Das Verhältnis von Fernsehen und Internet wurde in seinen Anfängen vom Gedanken der Konkurrenz geprägt: interaktives World Wide Web contra den Zuschauer passivierendes TV. Das Fernsehen lächelte zunächst müde. Via TED hatte es schon lange eine hauseigene Form der Interaktivität gefunden. Mit der steigenden Aufregung um die Möglichkeit eines aktivierten Zuschauers wurden dann Visionen gesponnen, die aus Konvergenz von Fernsehen und Internet ein hoch personalisiertes Guck-Erlebnis bescheren sollen. Der Zuschauer soll, so der Traum, unmittelbar in den Verlauf einzelner Sendungen eingreifen können und sich aus einem Potpourri von Angeboten das Programm selbst zusammenstellen. Die künftigen Macher haben dabei weniger ein durch und durch verbesse
ssertes Fernsehen im Sinn. Viel mehr wollen sie sich an die individuellen Hacken des Nutzers hängen und ihn mit einer ebenso hoch personalisierten Werbeflut beglücken.Während die Idee des interaktiven Digital-Fernsehens angeblich immer wieder kurz vor dem Durchbruch steht, haben sich die Sender dem Internet eigenständig genähert. Es galt, Positionen im neuen Massenmedium auszubauen, um sich die Aufmerksamkeit insbesondere der nachwachsenden Zuschauergeneration zu sichern. Aus der reinen Internetpräsenz der einzelnen Sender wurde schnell eine neue Promotionsmaschinerie, innerhalb derer RTL Newmedia den Kopf weit vorn hält. Ihnen schwebt eine große Online-Familie vor, die über die RTL-Seite ihre Email-Geschäfte erledigt, an Aktionen teilnimmt, Wetten abschließt oder in den Dating-Chats neue Bekanntschaften macht. Hinweise auf Merchandising-Artikel zu den Sendungen und stündlich wechselnde Programmtipps sind bei jedem Klicken präsent, wie überhaupt gegenseitige Querverweise von Fernsehen und Internet zur Regel geworden sind. So wie vor einer Werbeblockunterbrechung "Bleiben Sie dran" erschallt, ertönt nach der Sendung das "Weitere Informationen hierzu finden Sie auf unserer Webseite".Die verschlungeneren Pfade von Fernsehen und Internet sind für das Heer der Zuschauer nicht ohne Folgen geblieben; es muss in neue Legionen eingeteilt werden. Zum einen die weiterhin relativ isolierten Einzelgucker, deren Bedürfnis zur Interaktion durchs bloße Zappen mit der Fernbedienung ausgeschöpft scheint. Zum anderen die eingestöpselten Gucker, für die das Ausschalten des Fernsehers einhergeht mit dem Einschalten des Computers. In dieser Gruppe findet sich auch die Spezies des wahren Fernseh-Aficionados. Das Schicksal der vereinsamten Couch-Potatoe hinter sich lassend, schwingt er seinen Hintern auf den Cyber-Gaul und reitet durchs Web auf der Suche nach Verbündeten jenseits irdischer Grenzen. Er hat sich das Internet zur befriedigenden Heimstatt der durchs Fernsehen erweckten Sehnsüchte gemacht. Treue und Sehnsucht des vernetzten Zuschauers gilt speziell den Serien. Ein herausragendes Beispiel solch passionierter Fanschaft ist die weltweite Distribution der Serie Futurama übers Netz, noch bevor sie in den meisten Ländern zur Ausstrahlung kam. Als 1998 bekannt wurde, dass Simpsons-Erfinder Matt Groening eine Nachfolgerserie plante, war die Web-Gemeinschaft nicht nur als Erste informiert, sondern organisierte sich bereits in News-Gruppen und Foren. Die besten Download-Möglichkeiten wurden verlinkt und so genannte Spoiler verbreitet (Spoiler sind inhaltliche Informationen über noch nicht gesendete Folgen). Deutsche Fans hatten zum Zeitpunkt der hiesigen Erstausstrahlung sämtliche Folgen der Serie im Original auf selbst gebrannten CDs archiviert, was sie nicht daran hinderte, die Serie auch auf PRO7 zu verfolgen und sich hinterher in den Foren über die schlechte Synchronisation zu beschweren.In den USA ist es üblich geworden, dass sich nach frisch ausgestrahlten Folgen einer Serie die Zuschauer in den Chaträumen der offiziellen Webseiten (oder populärer Fanseiten) einfinden, um miteinander zu diskutieren. Nicht selten stößt einer der Macher dazu, der zu den Handlungsplots Auskunft gibt und das eine oder andere Insider-Wissen verbreitet. Die eingehende Auseinandersetzung des Gesehenem und der darauf folgende Austausch mit Gleichgesinnten oder gar der Produktions-Crew, vermittelt vielen Fans das Gefühl, am Entstehungsprozess beteiligt zu sein. Ihr Fernseh-Erleben wird intensiviert, ihre Ansprüche und Vorstellungen werden gebündelt - und weitergetragen. Die aus Laien-Kritikern bestehende Gruppe Television without Pity (TWP), die bis zu 35 Shows pro Woche scharf beobachtet, wird beispielsweise von Produzenten und Autoren regelmäßig frequentiert, um etwas über die Wünsche des Publikums zu erfahren.Dem amerikanischen Trend folgend bieten inzwischen auch die deutschen Sender Internet-Plattformen für ihre Serienprodukte an. So bekommt die in der Serie Verbotene Liebe eine Rolle spielende Firma Beyenbach Allmedia einen realen Internetauftritt verpasst, als gäbe es sie wirklich. Weitaus interessanter sind aber oft die inoffiziellen Seiten, auf denen sich die unterschiedlichen Gradmesser von Besessenheit wiederspiegeln. Die Serie Buffy hat an die 2.000 Fan-Seiten, die von äußerst trivial bis hin zu wissenschaftlich/sachlich variieren. In den Offline-Zeiten wird Fan-Art und Fan-Fiction produziert, die später gepostet, begutachtet und kommentiert werden kann. Jede noch so geringfügige Frage zur Serie und ihren Stars findet Beachtung. Der Vorteil, sich künstlerisch ergänzend oder kritisch kommentierend an eine Serie ran zu hängen, liegt in der garantierten Aufmerksamkeit durch Ko-Fanatiker. So scheint ausgerechnet das Internet das Fernsehen wieder zu einem Gemeinschaftserlebnis zu machen.Die exzessive Beschäftigung der Aficionados mit den Inhalten ihres Mediums kann zugegeben als Zeitverschwendung abgetan werden. Pädagogische Bewacher fürchten gar, die Jugendlichen könnten in eins der vielen schwarzen Löcher der virtuellen Galaxie abstürzen und ihren Bezug zur Realität verlieren. Vielleicht sollten sie sich stattdessen darüber freuen, dass der passionierte Gucker mit seinem Fernseher nicht alleine gelassen wird.