"Uh, ah Chávez no se va", hallt es durch die Einkaufspassage am Parque Central in Caracas, "Uh, ah, Chávez wird nicht gehen". Seit der Slogan aus der Zeit vor dem Abberufungsreferendum gegen Hugo Chávez von der populären Combo Grupo Madera vertont wurde, hört man die Mischung aus Salsa-Rhythmen und HipHop an fast jeder Straßenecke. Auch wenn das Lied als inoffizielle Hymne der Chavisten gilt, sind Martín Villega politische Absichten fremd. "Das Lied verkauft sich gut", meint der CD-Verkäufer trocken und verschwindet fast hinter seinem Stand in der kleinen Nische zwischen einer Apotheke und mehreren Geldautomaten der Venezolanischen Nationalbank. Nicht nur die Anhänger des Präsidenten pflegen ihre Hymnen. Neben dem jüngsten Madera-Album mit dem Titel In Zeiten der Bolivarianischen Revolution finden sich im Sortiment von Villega auch CDs mit regierungskritischen Texten. "Das hier ist pro, dieses hier contra Chávez", präsentiert er sein Angebot.
Nach fast sechs Jahren Chávez-Regierung ist Venezuelas politischer Grundkonflikt zumindest in Caracas weiter mit Händen zu greifen. Über der Tunneleinfahrt zum Bürokomplex am Parque Central prangt noch ein überdimensionales und in Glühbirnen gefasstes NO - die Aufforderung, beim Referendum am 15. August, mit dem die Rechtsopposition Chávez vorzeitig aus dem Amt werfen wollte, dem Staatschef das Vertrauen zu entziehen. Doch scheiterte das Anti-Chávez-Lager mit diesem Votum bekanntlich ebenso wie bei den Regionalwahlen Ende Oktober, als mehrheitlich die Kandidaten des linken Regierungsbündnisses Bewegung V. Republik triumphierten. Die Opposition ist seither spürbar angeschlagen, zumal nach dem Putschversuch vom April 2002 und der Sabotagekampagne in der Erdölindustrie im gleichen Jahr viele ihrer Führer im Gefängnis oder Exil sitzen. Die beiden einst etablierten Parteien, die sozialdemokratische AD und die christdemokratische COPEI, die über Jahrzehnte hinweg Macht und Reichtum teilten, sind regelrecht marginalisiert. Oberflächlich betrachtet könnten die Chavisten gestärkt in das siebte Jahr der "Bolivarianischen Revolution" gehen, doch birgt gerade die Kluft zwischen dem Machtanspruch und Machtzustand ihrer Gegner neuerliche, schwer kalkulierbare Gefahren.
Nach Monaten relativer Ruhe gab es denn auch am 18. November wieder einen blutigen Terroranschlag, als der prominente Staatsanwalt Danilo Anderson mit einer Autobombe getötet wurde. Dem 38-Jährigen oblagen die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen rund 400 Drahtzieher des Putschversuches von 2002. Neben Politikern sollten dabei Rechtsanwälte, Unternehmer und vor allem 59 Militärs verhört und gegebenenfalls zur Verantwortung gezogen werden. Nachdem Teilnehmer des Putsches bei den erwähnten Regionalwahlen mit dem Amt auch ihre Immunität verloren, zögerte Anderson nicht lange. Auch gegen Alfredo Peña, den abgewählten Bürgermeister von Caracas, und Enrique Mendoza, den ehemaligen Gouverneur des Bundesstaates Miranda, sollten nun Ermittlungen aufgenommen werden. Ein Vorhaben, das dem Obersten Gericht höchst suspekt war, hatten doch dessen Richter seinerzeit nach dem gescheiterten Umsturz befunden, es habe keinen Putsch, sondern lediglich ein "temporäres Machtvakuum" gegeben. Und vor wenigen Wochen erst hatte der venezolanische Fernsehmoderator Orlando Urdaneta zum bewaffneten Kampf gegen Hugo Chávez aufgerufen. Der einzige Ausweg, verkündete er im US-Fernsehsender Kanal 22, sei "die physische Auslöschung des größten Hundes" - gemeint war der Präsident Venezuelas.
Daraufhin hatte Informationsminister Andrés Izarra in Caracas erklärt, man wisse, das kubanische Exil im US-Staat Florida sei damit beschäftigt, venezolanischen Gesinnungsgenossen die notwenigen "Mittel, strategischen Kenntnisse, logistischen Hilfen und politischen Kontakte mit der US-Regierung" zu verschaffen. Offenkundig arbeiten Anti-Castro-Gruppen und Chávez-Gegner enger zusammen, seit Venezuelas Präsident mehr bilaterale Kooperation mit Havanna sucht. Gleichfalls aus dem sicheren Abstand des Exils in Florida hatte Venezuelas sozialdemokratischer Ex-Präsident, Carlos Andrés Pérez, bereits im August zum Mord an Chávez aufgerufen. Zuvor waren prominente Castro- und Chávez-Gegner in einem lokalen TV-Sender in voller Kampfmontur und mit Schnellfeuergewehren aufgetreten.
Als die Autobombe die Limousine des Staatsanwalts Danilo Anderson in die Luft sprengte, blieb neben dem Ziel des Anschlags auch der Zeitpunkt nicht dem Zufall überlassen. Der Terrorakt wurde nur zwei Tage vor dem Ibero-Amerikanischen Gipfel verübt. Nach den jüngsten Rückschlägen für die Opposition hätte der venezolanische Präsident bei diesem Treffen mit einer deutlich gestärkten Position auftreten können. Nach dem Attentat auf den Juristen Anderson musste er seine Teilnahme absagen, um statt dessen ein Anti-Terror-Dekret zu erlassen. Danach werden sich ab sofort "Sondergerichtshöfe" mit der politischen Gewalt beschäftigen, deren Richter und Staatsanwälte anonym bleiben. Ein durchaus umstrittenes Verfahren, da es eine demokratische Kontrolle der Justiz verhindert und das Argument der Rechten bedient, Chávez lasse den Rechtsstaat demontieren. Noch scheint sich die Regierung der Gratwanderung bewusst, die sie mit den neuen Gerichtshöfen antreten dürfte.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.