Vor 85 Jahren fand die letzte Einzelausstellung von Karl Ballmer statt. Der 1891 geborene Schweizer, der nach seinem Studium an der Münchner Kunstakademie von 1922 bis 1938 in Hamburg lebte, war viele Jahre beinahe vergessen. Nun zeigt das Hamburger Ernst-Barlach-Haus in Kooperation mit dem Aargauer Kunsthaus in Ballmers Geburtsstadt Aarau eine Schau mit rund 50 Gemälden und Werken auf Papier.
Karl Ballmer. Kopf und Herz heißt die Ausstellung, die den Versuch unternimmt, sein Werk doch noch in die Gegenwart zu retten. Denn seine Kunst ist heute kaum mehr bekannt: 1938 flüchtete der damals erfolgreiche Maler vor den Nazis nach Basel und später ins Tessin, nach dem Krieg konnte er in der Kunstszene kaum mehr Fuß fassen. Er starb 1958, reichlich einsam, in der N
einsam, in der Nähe von Lugano.In den 1920er und 30er Jahren aber hatte Karl Ballmer Erfolg in Hamburg. 1930 schloss er sich der Hamburgischen Sezession an, jener wichtigen Vereinigung von insgesamt 52 Künstlerinnen und Künstlern, die sich zum Ziel gesetzt hatte, das bis dahin eher schlechte Klima für zeitgenössische Kunst in Hamburg spürbar zu verbessern. Doch schon 1933 löste sich die Hamburgische Sezession selbst auf und haute die Vereinskasse für eine Champagnerparty auf den Kopf – als Akt der Solidarität mit ihren jüdischen Mitgliedern, die nach dem Willen der Nationalsozialisten aus der Sezession ausgeschlossen werden sollten.In den Jahren vor 1933 schuf Ballmer seinen typischen Stil eines vergeistigten Expressionismus. Ganz gleich, ob er Porträts malt, Figurengruppen oder Landschaften: Sie alle wirken geheimnisvoll – scheinen ein Gleichnis zu sein. Eine zarte, aber gedämpfte Farbigkeit verbindet Ballmer in seinem Werk mit schlichten Formen, die Physiognomie der Dargestellten ist stark vereinfacht. Edvard Munch oder auch der Belgier James Ensor sind Vorbilder für einige Sezessionisten, so auch für Karl Ballmer.1938 schon verlässt der Künstler, der mit der Jüdin Katharina van Cleef verheiratet ist, die Hansestadt. Hilfe bei der Flucht in die Schweiz erhält er von seinem Hamburger Freund Hildebrand Gurlitt – von jenem der Avantgarde aufgeschlossenen Kunsthändler also, der als Leiter des Hamburger Kunstvereins von den Nationalsozialisten abgesetzt worden war, aber später in ihrem Auftrag verfemte Kunst verkaufte – und so seine im Verdacht der Raubkunst stehende Sammlung zusammentragen konnte, die 2012 von der Augsburger Staatsanwaltschaft in der Wohnung seines Sohns Cornelius Gurlitt beschlagnahmt wurde.Noch 1936 hatte Hildebrand Gurlitt den mit einem Berufsverbot belegten Ballmer in seinem Kunstkabinett ausgestellt, der wiederum nach 1938 als „entartet“ diffamierte Kunst für Gurlitt ins Kunstmuseum Basel vermittelte. 1950 bestätigte Ballmer, zwei Werke von Chagall und Picasso in Gurlitts Besitz habe er diesem 1943 geschenkt. Ein Freundschaftsdienst, wie heute angenommen wird.Verschollene GenerationDiese sehr besondere, bis heute nur schlecht illuminierte Hamburger Freundschaft zwischen Ballmer und Gurlitt Senior beleuchtet die Ausstellung nicht, die im Titel Karl Ballmer. Kopf und Herz auf den Einfluss der Anthroposophie Rudolf Steiners auf Ballmer anspielt, auch wenn sich dieser in seinen zahlreichen eigenen Schriften nicht von Steiner (den er aus seiner zweijährigen Dornacher Zeit persönlich kannte), doch von einer missverstandenen Anthroposophie abgewendet hat. Steiner hatte Ballmer um die Mitarbeit bei der Ausgestaltung des ersten Goetheanums gebeten, doch Ballmer verließ Dornach vorzeitig wieder.Von großem Einfluss auf Karl Ballmer war auch die Begegnung mit dem irischen Schriftsteller Samuel Beckett, den der Künstler 1936 kennenlernte. Beckett nennt ihn später den „großen unbekannten Maler“. Bei einem Kneipengespräch über Kunst soll Ballmer ihm gegenüber die unbändige Malweise der Expressionisten kritisiert haben. Becketts Einwand, der uns über sein Tagebuch erhalten geblieben ist: „I say, can a Spannung not be its own Erlösung?“ Doch Ballmer bestand darauf, freilich ohne sich als abstrakten Maler zu begreifen: Vor der Kunst habe sich der Affekt zu verkrümeln.Einigermaßen unbekannt wird Karl Ballmer sicher auch nach der Hamburger Ausstellung bleiben. Der Hauptgrund dafür ist die Zerstörung seines Lebenswerks durch die Repressionen des Nationalsozialismus. Im Tessiner Exil fing Ballmer erst spät wieder an zu malen. Er ist ein klassischer Vertreter jener „verschollenen Generation“, also jener Künstler, deren maximale Wirkkraft durch den Nationalsozialismus verhindert wurde. 1937 wurden neun von Max Sauerlandt erworbene Werke Ballmers im Museum für Kunst und Gewerbe beschlagnahmt und später verbrannt.Dass man in Hamburg 85 Jahre wartete, bevor man Ballmer nun mit einer Ausstellung ehrt, ist eine jener hanseatischen Unerklärlichkeiten, die keinesfalls mit einer fehlenden Qualität dieser Bilder zu erklären ist. Allenfalls vielleicht mit der Hermetik, mit der sich sein Werk von vielem abkapselt: Es bleibt sonderbar und kaum zu fassen. Als Einflüsse kann man im weitesten Sinn durchaus den Expressionismus mit Künstlern wie Munch, Picasso, Klee oder Kandinsky zählen, doch kein Vergleich trifft wirklich.Als „metaphysische Konkretion. Natur, nicht Konvention, sondern Ursprung, Quelle der Erscheinung“ hat Samuel Beckett diese Kunst einmal beschrieben – ihr fehlt jede Leichtigkeit. Einen Zugang muss sich der Betrachter beinahe erkämpfen. Es ist ein ganz eigensinniger Kosmos mit immer ähnlichen visuellen Versatzstücken, der in seiner Verkapselung ein wenig an das unerklärliche Werk von Wifredo Lam denken lässt – und stets auf das hinter der bloßen Erscheinung Liegende zielt.Aber was ist das? Beim Gang durch die sparsam gehängte Ausstellung – in der sich auf sehr selbstverständliche Weise das Werk Ballmers mit der ständigen Ausstellung Ernst Barlachs mischt – bleibt man erstaunt zurück. Man steht vor all diesen dunklen Köpfen, vor Zeichnungen, Druckgrafik und Malerei, die eine ungewöhnliche, meditative Stille umgibt, die sich ganz quer stellt zum lautstarken Expressionismus etwa der Maler der Künstlergruppe Brücke.Es sind Geister, Gespenster, Monster, Gleichnisse, die, so hat es Kurator Karsten Müller beschrieben, schon auf die Nachkriegskunst hinweisen. Und tatsächlich scheint sich in diesem Werk bereits anzudeuten, was einige Jahre später zum großen Thema der Kunst werden wird: Die Stunde null, die Apokalypse des Weltkriegs, die Vereinzelung des körperlich wie geistig versehrten Menschen: Nicht weniger nimmt Ballmer in seiner eigenwilligen, sehenswerten Kunst vorweg.Eine neue SpracheNoch heute wirken seine Bildschöpfungen – gerade auch vor dem Kontext der Zusammenschau in den wunderbaren Räumen des 1962 eröffneten Ernst-Barlach-Hauses im Jenischpark am Hamburger Elbufer. Die stille Konzentration des Baus von Werner Kallmorgen bildet einen hervorragenden Rahmen für die Kunst Ballmers und dessen Zeitgenossen Ernst Barlach, deren Werke vor allem eines verbindet: Beide im Nationalsozialismus verfemten Künstler sind auf der Suche nach einer neuen, reduzierten Bildsprache für die menschliche Figur. Einer, Barlach, gilt heute als Großmeister der expressiven Plastik. Der andere, Ballmer, ist so gut wie vergessen. Die Formen der Natur, sie sind in seinem Werk – gerade noch – erkennbar. Doch sie haben sich, wie Ballmers Förderer Max Sauerlandt im Jahr 1933 schrieb, „in einem Bad philosophischer Reflexion … in ihrer ganzen Substanz gewandelt“.Das lässt sich an Arbeiten wie Binnenalster (Jungfernstieg), Nordische Landschaft oder Landschaft (Hamburg) studieren, doch vor allem sind es die oft stelenhaften Figuren und Köpfe, bei denen Ballmer seine ganze künstlerische Kraft zu konzentrieren scheint. Halbfigur (Selbstbildnis) oder Kopf in Rot sind eindringliche, sinnlich durchleuchtete Werke der Moderne, die wie das Werk Barlachs nach Überzeitlichkeit streben und aus einem kargen Formenrepertoire eine besondere Sehnsucht nach Transzendenz zum Ausdruck bringen. Und auch hier gleicht Ballmer Barlach: Beide zeigen in ihrem Werk den Menschen vor allem in seiner Vereinzelung, in seiner Einsamkeit, in seiner bloßen Existenz.Placeholder infobox-1
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