Die Autobiographie von Wolf Biermann: Viel Westgeld für Ostlieder

Ex-Linke Zu seinem 80. Geburtstag legt Wolf Biermann eine fulminante Autobiografie vor
Ausgabe 44/2016
Manche sehen in Biermanns Ausbürgerung den Anfang vom Ende der DDR
Manche sehen in Biermanns Ausbürgerung den Anfang vom Ende der DDR

Foto: Adam Berry/Getty Images

Die Augenblicke der Geschichte können kurz oder lang dauern. Aber es bleiben Augenblicke. Der Liedermacher Wolf Biermann – das Wort hat er für sich erfunden – hatte seinen Augenblick: von 1968 bis 1976. Das totale Auftritts- und Publikationsverbot in der DDR veranlasste ihn, 1968 seine eigene erste Schallplatte im Westen herauszubringen: Chausseestraße 131. Die Lieder waren in seiner Wohnung notdürftig aufgenommen worden. Die Platte war erfolgreich. Biermann erhielt den Fontanepreis. Das Preisgeld von 10.000 D-Mark gab er an den Rechtsanwalt Horst Mahler weiter.

Erst als 16-Jähriger war der aus Hamburg stammende Biermann in die DDR gekommen. Sein Vater, ein Arbeiter, Kommunist und Jude, war in Auschwitz ermordet worden. Die Mutter erzog ihn stramm kommunistisch, in der DDR konnte er ein Internat besuchen und anschließend an der Humboldt-Universität in Berlin studieren. Nebenher war er Regieassistent am Berliner Ensemble. Begegnungen mit dem Komponisten Hanns Eisler halfen ihm musikalisch auf die Sprünge. An der Universität brachte er es in Philosophie zum Abschluss, der ihm jedoch nicht das Diplom einbrachte, denn inzwischen hatte es die ersten Konflikte mit den Mächtigen des Arbeiter- und Bauernstaats gegeben.

Biermann tingelte nach kurzem Auftrittsverbot durchs Land, trat auch im Westen auf und brachte im Verlag Klaus Wagenbach seinen ersten Gedichtband Die Drahtharfe heraus. Das Buch wurde ein Bestseller. Die Zeit des darauffolgenden Totalverbots in der DDR überstand Biermann über elf Jahre aufgrund der Tantiemen, die ihm von der GEMA in der Bundesrepublik zuflossen. Die Besuche westdeutscher Linker bekamen eine gewisse Regelmäßigkeit, was die beginnende Ära Honeckers und die neue Ostpolitik Bonns erleichterten. Im Jahr 1976 – der zweite Merkpunkt für den Augenblick des Liedermachers, dem der Literaturkritiker eine „robuste Rhetorik“ bescheinigte – erhielt Biermann jählings die Erlaubnis, auf Einladung der IG Metall ein Konzert in Köln zu geben. Der Auftritt wurde zu einem gigantischen Erfolg, aber Biermann erfuhr gleich danach, dass er nicht in die DDR zurückdurfte. Er wurde ausgebürgert. Dieser Schritt der SED führte zu einem vorher nie dagewesenen Aufruhr unter den Künstlern und Intellektuellen in der DDR. Manche sagen heute, das sei der Anfang von ihrem Ende gewesen.

Fortdriften von den Linken

In der Bundesrepublik war Biermann zunächst recht unglücklich. Er vertrat populäre linke Positionen und das zu ihm strömende Publikum war begeistert, wenn er in den Saal röhrte: „Oh Gott, lass du den Kommunismus siegen“ – oder salopp sang „Das war in Buckow zur Süsskirschenzeit“. Das Lied, mit dem er weithin identifiziert wurde, begann mit den Zeilen: „Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit.“ Das kannten und mochten auch bald diejenigen, die nicht links waren.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein, sagte Karl Marx. Es begann Biermanns Fortdriften von den Linken. Er bekam Preise ohne Ende, so auch den Büchnerpreis 1991. Er wechselte die Verlage, allerdings weniger oft als die Frauen. Er lebte in Hamburg und in Paris. Irgendwann war dann Schluss mit der Nähe zur westdeutschen Linken. Dafür wurde er beschimpft. Was waren die Gründe? Zum Beispiel merkte er: Die Westfreunde aus den 60er und 70er Jahren hatten sein Zerwürfnis mit den DDR-Oberen für eine Art Familienkrach gehalten. Sie wollten an Biermann und an der DDR festhalten. Das mißfiel Biermann, der Freunde zurückgelassen hatte, die in DDR-Knästen litten.

Als 1982 sein enger Freund Robert Havemann im Sterben lag, durfte ihn der Ausgebürgerte in der DDR besuchen, nachdem er in einem Brief Honecker darum gebeten hatte. In seiner soeben zu seinem 80. Geburtstag erschienenen wunderbaren Autobiografie berichtet Biermann, was vorher geschah. Er wurde auf Distanz von einem Stasi-Kommando begleitet. Die Fahrt war lang. Man kam ins Gespräch. Ob er im Westen von seinen Liedern leben könne? Er habe mehr als er brauche. Ob die im Westen denn seine Lieder verstünden? „Nee.“ Das, resümierte der Stasi-Mann, habe er sich gedacht. Doch noch ein Augenblick.

Info

Warte nicht auf bessre Zeiten! Die Autobiographie Wolf Biermann Propyläen 2016, 576 S., 28 €

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