Viele Jäger sind des Hasen Tod

Kommentar Windhundrennen um Mindestlöhne

Lange gehörten Mindestlöhne zu jenen Konfliktthemen, die von den Parteien der großen Koalition nur mit spitzen Fingern angepackt wurden. Und nun das: Der SPD-Parteivorstand startet beherzt eine Unterschriften-Kampagne für ein Verbot von Lohndumping und für Mindestlöhne. Gewerkschafter der CDU kontern mit einem eigenen Unterschriftsbegehren gegen Armutslöhne und fordern gar den Gesetzgeber auf, Lohnuntergrenzen festzulegen. Und die Galionsfiguren der neuen Linken, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, tragen sich mit spitzbübischem Lächeln und großer Medienaufmerksamkeit in die SPD-Liste ein und kündigen einen inhaltsgleichen Antrag im Bundestag an.

Warum auf einmal dieses politische Windhundrennen? Und welchem Hasen jagen die Kontrahenten da nach? Sicher: Fast drei Millionen Vollzeitbeschäftigte in Deutschland arbeiten für Armutslöhne, die nicht einmal die Hälfte des Durchschnittslohnes betragen. Dunkelziffer nicht berücksichtigt! Stundenlöhne von zwei, drei oder vier Euro sind keine Seltenheit, nicht nur in Ostdeutschland und nicht nur im Dienstleistungssektor. Und über 900.000 Erwerbstätige erhalten Aufstockungszahlungen, weil ihre Einkommen noch unterhalb der Bedarfsgrenzen von Hartz IV liegen. Das alles ist ein Skandal - aber es ist auch seit langem bekannt.

Warum erregt es auf einmal die Gemüter der politischen Klasse? Kein Zweifel: Die politischen Akteure treibt - vorsichtig formuliert - nicht ausschließlich die Sorge um das Schicksal der von Armutslöhnen Betroffenen. Hinter der SPD-Initiative dürfte sich weniger das neuerwachte soziale Gewissen als vielmehr die Machterhaltungslogik der Parteistrategen verbergen. Ohne eine Konturierung des sozialen Profils wird der Sturzflug der SPD in der Wählergunst kaum zu stoppen und das Zerwürfnis mit den Gewerkschaften nicht zu beenden sein. Auch die Initiativen der Christlichen und der Linken sind nicht weniger von parteitaktischen Kalkülen geprägt.

Was ist nun unter diesen Bedingungen zu erwarten? Ein politischer Kompromiss innerhalb der großen Koalition scheint möglich. Demnach könnten das Entsendegesetz auf Branchen wie den Einzelhandel, die Forstwirtschaft, das Frisörhandwerk und die Postdienste ausgeweitet und zugleich sittenwidrige Löhne gesetzlich verboten werden. Die Ausdehnung des Entsendegesetzes würde es ermöglichen, vorhandene tarifliche Untergrenzen für allgemeinverbindlich zu erklären. Und das Verbot sittenwidriger Löhne würde Einkommen, die 20 oder 30 Prozent unter der ortsüblichen oder tariflichen Bezahlung liegen, für rechtswidrig erklären. Soweit, so gut.

Doch durch das Fernglas wird dieser Mindestlohn-Hase schnell als Attrappe erkennbar. Denn wo keine tariflichen Mindestnormen existieren, läuft das Entsendegesetz leer, und das wäre in den eigentlichen Problembranchen oftmals der Fall. Und ein Verbot sittenwidriger Löhne würde auch bedeuten, Armutslöhne von etwa 2,10 Euro im sächsischen Frisörhandwerk, 3,50 Euro im Berliner Bewachungsgewerbe und 4,40 Euro im Hamburger Hotel- und Gaststättengewerbe für rechtskonform zu erklären. Denn die relevanten tariflichen Bezugsgrößen liegen eben nur 20 bis 30 Prozent darüber. Das alles liefe letztlich auf die Karikatur eines Mindestlohns und - absurder Weise - einen Akzeptanzbeschaffer für den Niedriglohnsektor hinaus!

Was also tun? Das Rennen wegen unsportlichem Verhalten der Kontrahenten abblasen? Nein! Die Gewerkschaften haben in den vergangenen Monaten erheblichen Druck auf die Bundesregierung ausgeübt. Für sie ist die Bekämpfung von Armut trotz Arbeit ein unverzichtbares Essential einer solidarischen Sozialstaatsreform. Wo sich Chancen ergeben, verbindliche Mindestlöhne zu erreichen, müssen sie genutzt werden - gleichgültig, welche Süppchen auf dieser Flamme sonst noch gekocht werden.

Doch eine so begründete Kooperationsbereitschaft kann nur für Mindestlohnregelungen gelten, die ihren Namen auch verdienen. Diese sind leicht zu erkennen. Sie sollten existierenden Tarifverträgen Vorrang einräumen, gesetzlich aber eine Untergrenze für tariffreie Zonen und unzureichende Tarifstandards definieren und verbindlich festlegen. Und diese Untergrenze darf, wie vergleichbare Regelungen in europäischen Nachbarländern anzeigen, nicht unter einem Stundenlohn von acht Euro liegen. Darunter darf nichts gehen! Stünde dies am Ende, könnten auch Betroffene und Gewerkschaften Gefallen an diesem Windhundrennen finden.

Hans-Jürgen Urban ist Leiter des Bereichs Gesellschaftspolitik/Grundsatzfragen der IG-Metall.


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