Vielleicht höre ich mit allem auf

Im Gespräch Der französische Regisseur François Ozon über seinen neuen Film "Angel", Kontrollsucht in der Kunst und den richtigen Ruhm zu Lebzeiten

England um 1900: Angel (Romola Garai) schreibt in eskapistischen Schundromanen gegen die ärmlichen Verhältnisse an, in denen sie aufwächst. Ihre Bücher finden reißenden Absatz. Gemeinsam mit ihrem Verlobten, dem naturalistischen Maler Esmé (Michael Fassbender), bezieht sie ein prächtiges Schloss. Dort aber verwandelt sich die irreale Wunschwelt in einen realen Alptraum. François Ozons jüngstes Werk Angel - Ein Leben wie im Traum ist ein leichter, üppiger Film. Die bizarre Mischung aus Camp, Kitsch und Hommage fand bei der diesjährigen Berlinale ein widersprüchliches Echo.

FREITAG: Das Kinopublikum kannte Sie bislang als Meister des feinen, kammerspielartigen Kinos. Nun präsentieren Sie mit "Angel" einen opulenten Kostümfilm in der Tradition von "Vom Winde verweht".
FRANÇOIS OZON: Die großen Melodramen, wie sie in den dreißiger und vierziger Jahren produziert wurden, gibt es heute nicht mehr. Solche Filme würde das Publikum gar nicht mehr annehmen. Mit "Angel" habe ich versucht, dem klassischen Melodrama einen Dreh zu verleihen und mit dem Genre, all seinen Klischees und Effekten zu spielen, um so etwas anderes, Eigenes zu kreieren.

Warum haben Sie sich für den Roman der britischen Schriftstellerin Elizabeth Taylor entschieden?
Weil mir das Buch sehr gut gefällt, und weil ich mich beim Lesen in die Hauptfigur verliebt habe. Der Romanstoff bot mir eine einzigartige Gelegenheit, einen epischen Film zu drehen. Für mich war es eine Herauforderung, einen Epochenfilm zu realisieren, mit Kostümen, historischen Sets und allem, was dazugehört. In erster Linie aber hat mich die Auseinandersetzung mit dem Thema Kunst fasziniert. Das Buch liefert das Porträt einer sehr widersprüchlichen Künstlerin. Angel kann unheimlich liebenswürdig sein, aber auch furchtbar selbstsüchtig. Man kann sie zugleich lieben und hassen. Das hat mich gereizt.

Weshalb stehen in Ihren Filmen fast immer Frauen im Mittelpunkt?
Ich mag starke weibliche Charaktere. Gerade in einer Zeit, in der Frauen nur wenig Macht hatten, wie zu der Zeit, in der "Angel" spielt, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, finde ich es besonders interessant, eine Geschichte aus dem Blickwinkel einer starken Frau zu erzählen. Es ist die Geschichte einer Frau, die versucht, alles in ihrem Leben zu kontrollieren. Diese zwanghafte Kontrollsucht ist übrigens gar nicht so weit von der Haltung eines Filmregisseurs entfernt. Insofern steht Angel auch für einen bestimmten Typus eines Regisseurs, zu dem ich mich allerdings nicht zählen möchte. Die Frage nach dem Zweck von Kunst, die der Film aufwirft, erlaubte es mir auch, mich mit meinen eigenen Ängsten auseinander zu setzen; etwa mit der Furcht, selbst einmal wie die alte Angel zu enden. Also ehrlich, ich möchte nicht, dass irgendwann, wenn ich alt bin, ein junger Journalist zu mir kommt und sagt: "Oh, meine Großmutter liebt ihre Filme!" Für mich war es eine Art Therapie, diesen Film zu machen.

Sie möchten nicht so werden wie Angel.
Nein, aber ich verstehe sie. Als Künstler musst du in gewisser Weise obsessiv sein. Du darfst dich von deinen Obsessionen bloß nicht auffressen lassen. Du darfst den Bezug zur Realität nicht verlieren. Angel und ihr Geliebter, der Maler Esmé, verkörpern im Film zwei völlig gegensätzliche Kunstauffassungen. Esmé bildet die Schattenseiten der Wirklichkeit ab, egal ob sich das Publikum dafür interessiert oder nicht. Angel hingegen trifft den Nerv des Publikums, aber ihre Kunst ist flüchtige, triviale Unterhaltung. Sie wird in Vergessenheit geraten. Es stehen sich also zwei Künstler gegenüber: die eine erntet den Ruhm zu Lebzeiten, der andere nach seinem Tod.

Und wo sehen Sie sich selbst?
In der Mitte! Ich möchte beides: den ewigen Ruhm und das Geld, wie Picasso, aber auf keinen Fall so enden wie van Gogh. Nein, ernsthaft: die Zeit ist der einzig wirkliche Kunstrichter. Der Erfolg an sich ist mir egal. Ich möchte kein Filmstar sein, das bedeutet mir nichts. Aber ich möchte genug Geld verdienen, um weiter arbeiten zu können. Das ist der Unterschied zwischen einem Schriftsteller und einem Regisseur. Als Regisseur bist du auf finanziellen Erfolg angewiesen. Es gibt viele gute Regisseure, die keinen Erfolg hatten und deshalb nicht mehr weiter arbeiten können. Kino bedeutet für mich zwar Kunst, aber Kino ist auch eine Industrie. Und Filmemachen kostet Geld.

Mit "Angel" haben Sie zum erstenmal einen komplett englischsprachigen Film gedreht. Warum?
Weil die Geschichte typisch britisch ist. In Frankreich gibt es keine entsprechende Tradition von Schriftstellerinnen. Außerdem haben mich die französischen Schauspielerinnen auch ein wenig gelangweilt. Ich habe schon mit so vielen zusammengearbeitet. Ich wollte mal ein paar neue Gesichter sehen, neue Eindrücke kennen lernen. Romola Garai ist als Angel großartig. Dasselbe gilt für Michael Fassbender als Esmé. In Frankreich gibt es zwar viele talentierte Nachwuchsschauspielerinnen, aber kaum talentierte Nachwuchsschauspieler. Das ist in England anders.

Auf die bewährte Zusammenarbeit mit Charlotte Rampling wollten Sie aber nicht verzichten?
Nein, im Gegenteil. Charlotte spielt im Film zwar nur eine kleinere Nebenrolle, aber sie hat mir sehr geholfen, was die Arbeit mit den englischen Schauspielern betrifft. Die funktioniert schon etwas anders als mit französischen Darstellern. Das war für mich eine neue Erfahrung.

Und welche neue Erfahrung erwartet die Zuschauer bei Ihrem nächsten Filmprojekt?
Das weiß ich selbst noch nicht. Ich brauche jetzt erst einmal etwas Zeit, um zu sehen, wie das Publikum auf "Angel" reagiert, und um für mich selbst herauszufinden, wo ich mit meiner Arbeit hinmöchte. Vielleicht höre ich auch mit allem auf. Vielleicht war das ja mein letzter Film.

Das Gespräch führte Stefan Volk


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