Von Ruhestand kann bei Elke Holz keine Rede sein, auch wenn sie 72 Jahre alt ist. Längst pensioniert, kehrte die ehemalige Abteilungsleiterin für Sozialpolitik bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) vor sechs Jahren als ehrenamtliches Verwaltungsratsmitglied zu ihrem alten Arbeitgeber zurück – über die Sozialwahlen. Elke Holz hatte sich auf einer jener Wahllisten aufstellen lassen, deren Erfolg vor allem von ihrem identifikationsstiftenden Namen abhängt: Die Versicherten wählen die Leute, die mutmaßlich ihren Status teilen.
Holz wirkt wie die Personifizierung einer Anzeigenkampagne: „Ich liebe das Leben.“ Ihr Wahlverein nennt sich „DAK-Versicherten- und Rentnervereinigung“, unter den Mitgliedern dominieren h
nieren höhere Altersklassen. Die Aktiv-Pensionärin ist gut vernetzt. Dass sie als Verwaltungsrätin deshalb im Geflecht der Interessen, im Netzwerk der Verbandsvertreter und Politfunktionäre eine machtvolle Rolle einnimmt, kann man allerdings nicht sagen. Als im vergangenen Jahr die Vorstände von DAK und der BKK Gesundheit über einen Zusammenschluss verhandelten, erfuhr Holz erst spät davon – zu einem Zeitpunkt, als alles schon wieder abgeblasen war.In den sechs Jahren der nun zu Ende gehenden Amtszeit der bundesweit rund 4.000 Verwaltungsräte in der Sozialversicherung haben Vertreter wie Elke Holz im Schnitt vier bis sechs mal pro Jahr getagt – manchmal öffentlich, manchmal hinter verschlossenen Türen. Es hat dabei oft lebhafte Debatten gegeben, doch auch der engagierteste Sitzungsverlauf kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Selbstverwalter meist nur noch absegnen, was im Vorstandsausschuss zwischen einer hauptamtlichen Verwaltungs-Troika und einem Spitzen-Trio der Selbstverwaltung ausgekungelt wurde.Vorinstallierte GleiseEs geht dabei um nicht weniger als die Renten-, Kranken-, Pflegeversicherung, einen Apparat mithin, der, rechnet man alles zusammen, auf ein Finanzvolumen von einer halben Billion Euro kommt. Der Apparat bewegt sich freilich weitgehend auf politisch vorinstallierten Gleisen, meist an Verwaltungsräten wie Elke Holz vorbei. Oder an den Patienten, deren Vertreter wiederum mit den Verwaltungsräten keinen Kontakt pflegen, wie Ursula Helms von der Informations- und Clearingstelle der Selbsthilfe-Bewegung und Magdalena Kaminski, eine von fünf Patientenvertreter n im Gemeinsamen Bundesausschuss der Kassen und Ärzte, bekunden. Vielleicht, sagt Helms, müsse man intensiver darüber nachdenken, mit einer eigenen Liste bei den Sozialwahlen anzutreten.Diese drittgrößte Abstimmung in Deutschland hat durchaus das Zeug zu demokratischen Selbstermächtigung – wenn auch in Grenzen. Die Selbstverwaltung könne ein Einstieg in die gelebte Partizipation sein, meint zum Beispiel Margret Mönig-Raane. Die 63-Jährige ist Vizevorsitzende von Verdi, einer der größten Gewerkschaften, und kulturell zwischen Arbeiter- und Studentenbewegung aufgewachsen. Die Selbstverwaltung, sagt Mönig-Raane, sei deshalb so wichtig, weil „sich die Beteiligung der Bürger in einer Demokratie nicht in den Wahlgängen erschöpfen darf, sondern ständige Mitbestimmung und Mitgestaltung erfordert“.Doch genau hier liegt das große Problem einer Selbstverwaltung, die nach den jüngsten Gesundheitsreformen noch weniger eine sein wird: „Alle zentralen Stellschrauben für die Gesetzliche Krankenversicherung – vom Beitragssatz bis zum Leistungskatalog – liegen künftig in Händen der Bundesregierung“, sagt die Verdi-Frau und gerät dabei in Rage. Eine „kalte Entmachtung“ sei das, die Selbstverwaltung verkomme so „zur reinen Alibi-Veranstaltung“. Das ist bei der Rentenversicherung nicht anders. Hier legt der Gesetzgeber die wichtigsten Zahlen fest: etwa die Beitragshöhe oder den Anstieg der Renten. Die 30 Arbeitnehmer in der Vertreterversammlung, wie der Verwaltungsrat hier heißt, können dabei nicht mitreden.Im öffentlichen Schatten Selbstverwaltung in den sozialen Sicherungssystemen hat in Deutschland eine lange Tradition – und man könnte von einem Sonderweg sprechen, schließlich gibt nirgendwo sonst ein vergleichbares System. Wie stark die dahinter stehende Idee aber überhaupt im Alltag der Menschen verankert ist, lässt sich nur schwer sagen. Die Sozialwahlen stehen im Schatten einer auf den parteipolitischen Raum fokussierten Öffentlichkeit – und daran sind die Träger der Sozialversicherung nicht ganz unschuldig.Beinahe zurückhaltend wird über eine Abstimmung gesprochen, an der immerhin zig Millionen Mitglieder teilnehmen können. Zwar gibt es Broschüren, in denen von der Bedeutung der Sozialwahl die Rede ist: „Es geht um die Zukunft des deutschen Sozialsystems, um Ihre Gesundheit und um Ihre Rente“, heißt es da zum Beispiel. „Wählen Sie ein Management Ihres Vertrauens.“ Aber wen? Ein Anruf bei der Servicenummer des Branchenführers Barmer und die Bitte um Informationen über die Kandidaten führt nicht weiter.Was bleibt also von der Wirklichkeit des deutschen Selbstverwaltungssystems in der Sozialversicherung? Viele engagierte Menschen, aber die politische Wirkung ihrer Arbeit in den Verwaltungsräten ist gering. Man könnte sagen: „Viel Geld für wenig Demokratie“, denn so eine Sozialwahl allein kostet schon mehr als 40 Millionen Euro. Außerdem macht sich auch hier das Nachwuchsproblem breit: Wenn die ehrenamtliche Tätigkeit der Verwaltungsräte nicht mehr gefördert, vielleicht auch mit höheren Spesen vergütet wird, dann, sagt Elke Hoff, wird sich irgendwann vielleicht kaum noch jemand dafür finden.