Vier Jahre Bush

STAMMBAUM UND STALLGERUCH Die Klasse zählt halt doch in Amerika

Lang wird's nimmer dauern: Ab 20. Januar heißt der amerikanische Präsident George W. Bush. Dass er eine halbe Million Stimmen weniger bekommen hat als Al Gore, und nur durch einen legalen Staatsstreich ins Weiße Haus gelangt, wird schon bald nicht mehr viel ausmachen. Gewinnen, darauf kommt's an. Der Filius hat sich für die Wahlblamage seines Vaters vor acht Jahren gerächt. Da mögen die Schwarzen in Florida noch so fretten, und da mag eine Koalition von Grünen, Bürgerrechtlern, Anti-Globalisierern und sonstigen "Linken" noch so viele "Tage des Zorns" ausrufen. Der Pöbel bleibt draußen. Die Erwachsenen machen Politik.

Bush senior wurde 1980 bei seinem - erfolglosen - ersten Anlauf aufs Weiße Haus gefragt, ob er schon länger darüber nachdenke, einmal Präsident zu werden. Ja, sagte Bush damals: In Amerika tue das doch jedes Kind. Vielleicht, aber ein Bush kann sich dank seines Stammbaums realistische Hoffnungen machen. Die Bush-Vorfahren waren Politiker, Unternehmer, Privatbankiers, Leute mit Beziehungen, Leute mit Wohnsitz in Greenwich - lange reichste Stadt der USA - und Sommerhaus in Maine. Mit George W. ist einer von denen an der Macht, die meinen, sie hätten das Recht zum Machtausüben. Klasse zählt halt doch in Amerika. Ohne seinen Papa wäre der mindestens bis zum 40. Geburtstag alkoholgetränkte Sprössling nicht Gouverneur von Texas und erst recht nicht Präsident geworden.

Im neuen Kabinett sitzen die Vertreter der "alten Elite" - "Loyalität" zum Bush-Clan sei ihr Markenzeichen, heißt es. Eine Ansammlung von Politikern und Unternehmern, die vor allem eines vor Augen haben: Die wirtschaftlichen Interessen ihrer Klasse. Paul O'Neill, Chef des Aluminiumkonzerns Alcoa als Finanzminister, der texanische Erdölunternehmer (und Bushs Hauptspendeneintreiber) Don Evans als Handelsminister und Ann Veneman als Landwirtschaftsministerin. Sie hat sich schon, als sie in Kalifornien Ministerin im gleichen Ressort war, für die Interessen der Agrarindustrie und gegen die der Kleinbauern eingesetzt. Donald Rumsfield als Parteigänger des Nationalen Raketenabwehrsystems (NMD) hat die Rüstungslobby hinter sich. Im Übrigen zeichnet sich die Bush-Crew durch ethnische Vielfalt aus: Außenminister in spe Colin Powell und die Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sind Schwarze. Sollte nicht überraschen, spottete eine der bissigen Late Night-Talkshows: Im Hause Bush sei man doch an farbiges Dienstpersonal gewöhnt. In Kommentaren wird viel geschrieben von "Überparteilichkeit", zu der Bush wegen des "knappen" Wahlergebnisses verpflichtet sei. Skepsis ist angebracht. Bush kann von Clinton lernen. Der hatte in manchen Punkten den Republikanern sechs Jahre lang (so lange haben diese schon die Mehrheit im Kongress) vorgeführt, wie sich ein Präsident gegen die Opposition durchsetzt. Hier mal Tausende Quadratmeilen Land unter Naturschutz gestellt, ein anderes Mal schärfere Arbeitsschutzgesetze erlassen, dann die Diskriminierung Schwuler bei der Jobsuche in der Regierung verboten, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gestärkt, und so weiter. Bei vielen Vorschriften braucht ein Präsident gar keine Zustimmung durch den Kongress.

Überragend bei Clinton war freilich die freimarktwirtschaftliche Globalisierungspolitik. Und die richtete sich gegen die linken Demokraten und rechten Republikaner. Bush kann nach diesem Muster weitermachen. So wie Clinton die Gewerkschaften, die Umweltschützer, die Frauenorganisationen und andere linkslastige Bürgerverbände benutzte und ihnen gelegentlich Wünsche erfüllt hat, braucht Bush die christlichen Rechten und ideologischen Konservativen. Nach acht mageren Jahren sind Fernsehprediger Robertson und Companie vielleicht schon für Kleinigkeiten dankbar. Hier einmal ein rechter Bundesrichter ernannt, da einmal weniger Geld für internationale Familienplanungsprogramme, dann einmal kräftige Rhetorik gegen vorehelichen Sex und eine entsprechende Expertenkommission. Einladungen zum Übernachten im Lincoln-Bedroom des Weißen Hauses, wo seinerzeit Hillarys und Bills Hollywood-Freunde Gott-weiß-was gemacht haben. Leute aus den Gesellschaftskreisen der Bushs sehen Religion als Instrument zur Legitimierung ihrer Macht und zum patriotischen Zusammenführen der Nation. Religion ist gut, wenn sie karitativ tätig ist und der Regierung Arbeit abnimmt. Die "Oberen Zehntausend" können nicht viel anfangen mit den Frommen, die enge Glaubensgrundsätze durchsetzen und die Regierung zwingen würden, politisches Kapital auf Nebenschauplätzen zu verschwenden.

Im Wahlkampf war Bush geschickt mit den Ideologen umgegangen. Mobilisiert, aber haltet den Mund, lautete die Devise, um niemanden abzuschrecken. Was blieb den Rechten anderes übrig? Wohl wissend, dass der Kandidat ihre beste Hoffnung war, haben sie - wie die Gewerkschafter und Ökos unter Clinton - den Mund gehalten und mobilisiert. Jetzt wäre es Zeit, den Gutschein einzulösen. Im Kabinett haben die Rechten bisher aber nicht viel bekommen, abgesehen von dem zum Justizminister ernannten früheren Senator John Ashcroft, ein engagierter Verfechter des Schulgebets und Kämpfer gegen Abtreibung. Nimmt man Bushs Plattform ernst, steht der Nation eine Episode des Klassenkampfes von oben bevor: Eine Privatisierungsattacke auf die 1935 eingerichtete staatliche Rentenversicherung und auf die 1965 gegründete staatliche Krankenkasse für Rentner. Eine Steuerreform, die weit überproportional den Superreichen zugute kommt. Nicht einmal die größten Fans des neuen Präsidenten rechnen damit, dass diese Maßnahmen durch den Kongress segeln werden. Aber scheibchenweise wird das soziale Gerüst abgetragen - und im demokratischen Stall stehen genügend trojanische Pferde. Robert Kuttner, führende Intellektueller der linken Demokraten, hat allerdings Hoffnungen: Ohne den Mahlstein des Clintonismus könnten die Demokraten eine "fortschrittlichere Partei" werden.

Manche Demokraten können ihre Schadenfreude nicht verbergen, werden doch schon die ersten Todesanzeigen für den Boom der "Neuen Wirtschaft" geschrieben, nach deren - vollkommen ahistorischen - Glaubensgrundsätzen die neuen Technologien und das Internet auf immer und ewig für wachsende Produktivität, höhere Profite und endlos ansteigende Aktienpreise sorgen. Im Jahr 2000 sind mehr als 100 der "dot-com-Firmen" bankrott gegangen. High Tech-Aktien torkeln talwärts. Eine Yahoo-Aktie kostet jetzt 25 Dollar; zehn Prozent ihres früheren Höchstwertes. Milliarden sind in Rauch aufgegangen. Schuld oder nicht, Bush wird das ausbaden müssen.

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