VHS

Linksbündig Ende des Schreckens: Die Videokassette ist nicht mehr

Als im September des eben vergangenen Jahres das IT-Portal Golem einen besonders kleinen Computer als "Notebook im Format einer VHS-Kassette" vorstellte, lautete einer der ersten Leser-Kommentare: "Was ist eine VHS-Kassette?" Und die umgehende Antwort darauf: "Das sind die Dinger, wo deine Eltern ihre Pornos drauf haben." Deutlicher kann man kaum ausdrücken, dass wehmütige Gefühle angesichts des Verschwindens der VHS-Kassette unangebracht sind.

Obwohl eine VHS-Kassette gerade in diesen Dingen natürlich ihre Vorteile hatte. Hatten Mama und Papa ihre Pornos nur oft genug geguckt, dann war nicht mehr viel Heikles zu erkennen, wenn der Sohn ins Mannesalter kam und sich das erregende Material zu Gemüte führen wollte. Das kann der DVD nicht passieren, die einen solchen Qualitätsverlust nicht kennt.

Das erfreut nicht nur den Pubertierenden, sondern im Grunde alle Archivare des Optischen. Dass Letztere nun ihre umfangreiche VHS-Sammlung aufzulösen und ins DVD-Format zu überführen haben, ist für sie eine leidige Angelegenheit - für unbeteiligte Betrachter jedoch eine ästhetische Erleichterung: Gerade private VHS-Bibliotheken wurden meist penibler als private oder öffentliche Bücherregale gepflegt; die diversen Versuche, die Pappschatullen der Plastikgehäuse ein wenig aufzuhübschen, indem man sie mithilfe buchimitierender Etiketten oder ähnlichem als solche unkenntlich zu machen suchte, waren meist von beschämend geringem Erfolg gekrönt. Sondern demonstrierten im Gegenteil nur ein weiteres Mal die Minderwertigkeitskomplexe dieses Speichermediums, die noch aus seinen Anfangszeiten herrühren - als VHS-Kassetten eben tatsächlich als "Dinger, wo deine Eltern ihre Pornos drauf tun" galten. Und zwar völlig zu Recht: Keinem anderen Genre hat die VHS derart auf die Sprünge geholfen wie dem Porno, denn dieser wurde gar nicht erst auf Zelluloid gedreht, sondern von Anfang an auf dem billigeren und umstandsloser kopierbaren Videomaterial.

Böse Zungen behaupten, das gelte auch umgekehrt: Ohne die Pornoindustrie - der sich die Konkurrenten verweigerten - hätte die VHS niemals ihren Siegeszug durch die deutschen Wohnzimmer angetreten. Denn qualitativ wäre die Sache eigentlich klar gewesen, sowohl Video2000 von Grundig und Philips als auch Betamax von Sony waren dem Video Home System von JVC technisch überlegen.

Womöglich liegt darin sogar ein weiterer Grund des Erfolges der VHS. Kein anderes Speichermedium dokumentierte so konsequent das eigene Verfallen - und täuschte damit über den Verlust jener Aura hinweg, die Walter Benjamin beim reproduzierten Kunstwerk so arg vermisste. Dass die jeweilige Aufnahme bei stetem Gebrauch des Mediums fortgesetzten Schaden leidet, konnte leicht als Markierung des Subjekts des Betrachters sowie von dessen Betrachten missverstanden werden. Die einzigartigen Mängel des Geräts werden nämlich nur zu gerne mit der Individualität des Benutzers verwechselt.

Die DVD, die digitale versatile disc (zu deutsch: digitale vielseitige Scheibe), ist dahingehend wenigstens ehrlich: Sie suggeriert als qualitativ verlässliches Medium erst keine Zeitlichkeit, keine Historie, keine "Biografie" und keine technische Diversität ihrer Inhalte. Sie träumt nicht von einer Metaphysik des Alterungsprozesses und kennt nur die Differenz zwischen Funktionieren und Nicht-Funktionieren, zwischen 0 und 1. Man könnte mithin pathetisch werden und behaupten, die VHS habe sich letztendlich selbst aufgebraucht. Stimmt aber nicht: Es hat sich schlicht und einfach das bessere Format durchgesetzt, der Geschichte des Videosehens ist endlich Gerechtigkeit widerfahren. Und die Parole der Zukunft lautet: Nie mehr zurückspulen! Was ein Glück.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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