Südostasiens unsichtbare Front Die islamistischen Netzwerke in Malaysia und Indonesien sind nicht nur eine reale Gefahr - sie sorgen auch für jede Menge Verschwörungstheorien
In Südostasien leben 260 Millionen Muslime - mehr als in der arabischen Welt. US-Spezialeinheiten haben bereits im Herbst 2001 auf den Philippinen - von der Weltöffentlichkeit kaum beachtet - neben Afghanistan eine zweite Kriegsfront eröffnet, um den Spielraum mutmaßlicher islamistischer Kommandos auf Mindanao und anderswo einzudämmen. Angesichts der inneren Situation ihrer Länder sehen sich dabei auch die Regierungen Singapurs, Malaysias und Indonesiens in die Pflicht genommen.
Das "9/11-game" der Region geht so: Der Premierminister Malaysias spricht vage von einem Umsturzversuch und lässt ein paar oppositionelle Muslime verhaften. Er unterstützt wortreich den Anti-Terror-Feldzug der USA, kritisiert andererseits den Afghanistan-Krieg, um nicht pl
, um nicht plötzlich als pro-amerikanisch zu gelten. Er preist dann sein Land als Modell eines moderaten muslimischen Staatswesens und gewinnt am Ende die Anerkennung Washingtons, die ihm bisher wegen diverser Menschenrechtsverstöße versagt blieb. Mohamad Mahathir, Regierungschef in Kuala Lumpur, beherrsche das "9/11-game" auffallend gut, heißt es respektvoll in Regierungskreisen von Singapur, dessen Polizei mit der Verhaftung von 13 Islamisten im Dezember eine Attentatsserie auf US-Einrichtungen im Stadtstaat verhindert haben will. Ein wohliges Gruseln geht seither durch die Ordnungszelle am Äquator. Ein eher miserabler "9/11-Spieler" ist dagegen Indonesien. Dieses Land sei ein "Reservat des internationalen Terrorismus", gab gerade Singapurs Senior-Minister Lee Kuan Yew bekannt, der vor mehr als zehn Jahren die Führung des Kleinstaates abgab, aber weiter die Fäden in der Hand hält. "Sehen Sie sich die Karte an der Wand an", sagt hingegen trocken ein Beamter im indonesischen Außenministerium und deutet auf den Salat von 13.000 Inseln zwischen Pazifik und Indik: "Wie soll man das kontrollieren?" Sieben Monate nach den Anschlägen in den USA sezieren Regierungsbulletins aus Manila oder Singapur ein Terrornetz, das sich von den Philippinen über Malaysia nach Indonesien ziehen und mit Osama bin Ladens al Qaida verknüpft sein soll. Es ist auch denkbar, dass die amtlichen Dokumente eine Komplotttheorie bedienen, die ungeahnte Möglichkeiten für gewiefte Politiker lässt, mit internen Gegnern abzurechnen und das eigene Land im Dunstkreis neuer Allianzen mit den USA geopolitisch aufzuwerten."Manchmal kannst du es riechen, du fühlst es ..." Samstagnachmittag sitzt Hermawan Sulistyo, einer der Querköpfe in Indonesiens neuer Demokratie, in einer Sporthalle im Süden Jakartas, und ist froh, dass er einmal nicht über die Politik im Lande nachdenken muss. "Sie sind gefährlich. Manchmal kannst du es riechen, du fühlst es", sagt der beleibte Mann im Karateanzug dann mit einem Mal und muss nun doch an die militanten Islamisten denken, die wenige Tage zuvor durch die Straßen zogen und nach seiner Verhaftung riefen. Vier Jahre nach dem Sturz des Diktators Suharto gibt es im Land mit der größten Muslimgemeinschaft der Welt eine Minderheit von Extremisten und einen Korangelehrten, auf den sich nun alle Spekulationen richten: Abu Bakar Ba´asyir, der eine renommierte Schule in der Nähe von Solo auf der Hauptinsel Java leitet. Einen knife-maker - einen "Messerschärfer" - hat sich der 64-Jährige einmal selbst im Interview mit einer US-Zeitung genannt und zynisch hinzu gefügt, er könne nicht wissen, was seine Schüler dann mit der Bildung täten, die er ihnen gebe. Der Korangelehrte soll Kopf einer Jemaah Islamiyah in Südostasien sein, mit zwei ehemaligen Schülern als Helfern: Fathur al-Ghozi und Hambali. Der Eine wurde vor Monatsfrist in Manila verhaftet, der Andere soll auf der Flucht sein - beide gelten als mutmaßliche Kontaktpersonen Osama bin Ladens. Weit mehr beschäftigt den Politiker Sulistiyo, wer in Indonesien Extremistenführer wie Ba´asyir finanziell unterstützt: "Sie kommen mit teuren Flugtickets aus Java, sie fahren im BMW, residieren prächtig. Woher haben sie das Geld?" - Sein Bild von Indonesien gießt Sulistyo gern in den Begriff vom "Chaos im Gleichgewicht", das eben Platz für al-Qaida-Terroristen biete oder auch nicht. Schließlich seien da die "vertikalen" und "horizontalen" Konflikte: Christen gegen Muslime (Molukken und Sulawesi), Separatisten gegen die Zentralregierung (Aceh), die Armee gegen Unabhängigkeitsbewegungen (Irian Jaya), Eingeborene gegen Neueinwanderer (Kalimantan). Merkwürdige Dinge geschehen da: Der Chef des Geheimdienstes, Hendropriyono, berichtet von einem Ausbildungslager der al Qaida auf der Insel Sulawesi, das mittlerweile verlassen sei, und wird umgehend von der Regierung korrigiert; Sulistyo wiederum erinnert sich an Flugblätter auf den Molukken, die Muslime zum Kampf gegen die dortigen Christen aufriefen, aber falsch geschriebene arabische Wörter enthielten. Eine steuernde Hand lässt sich bei manchem Konflikt im Archipel kaum verkennen - vielfach weist sie auf die mächtige Armee. Das Kalkül der Generäle sei klar, sagen die Kritiker: Unruhe im Land erzeugen und damit den Ruf nach dem starken Arm. Auch die Zurückhaltung der Regierung bei der Verfolgung der militanten Islamisten finde hier eine Begründung. Dreimal ist Abu Bakar Ba´asyir seit Januar in Jakarta von der Polizei verhört und "mangels Beweisen" wieder freigelassen worden. Das sei nicht aus Furcht vor einer breiten Mobilisierung der sonst mehrheitlich moderaten Gläubigen geschehen, sondern schlicht den Intrigen der Generäle zu verdanken, die hinter den Kulissen mittlerweile wieder an der Macht seien, vermutet Sulistyo. "Amerika? Ich frage mich, wie es da wohl aussieht ..." Einer, der Bescheid wissen muss über die Verquickungen zwischen der Armee und den Islamisten, ist Irfan Awwas, der Führer des ominösen Nationalen Mudjahedin-Rats in Yogjakarta, acht Stunden Zugfahrt entfernt von der Hauptstadt. Der Rat ist eine lockere Allianz einiger kleiner radikaler Muslimgruppen wie Tahrir und Hitayatullah, die seit der Gründung im Juli 2000 eingestandenermaßen "noch nicht richtig funktioniert", meint Irfan Awwas. Aber sie hat ein klares Ziel: Lobby machen für einen islamischen Staat. Den Brigadegeneral Rustam Kastour - einen Vertreter der islamischen Richtung innerhalb der Generalität - habe er auf den Molukken kennen gelernt, gibt Awwas zu. Kastours Präsenz gilt als Erklärung dafür, wie Anfang 2000 mehrere Tausend gut bewaffnete Islamisten auf die mehrheitlich von Christen bewohnte Inselgruppe gelangen konnten. An die 6.000 Menschen kamen später bei den Kämpfen zwischen Christen und den Milizen der Laskar Jihad, der "Heiligen Krieger", ums Leben. Das Hauptquartier dieser weißgewandten Kämpfer im Dorf Degolan liegt keine Stunde Autofahrt entfernt, ihr Führer, Ja´afar Umar Thalib, ein ehemaliger Afghanistan-Krieger, traf Ende der achtziger Jahre bin Laden im pakistanischen Peshawar, befand den späteren Terroristenführer allerdings als nicht gläubig genug. Irfan Awwas bestreitet indes jeden Kontakt zu al Qaida, auch wenn er Osama bin Ladens "Tapferkeit" rühmt: "Er wird als Terrorist bezeichnet, weil er eine mutige Schlacht gegen die Arroganz der USA führt." Nach neun Jahren im Gefängnis legt Awwas wohl keine Sprengsätze mehr, als seine schärfste und wichtigste Waffen betrachtete er heute das Wort. Mindestens ebenso wichtig dürften jene Verbindungen sein, die er zwischen Koranschulen, Parteien und der Armee geknüpft hat. "Amerika? Ich frage mich, wie es da wohl aussieht?", sagt Awwas plötzlich und hält kurz ein in seiner Tirade. Ein kindhaftes Lächeln huscht über sein Gesicht, schnell wie die kleinen Echsen, die im Rücken des Mannes die Wand auf- und ablaufen. Die Vorstellung, jemand gäbe ihm einfach ein Flugticket nach New York in die Hand, lässt ihn wohl zögern. "Ich habe Angst, von der amerikanischen Kultur beeinflusst zu werden", beendet er schließlich seinen Exkurs. Indonesiens Generäle werden weitere Gratifikationen erhalten, wenn Peter Brookes, Staatssekretär im US-Verteidigungsministerium, in diesem Monat nach Jakarta reist, um mit General Sudradjat, dem Chef der strategischen Planung, über militärische Kooperation zu sprechen. Das "9/11-game" zahlt sich aus, auch weil das Kapitel "Osttimor" nun geschlossen werden soll - über die Verantwortung der Militärs für die Gräueltaten dort wird es dann nicht mehr viel zu sagen geben."Wir haben die internationale Kritik besiegt ..." Indonesiens Nachbarn klagen weiter laut über die Nachlässigkeit der Regierung in Jakarta gegenüber der mutmaßlichen Terrorszene im Land. Als Kronzeugen führen sie die Operation Jibril - "Gabriel" auf Arabisch - ins Feld, die man durch die Festnahme von zwei Dutzend Jemaah Islamiyah-Mitgliedern, der angeblichen Gruppe von Abu Bakar Ba´asiyr, vereitelt haben will. Am 4. Dezember 2001 hätten demnach drei Terrorgruppen zur gleichen Zeit versucht, Anschläge auf die US-Botschaften in Kuala Lumpur, Singapur und Jakarta zu verüben. So steht es in einem Dokument, das in Singapurs Tageszeitung The Straits Times zu lesen war. Ein Video mit verwackelten Aufnahmen von der US-Botschaft in Singapur war in den Trümmern eines Hauses in Afghanistan aufgetaucht. Drei Inspektorenteams hat Indonesiens Polizeichef daraufhin nach Singapur und Kuala Lumpur entsandt, um mehr über die angeblichen Terroristen zu erfahren. Als sie zurück waren, gab As´at Said, der Vizedirektor des indonesischen Geheimdienstes, ein bemerkenswertes Interview, mit dem er die Operation Jibril als Unsinn darstellte - Zitat: "Wie kommt es, dass die Jemaah Islamiyah an drei verschiedenen Orten operieren sollte, aber die Pläne in einem einzelnen Dokument beschrieben werden? Das allein ist nach geheimdienstlichen Sicherheitsprinzipien schon seltsam." Würde das Dokument rechtzeitig gefunden, wären gleich alle drei Attentatspläne enthüllt. Während in Singapur der erste der 13 Jemaah Islamiyah-Aktivisten öffentlich Reue bekennt, macht die Regierung in Malaysia nun kurzen Prozess mit der größten Oppositionspartei des Landes, der konservativ-islamischen PAS. "Sie versuchen uns ein extremistisches, militantes Image zu verpassen", erklärt Nasharudin Mat Isa, der Generalsekretär der PAS, in der Lobby des Parlaments in Kuala Lumpur, die PAS werde "systematisch mit den Ereignissen des 11. September in Verbindung gebracht", klagt der jugendlich wirkende Politiker. Tatsächlich war Malaysia recht schnell in das Blickfeld des FBI geraten: Zwei der Flugzeugentführer vom 11. September waren Mitte 2000 bei einem Treffen mit einem Vertrauten Osama bin Ladens in Kuala Lumpur gefilmt worden. Im August 2001 ließ die Polizei aufhorchen, als sie zehn Mitglieder einer bis dahin unbekannten Kumpulan Mudjahedin Malaysia (KMM) festnahm. Wenige Tage später steckte sie auch Nik Adli, den Sohn des PAS-Regierungschefs der Provinz Kelantan ins Gefängnis. Adli sei Führer der KMM gewesen, die einen islamischen Umsturz geplant habe, hieß es. In Malaysia wie in Singapur gilt der ISA, der Internal Security Act, der Verhaftungen ohne Anklage auf praktisch unbegrenzte Zeit zulässt. Er ist ein probates Mittel gegen Regimegegner und kommt nun den Terroristenfahndern gelegen. Die Genugtuung der Dauerregierungspartei UMNO in Malaysia ist angesichts der radikalen Gesetzesverschärfungen in den USA und Europa grenzenlos. "Wir haben die internationale Kritik besiegt", sagt ein Parteifunktionär.
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