Es scheint, dass Biografien unbedingt dick und fett sein müssen, die Fallada-Biografie von Peter Walther umfasst über 500 Seiten. Die aber haben es in sich. Falladas Leben war über weite Strecken noch bewegter als seine nicht gerade schicksalskargen Romane, die in den vergangenen Jahren zu Recht eine weltweite Renaissance erfuhren. Peter Walther kann auf einen Fundus zwischen Tagebüchern und Krankenakten zurückgreifen, der es ihm erlaubt, diese Existenz zwischen Todessehnsucht und Lebensgier darzustellen.
Seit den quälenden Schultagen und dem im Totschlag endenden Selbstmordunternehmen 1911 nur mehr ein Schlingern durch Versagensängste und Versagen, Erfolg und Verspielen. Rauschmittel jedweder Art, mal viel, mal ganz viel. Antidot gesucht im rauschhaften S
t gesucht im rauschhaften Schreiben und dann in der Landwirtschaft. Die Frauen mal Heil-, mal Höllenmittel. Die Ruhe auf dem Lande wiederum mit Alkohol und Morphium aufgemischt. Wahnhafte Mordattacke auf seine Frau. Mit ihrer Nachfolgerin zu zweit schnell wieder zehn Ampullen Morphium am Tag. Am 5. Februar 1947 durch alles das an Herzversagen gestorben. Anlass heuer zu einem hinkenden Jubiläumsdatum und Schlusspunkt einer beeindruckend geschriebenen, außerordentlich dichten Biografie.Am 31. Oktober 2017 wird es ein halbes Jahrtausend her sein, dass Martin Luther angeblich seine Thesen anschlug. Das beschert uns nicht nur einen bundesweiten Feiertag und allerlei Lutherstädten und -stätten einen einträglichen Anlasstourismus, nicht nur den merkantilen Süßkitsch von Lutherbier und Legomännchen, den bramarbasierenden Sauerkitsch des sowohlalsauchigen Käßmann-Protestantismus, sondern hat bereits im letzten Jahr einen Berg von Lutherbüchern im Handel aufgetürmt. Wo nun Luther in Bildern, der rülpsende und furzende, der antisemitische, der Frauen- und Sonst-was-Luther langsam Staub ansetzt oder ins moderne Antiquariat migriert. Am flottesten zu lesen war bei weitem Willi Winklers bei Rowohlt, ein intelligent vorgestellter Luther.Am allerbesten aber hat mir das Buch des protestantischen Kirchenhistorikers Thomas Kaufmann gefallen. Denn es stellt Luther in den komplexen Kontext der Reformationsbewegung, ohne ihn deshalb zu schrumpfen. Vor allem aber stellt es diese Reformationsbewegung wiederum als Medien- und Kommunikationsgeschichte dar. Kaufmann zeigt, wie die durchaus fortschrittliche Kapitalisierungspolitik der Kirche – nicht nur – in Luther einen modernisierungsverweigernden Kritiker findet, der sich selbst wiederum virtuos auf den kapitalisierungsintensiven Medienpfad begibt. Damit ist nicht nur gemeint, dass der Druck des Neuen Testaments 1522 tausend Gulden Vorfinanzierung bedurfte, sondern das fein dargestellte Geflecht aus Flugschriften, Pamphleten, Gegenpamphleten, Predigten, Disputen und dergleichen mehr. Die Mobilisierung von Sprache und Bild. Auch von der Gegenseite. Und auch das macht das Buch so lesenswert, dass es die Transformationen des Katholizismus nachzeichnet, wie schließlich die Nachwirkungen (und Zurichtungen) bis in die jüngste Gegenwart.Angesichts der epidemischen Herummeinereihat man unlängst an den Philosophen David Hume erinnert, für den die Person nicht Generator von Meinungen, Überzeugungen und Urteilen war, sondern sozusagen der Sack, der sie mehr oder weniger notdürftig zusammenhält. Ist das schon kränkend genug, so noch mehr, wenn man mikroskopisch bewehrt unters Bett, ins Bad oder in die Küche sieht: Wir teilen unsere vier Wände mit einer unüberschaubaren Vielzahl anderer Lebewesen, allein die Insekten darunter bringen es auf an die 100 Arten. Nicht genug damit: Eigentlich sind wir selbst, wohlwollend betrachtet, ein Ökosystem, in dem uns Viren und Bakterien nicht nur nach der Gesundheit trachten, sondern uns viel mehr noch am Leben halten. Viren sind dabei am virulentesten: Was wir herumschleppen (oder was uns bewegt), wird in Quadrillionen gemessen. Allein ein Gramm Kot soll an die eine Milliarde enthalten. Bakterien sind fast eine bedauernswerte Minderheit. Sie messen nur in Trillionen. Da kann auch nicht aufhelfen, dass wir nur durch Bewegung und Atmung in der Stunde zwischen 30 und 40 Millionen in die Umwelt entlassen.Anders aber als die Crowd, die angeblich weise, tatsächlich eher perniziös ist, sind sie lebenswichtig, jedenfalls die meisten und die Netteren von ihnen. Sie halten unsere Haut in Schuss, helfen – zum Einstieg – bei der Verdauung – und selbst bei der Fortpflanzung sind sie mit dabei. Nun ist es ja schön und gut, wenn wir unseren Verlust an Hausherrlichkeit durch den Ehrentitel Superorganismus kompensiert bekommen. Heimelig ist man nach solchen Belehrungen aber nicht mehr bei sich.Hanno Charisius’ und Richard Friebes unterhaltsamer Spaziergang durch das, womit uns Bakterien wohltun, aber auch, was wir ihnen dummerweise antun, ist justament als Taschenbuch zu haben – und gehörte in jeden auf sich haltenden Haushalt. Zumindest an jenen Ort, an dem man portioniert zu lesen pflegt. Denn das ist schön portioniert geschrieben, dabei aber rundum informativ und schlicht auch hilfreich.Placeholder infobox-1