Vielleicht will sie gar nicht

Thüringen Bodo Ramelow für die Wahl eines AfD-Landtagsvizepräsidenten zu schmähen, zeugt von einer eindimensionalen Weltsicht
Ausgabe 11/2020
Ich schwöre, aber will ich auch?
Ich schwöre, aber will ich auch?

Foto: Maja Hitij/Getty Images

Modalverben haben die Eigenschaft, den Inhalt einer Aussage zu ändern. Es sind sehr machtvolle Worte. Etwas tun dürfen oder tun müssen sind zwei sehr verschiedene Welten. Linke haben eine große Affinität zu „müssen“ und zu „sollen“. „Dürfen“ gern in der Kombination mit dem Partikel „nicht“. Und meist mit dem Verweis auf andere.

In Thüringen ist die Linke gehalten, aus Minderheiten konstruktive Mehrheiten zu machen. Wenn sie sich den Pelz wäscht, wird sie nass. Viele Entscheidungen der Minderheitenregierung folgen einem Imperativ, der sich logisch aus der Entscheidung ableitet, regieren zu wollen. Sie musste das Paritätsgesetz aussetzen und Bodo Ramelow musste einen Landtags-Vizepräsidenten von der AfD wählen. Sie hätte es anders gewollt und sie hätte auch anders handeln dürfen. Der Preis wäre hoch, aber der Pelz bliebe trocken. Leider funktioniert Politik so nicht. Ramelow für sein Agieren jetzt, da er Ministerpräsident ist, zu verurteilen ist eine sehr eindimensionale Art, auf die Welt zu schauen. Aber viele Linke verabscheuen Mehrdeutigkeit. Ambiguität ist ihnen ein Gräuel, die Welt muss erklärbar sein. Und zwar jetzt. Aus A muss B und daraus C folgen, A‘, B‘ oder C‘ oder gar zurück auf A – das ist zu viel.

Ein wenig fühlt man sich daran erinnert, als Alexis Tsipras 2015 Ministerpräsident und seine Syriza Regierungspartei in Griechenland wurde. Welch ein Jubel, welch ein Leben, morgen Kinder…

Dann hat er tun müssen, der Tsipras, und es entsprach überhaupt nicht der reinen Lehre. Wie am Spielfeldrand beim Fußball kommentierten die einstigen Fans jeden Spielfehler und hätten es besser gemacht, stünden sie nur auf dem Platz. Aber da stand ja Tsipras. Und dort steht ja Ramelow.

Die Newtonschen Gesetze bei den Linken heißen oft: Hier fällt man schneller und tiefer. Das hat mehr mit den Abstoßungs- als mit den Anziehungskräften zu tun. Und vielleicht auch damit, dass es an einer intellektuellen, oder, sagen wir, intelligenten Erzählung mangelt, wie mit den Vieldeutigkeiten des Gegenwärtigen gearbeitet werden kann. Erst einmal ohne müssen und sollen, weil diese Modalverben beim Denken wirklich stören.

Von einer Strategiekonferenz der Linkspartei hätte man sich wünschen können, dass ernsthaft über Strategie geredet wird. Sie hat aber von ihrem Recht Gebrauch gemacht, das nicht tun zu müssen. Stattdessen hat sie darauf gesetzt, dass Masse am Ende Klasse bringen wird, selbst dann, wenn niemand versucht, dem ganzen wenigstens eine inhaltliche Struktur und eine übergreifende Erzählung zu geben.

Die Konferenz wird, trotz medialer Skandalisierung einer Blödheit und trotz vieler kluger Einzelbeiträge, im Orkus der Geschichte verschwinden. Das ist fahrlässig und bedauerlich, zumal es nicht so hätte kommen brauchen. Dazu aber wäre es vielleicht doch nötig, sich von einer sehr traditionellen und recht unterkomplexen Vorstellung von Kausalität zu verabschieden, die besagt, dass gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben und ähnliche Ursachen zu ähnlichen Konsequenzen führen. Dieser Abschied geht mit Ordnungsverlust einher, weil er mit der Erkenntnis einhergeht: Auch wenn man meint, alle Regeln eines Systems zu kennen, kann dieses sich überraschend verhalten. Und dann gelten die alten Antworten nicht mehr. Nicht einmal in Thüringen.

P.S.: Sahra Wagenknecht ist für keine Überraschungen mehr gut. Zu geschlossen das System.

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