisierung und die zunehmende Produktivität ziehen will, der setzt auf das falsche Pferd. Den linken Parteien droht ein noch größerer Bedeutungsschwund, wenn sie sich ernsthaft dafür einsetzen, die Arbeit gerechter verteilen zu wollen, ohne die negativen Folgen eines solchen Schrittes für die gesamtwirtschaftliche Dynamik und die Arbeitslosigkeit zu bedenken.Denn schon die Grundannahme in dieser Debatte ist falsch: Produktivität schafft keine Arbeitslosigkeit. Man befürchtet, dass uns die Arbeit ausgeht, wenn die Unternehmen die Arbeitsabläufe rationalisieren und damit produktiver werden.Wenn wir produktiver arbeiten, können wir mehr Produkte in gleicher Zeit oder eben die gleiche Menge in einer kürzeren Zeit herstellen. Höhere Produktivität bedeutet folglich nichts anderes als die Möglichkeit, reicher zu werden und so viel mehr nachzufragen, dass die Mehrproduktion der Unternehmen ohne Weiteres abgesetzt werden kann. Dann wird niemand freigesetzt, weil die gestiegene Nachfrage die gestiegene Produktion deckt. Arbeitslosigkeit entsteht nur, wenn die Firmen einen Produktivitätszuwachs nicht in Form höherer Löhne an ihre Beschäftigten weitergeben. Denn dann kommt es zu Umsatzeinbrüchen und Arbeitslosigkeit.Digitalisierung? Keine Angst!Deshalb ist es entscheidend, dass die Tarifpartner Nominallohnerhöhungen vereinbaren, die im Einklang mit der Produktivität und dem von der Zentralbank vorgegebenen Inflationsziel wachsen. Wird diese goldene Lohnregel eingehalten und schließt der Staat Nachfragelücken, die durch höheres Sparen der Haushalte oder der Unternehmen entstehen, können die Roboter niemanden in die Arbeitslosigkeit schicken. Arbeitslosigkeit ist immer die Folge falscher, weil zu bescheidener Lohnpolitik oder schlechter Wirtschaftspolitik!Wirtschaftspolitik auf der Basis dieser makroökonomischen Logik kann nicht verhindern, das einzelne Jobs im Zuge der Digitalisierung und Automatisierung verlorengehen. Sie kann aber sicher verhindern, dass daraus allgemeine Arbeitslosigkeit wird. Erwähnen sollte man allerdings, dass die Produktivität in Deutschland und in Europa seit Jahren kaum steigt. In den vergangenen 20 Jahren nahm die Arbeitsproduktivität im Euroraum pro Jahr im Durchschnitt um nur 0,6 Prozent zu.Die Vorstellung, dass man Arbeitszeitverkürzung braucht, um alte Jobs zu retten oder neue zu schaffen, ist falsch. Das kann man leicht an der relevanten Zahl des Produktivitätswachstums von 0,6 Prozent pro Jahr verdeutlichen. Diese 0,6 Prozent können für mehr Lohn oder weniger Arbeitszeit verteilt werden: also entweder 0,6 Prozent mehr Lohn auf dem Konto oder 0,6 Prozent weniger Arbeitszeit stempeln. Es kann auch eine Mischung geben, ein wenig mehr Lohn und ein wenig weniger Arbeitszeit, das lassen wir aber mal außen vor. Wenn die Arbeitnehmer in einem Jahr unter Berücksichtigung der Inflationsrate 0,6 Prozent mehr Monatsgehalt bekommen, können sie auch 0,6 Prozent mehr ausgeben und die Unternehmen werden 0,6 Prozent mehr von ihrer Produktion absetzen. Das Niveau der Arbeitslosigkeit berührt dieser Vorgang, der für die Unternehmen und die Arbeitnehmer einen Einkommensgewinn bringt, nicht.Wenn die Arbeitnehmer allerdings 0,6 Prozent weniger arbeiten, aber den gleichen Monatslohn wie vorher bekommen (das, was die Gewerkschaften üblicherweise „vollen Lohnausgleich“ nennen), werden die Unternehmen genau so viel verkaufen wie vorher. Da sie diese Produktionsmenge allerdings mit weniger Arbeitskräften herstellen können, werden sie die nicht benötigten Arbeitnehmer entlassen. Die Rationalisierung ist folglich eine wirkliche Drohung, wenn die Nachfrage nicht entsprechend steigt. Bei der „Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich“ steigt zwar der Stundenlohn, aber am Monatsende ist nicht mehr Geld auf dem Konto. Es gibt also keine zusätzliche Nachfrage.Wieso sollen die Unternehmen neue Leute einstellen, wenn es keine zusätzliche Nachfrage gibt? Es könnten zwar 0,6 Prozent mehr Güter produziert werden, aber die werden nicht produziert, weil mit denselben Arbeitskräften die gleiche Menge wie vorher in etwas geringerer Zeit hergestellt wird – und niemand mehr Güter am Markt nachfragt.Die Forderung mancher Gewerkschafter, mit den Unternehmen einen automatischen Personalausgleich zu vereinbaren, ist zwar gut gemeint, aber in zweifacher Hinsicht illusorisch. Ökonomisch, weil nicht alle Unternehmen sich einen solchen Personalausgleich leisten können und diejenigen, die mehr tun könnten, nicht verpflichtet werden können, das auch zu tun. Und politisch illusorisch, solange wir schwache Gewerkschaften und mächtige Unternehmensverbände haben.Entscheidend ist der tatsächliche zeitliche Ablauf. Kein Unternehmer wird ohne Rücksicht auf seine Absatzlage nach einer Arbeitszeitverkürzung sofort die Stundenzahl wieder hochfahren und dafür neue Leute anstellen. Das macht betriebswirtschaftlich keinen Sinn! Die Unternehmen werden zunächst sehen, wie weit man mit der geringeren Stundenzahl kommt und ob es gegebenenfalls positive Produktivitätseffekte gibt. Sie werden erst dann wieder neue Stellen schaffen, wenn die Auftragsbücher voller werden, wenn es also mehr Nachfrage gibt. Wer Personalausgleich fordert, muss annehmen, dass die Unternehmen sich am eigenen Schopfe aus dem Nachfrage-Sumpf ziehen können und wollen. Man unterstellt, dass die Unternehmen Leute anstellen, damit die Masseneinkommen steigen und damit die Nachfrage nach ihren Gütern zunimmt. Das ist absurd. Wenn das ginge, fragte man sich, warum die Unternehmer das nicht dauernd machen: Mehr Leute einstellen, um mehr Produkte absetzen zu können.Das ist ja kein KartoffelmarktWenn der Staat wirtschaftspolitisch aufs Gas tritt und Mehrausgaben tätigt, dann kann das den Nachfrageschub begründen, der dazu führt, dass die Unternehmen mehr Güter absetzen können. Dann werden sie mehr Leute einstellen und auch selbst investieren. Dann fährt die Konjunktur hoch. Die neuen Jobs haben dann aber nichts mit der Arbeitszeitverkürzung zu tun. Aus ihr selbst kann kein Nachfrageschub entstehen.Dazu kommt: Wer Arbeitszeitverkürzung für ein Mittel gegen Arbeitslosigkeit hält, der kann auch dem Argumentationsmuster neoliberaler Marktschreier nach Lohnkürzung nichts entgegensetzen, denn beide unterliegen demselben Trugschluss – sie glauben, der Arbeitsmarkt funktioniere wie ein Kartoffelmarkt.Die Wirtschaft der Eurozone hat – bildlich gesprochen – seit Jahren einen zu geringen Blutdruck. Die Austeritätspolitik im Süden und das Lohndumping in Deutschland waren ein fürchterlicher Aderlass. Mit seinen Leistungsbilanzüberschüssen saugt Deutschland den Nachbarn seit Jahren Nachfrage ab, die dort hochproduktive Arbeitsplätze vernichtet. Hinzu kommt, dass der Staat durch die europäischen Schuldenregeln daran gehindert wird, wenigstens dagegenzuhalten, so dass die Arbeitslosigkeit sinken kann. Aus deutscher und aus europäischer Sicht ist es dringend geboten, die deutsche Binnenwirtschaft mit Lohnsteigerungen zu stärken, damit Deutschland mehr Güter importiert und so Nachfrage zurück an die Nachbarn gibt. Mit Arbeitszeitverkürzung erreicht man genau das nicht. Genauso wenig, wie man mitten in der Rezession die Staatsausgaben senkt, um die Staatsbilanz in die schwarzen Zahlen zu drücken, schwächt man inmitten der größten Binnenmarktschwäche in Deutschland den Binnenmarkt weiter!Es gibt genug zu tun in Deutschland, wenn man die öffentliche Daseinsvorsorge ausweiten oder Deutschland auf Klimaschutz umrüsten will. Einen größeren Teil ihres Einkommens als zuvor werden die deutschen Haushalte in Zukunft für ökologische Vorsorge ausgeben müssen. Folglich braucht man jede Einkommenserhöhung, die von den Unternehmen und den Arbeitnehmern in einer gemeinsamen Anstrengung erwirtschaftet wurde. Verzicht ist überhaupt nicht hilfreich. Zudem braucht man jede freie Hand, um Gebäude energetisch zu sanieren, Verkehr umzubauen, Stromtrassen zu verlegen und so weiter.Vor der Bundestagswahl kommt es für die progressiven Parteien darauf an, auf diesen Zusammenhängen eine überzeugende und positive Erzählung aufzubauen, statt sich immer nur in der Defensive festzubeißen. Linke Politik muss für brummende Wirtschaft, für Vollbeschäftigung, für sozioökonomischen Aufstieg und für ökologische Erneuerung stehen. Der enkeltaugliche Planet ist keine Fata Morgana, aber er muss mit geeigneten ökonomischen Konzepten geschaffen werden.Placeholder authorbio-1