Vier Jahre nach Occupy

Kolumne Die Occupy-Bewegung ist längst Vergangenheit. Die Ungleichheit jedoch wächst weiter. Vor allem, weil wir eine faire Gesellschaft immer noch dem Wachstum unterordnen
Ausgabe 39/2015
Zum Jahrestag kamen nur ein paar versprengte Occupy-Fans in den Zuccotti-Park
Zum Jahrestag kamen nur ein paar versprengte Occupy-Fans in den Zuccotti-Park

Bild: Andrew Burton/Getty Images

Im Finanzdistrikt New Yorks herrschte Alarmzustand. Die Sicherheitsvorkehrungen rund um die Börse wurden verstärkt, die Zahl der Polizisten erhöht. Sie umstellten den Zuccotti-Park mit Metallabsperrgittern.

Den öffentlichen Platz mit Steinbänken und Bäumchen in ordentlichen Vierecken hatte die Stadt einst dem Stahlkonzern US Steel abgetrotzt – im Gegenzug durfte das Unternehmen seinen Büroturm daneben höher bauen. Damals hieß der Platz Liberty Plaza, inzwischen gehört er der Immobilienfirma Brookfield und trägt den Namen von deren Aufsichtsratschef John Zuccotti. Hier errichtete Occupy vor vier Jahren das Hauptquartier des Kampfes für eine gerechtere Welt. Zum Jahrestag fürchtete die Polizei eine neue Protestwelle. Grund genug gäbe es: Die Ungleichheit zwischen dem einen Prozent und allen anderen wächst seit der Belagerung der Wall Street am 17. September 2011 weiter.

Gewachsen ist auch die Angst vor einer neuen, erfolgreicheren Occupy-Bewegung. Einer, die sich nicht damit zufrieden gibt, ein paar Wochen in Schlafsäcken zu nächtigen und tagsüber Flugblätter zu verteilen. Die Protestierer behaupten: Im Kapitalismus sei die Ungleichverteilung systembedingt. Jetzt mühen sich Unternehmensbosse, Politiker und Wirtschaftorganisationen, diesen Eindruck zu widerlegen. „In einem Boot: Wie weniger Ungleichheit allen zugutekommt“ lautet nicht etwa der Slogan auf einem Plakat linker Protestierer, sondern der Titel einer OECD-Studie. Ein zu hoher Einkommensanteil der oberen Zehntausend schade der Wirtschaft, warnt neuerdings auch der IWF.

Doch der Versuch, Ungleichheit von einer Folge in eine Hürde für den Kapitalismus umzudeuten, ist nicht mehr als das: ein Versuch. Und kein besonders überzeugender. Eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen in einer Volkswirtschaft hat grundsätzlich keine Bedeutung für stärkeres Wachstum. Das zeigt zumindest eine Erhebung der Weltbank, die schuldenbeladene Staaten vergleicht. Danach ist die Wirtschaft der fünf Länder mit der größten Ungleichverteilung 2011 bis 2013 fünfmal stärker gewachsen als in den anderen Schuldnerstaaten. Eine andere Studie zeigt: In OECD-Ländern, die ihre Staatsausgaben in den letzten Jahren erhöht haben, ist die Wirtschaft durchschnittlich um 1,3 Prozent geschrumpft. Länder, die ihre Ausgaben gekürzt haben, sind im Schnitt um 0,9 Prozent gewachsen. „Der Zusammenhang zwischen Einkommensungleichheit und langsamerem Wachstum ist ein Mythos“, ätzt der Investmentmanager Matthew Schoenfeld in einem Kommentar für das Wall Street Journal. Der Mann hat recht. Nur anders, als er denkt.

Warum ist es nötig, sich hinter vorgeblichen wirtschaftlichen Vorteilen einer faireren Gesellschaft zu verstecken? Warum ist Moral zur Begründung nicht genug? Sind wir nur bereit, Flüchtlingen zu helfen, wenn sie prima in unseren Arbeitsmarkt passen? Vier Jahre nach Occupy zählt immer noch vor allem anderen, was der Wirtschaft guttut. Deren Primat steht nicht in Frage. Da ist es fast egal, dass zum Jahrestag nur ein paar versprengte Occupy-Fans in den Zuccotti-Park kamen.

Jens Korte lebt in New York und berichtet vor allem aus dem Epizentrum der Finanzwelt

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