Zu Beginn seiner Ansprache vor dem „Kollegium“, dem Leitungsstab des Verteidigungsministeriums in Moskau, wiederholte Wladimir Putin am Nachmittag des 21. Dezember die offizielle Formel von der „Speziellen Militäroperation“. Der Begriff lässt an eine überschaubare Operation denken, die jederzeit abgebrochen werden kann. Dass es darum nicht geht, machte Putin wenige Sekunden später deutlich. Da sagte er, die Soldaten auf dem Schlachtfeld kämpften „genau wie die Helden des Krieges 1812, des Ersten Weltkrieges oder des Zweiten Weltkrieges“.
Damit setzte er einen Akzent, der kennzeichnend war für den gesamten Auftritt: Russlands Führung will den Krieg auf lange Sicht fortsetzen und dabei Opfer und Belastungen nicht scheuen.
scheuen. Dieser Wille steht in der Tradition des Zaren Alexander I., der Napoleon besiegte, und Stalins, der über Hitler triumphierte. Seinen Militärs macht Putin Feldherren wie Michail Kutusow zum Vorbild, der die Franzosen vor sich hertrieb und Marschall Georgi Schukow, der 1945 mit seinen Truppen Berlin einnahm. Putin sprach nicht vom Sturm auf Kiew, aber die Logik seiner gesamten Rede führt dahin, dass er den Krieg siegreich beenden will, indem seine Soldaten die russische Fahne dort hissen.Woran es fehltDer Präsident stellte nicht die Frage, ob dieses Ziel realistisch sei. Er vermied es, eine Zwischenbilanz zu ziehen und Misserfolge einzugestehen. Dennoch ließ er erkennen, dass er detailliert über die Schwächen seiner Truppe im Bilde ist. Mal erwähnte er, die Armee brauche „automatisierte Systeme für die Lenkung der Streitkräfte“, mal sprach er davon, das „System der Steuerung und Verbindungen“ müsse „vervollkommnet“ werden. Dieser Anklang an die euphemistische Sprache des „realen Sozialismus“, in der die Welt im Grunde als nahezu vollkommen erschien, spiegelt ein Problem wider, das russische Experten der militärischen Führung seit Monaten vortragen. Danach fehlt es der russischen Armee an abhörsicherer Kommunikation zwischen den Einheiten und an effektiven Mitteln zur Gesamtsteuerung. Ähnliche Probleme gibt es auch bei der Aufklärung mit Hilfen von Drohnen.Dass es in vielen Einheiten vor allem an Aufklärungsdrohnen mangelt, räumte Putin indirekt ein, indem er betonte, ein Arsenal von Drohnen gehörte auf jeden Fall in „Züge, Kompanien, Bataillone“. Putin wies die Militärs auch darauf hin, er wolle „unterstreichen“, dass es die Aufgabe des Verteidigungsministeriums sei, Soldaten mit den modernsten Schutzwesten, Helmen und Medikamenten zu versorgen. Auch daran hatte es nach Berichten von Soldaten in den vergangenen Monaten vielerorts gefehlt.Geld ohne Ende für den KriegEben deshalb soll es keinerlei Begrenzungen in der Finanzierung geben. „Das Land, die Regierung gibt alles, um was die Armee bittet – alles.“ Damit hat der russische Präsident erstmals eine Priorität für kriegsbedingte Ausgaben gesetzt. Auch hier knüpft er an geschichtliche Vorbilder an, es stellen sich Assoziationen her zur Parole aus dem Zweiten Weltkrieg: „Alles für die Front! Alles für den Sieg“.Dass nicht alle Bürger Russlands von dieser Perspektive begeistert sind, weiß Putin. Seiner Administration liegen Umfragen von Soziologen vor, die besagen, dass die jüngere Generation in der Frage der Mobilisierung gespalten ist: 50 zu 50 Prozent. Entsprechend erwähnte Putin „besondere Probleme“ bei der Mobilisierung, ohne ins Detail zu gehen. Was er meint, wissen freilich die Zuschauer des russischen Staatsfernsehens. Selbst dessen Nachrichtensendungen räumen ein, dass Bürger einen Einberufungsbefehl erhielten, die gar nicht hätten einberufen werden dürfen.Zurück nach ChersonPutin forderte, das System der Wehrkreiskommandos, der „Woenkomaty“ zu „modernisieren“. Und er bat die Militärs, auf Kritik von Bürgern „richtig und rechtzeitig“ zu reagieren, auch wenn die Reaktionen „emotional“ seien. Es dürften, so der Präsident „bestehende Probleme nicht verschwiegen“ werden. Damit schlüpfte Putin einmal mehr in seine traditionelle Rolle als Schiedsrichter gegenüber der Bürokratie.Eine Drohung mit einem Atomschlag gab es diesmal nicht. Doch der Präsident sagte, die Kernwaffen seien „die Hauptgarantie für die Bewahrung unserer Souveränität und territorialen Integrität.“ Und er bekannte, dass nach seinem Verständnis zur territorialen Integrität auch die „neuen Territorien“ gehören, die er im September durch international nicht anerkannte Referenden zu Teilen Russlands erklären ließ. In diesem Gebieten, so Putin, werde die Armee ihre Aufgaben „zweifellos erfüllen“. Das bedeutet, es ist den Streitkräften aufgetragen, so bald wie möglich die Städte Cherson und Saporoschje wie die derzeit von der Regierung in Kiew kontrollierte Gebiete des Donbass einzunehmen.