Als der Theaterwissenschaft spätestens um die Jahrtausendwende herum dämmerte, dass das nächste große Ding die Performance werden würde, bemühte man sich schleunigst um die entsprechende Theoriebildung, die sich besonders mit der „Phänomenologie des Körpers“ befasste. In den entsprechenden Seminaren wurde der „göttliche Körper“ oder der „astrale Leib“ des Darstellers erörtert, dessen Erscheinen auf der Bühne für das Publikum ein „Glücksversprechen“ in sich trüge. Die Studentenschaft fingerte dabei nervös an ihren Kugelschreibern und fragte sich insgeheim, ob ein Studium der Landwirtschaft nicht die sinnvollere Wahl gewesen wäre.
Doch als nun Sophie Rois, das n
ois, das neue Ensemblemitglied des Deutschen Theaters, am Wochenende in der Eröffnungsinszenierung von René Pollesch in überlangem weißen Nachtkleid von links auf die Bühne schlappte, „Oh mein Gott, ich bin so müde!“ grollte und sich erst mal auf ein goldenes Bett warf – da brach sich im Publikum ein solch glücksgetränktes Gelächter Bahn, dass man an der Astralitätstheorie keinen Zweifel mehr hegen mochte.Die Kunst und der OrtEs war natürlich nicht irgendeine Eröffnungsinszenierung: Es war das vorerst letzte Kapitel in der Erbschaftsverkündung der Volksbühne und der nicht unwesentlichen Frage, ob deren Kunst und ihre Künstler in anderen Behausungen würden Wurzeln schlagen können. Nach den Premieren an der Schaubühne mit Herbert Fritsch und am Berliner Ensemble mit Frank Castorf waren bereits viele zu der Einsicht gelangt, immer ein bisschen trauriger werdend, dass es eben nicht so richtig funktioniere an diesen neuen Häusern.Da kam es einem Theatercoup gleich, dass Intendant Ulrich Khuon die Kronjuwelen aus den rauchenden Trümmern am Rosa-Luxemburg-Platz an das Deutsche Theater hinüberrettete, ausgerechnet Sophie Rois, die „Zumutung für jeden Intendanten“, wie sie sich nennt. Khuon selbst entging im Vorfeld der Aufgeladenheit dieser Situation, indem er im Interview die Frage nach dem Zusammenhang zum Volksbühnenerbe höflich mit dem Hinweis umging, er habe bereits seinerzeit in Hamburg mit Pollesch gearbeitet und nun freue er sich, dass, und so weiter und so fort.Jeder, der auch nur ein Fünkchen Leidenschaft für die Theatersituation in Berlin in sich trägt, musste bangen, was dieser Abend ergeben würde. Und dann geschah das Wunder.Die Kulisse thematisiert den neuen Rahmen des Ortes im wörtlichen Sinn, Barbara Steiner stellt das Bühnenportal des Deutschen Theaters mit den samtrot ausgeschlagenen Balkonen nochmals als Kopie auf die Bühne. Den Rundhorizont bildet ein tiefschwarzer Vorhang, in Beerdigungskutschenraffung; davor ein weiterer Vorhang, der ein Schlosszimmer zeigt, in dem Riss dieses Vorhangs steht das goldene Bett. Vor dem Hintergrund der Trauer also und in einem neuen Theaterrahmen dreht sich der Diskurs des Abends im weitesten Sinn um die Frage nach der Kunst („Der Schein ist das Wahre!“) und nach ihrem Ort. Ist sie in der Leistung, im Qualitätsdenken und im Team behaust oder im Schlaf, im Traum, auch im Trauma, in der Abwendung von der „grauenvollen Normalität“? Eine Referenz bildet Kleists Prinz von Homburg, die Geschichte vom schlafwandelnden Prinzen, der das mit den militärischen Befehlen alles nicht so richtig auf die Reihe kriegt, die Schlacht zwar gewinnt, aber trotzdem erschossen werden soll, damit er das endlich mal lernt, das mit dem Gehorsam. Dazu kommt dann der in schicke Seidenschlafanzüge gekleidete Chor und spielt das Erschießungskommando, das sich neuerdings „Erschießungsteam“ nennt und weitere „Projekte“ plant.Hinter all dem stehen natürlich immer noch die Vorgänge um die Volksbühne, der Ausverkauf des Kunst-Palastes. „Ja“, raunt Rois, „und das Ganze sieht vielleicht aus wie ein legaler und legitimer Kauf, wie ein üblicher Deal, aber die Form der Inbesitznahme ist die des Beutemachens!“ Und dass das neue Spielzeitmotto „Wer Wen“ heißt, passt dann auch sehr gut zu dem Stück, das sich als Geschichte lesen ließe, wer wen in der Sache Volksbühne eigentlich umgelegt hat oder ob es vielleicht die Kulturpolitik für nötig gehalten hat, eine Gruppe von Künstlern zu disziplinieren, damit sie das mit dem Gehorsam lernt.Am Ende schließlich, der fast schönsten Stelle des Abends, sagt Judith Hofmann mit großer Schlichtheit: „Und dann triffst du plötzlich auf jemanden. So wie jemand zur Tür reinkommt, und du hast das Gefühl: Ah! Das gibt es noch das Leben! Da ist es! Ja, und dann gibt es Orte, wo so die Möglichkeit da war, dass das passiert.“Da schmeißt einem Pollesch den Schmerz noch mal hin, der Chor weint zum Abschluss spritzendes Tränenwasser zu Crying von Roy Orbison – und es ist ja auch wirklich so verdammt selten, dass man im Leben auf solche Menschen und Orte trifft.Trotz dieser fortgesetzten Trauerarbeit strahlt der Abend eine ergreifende Schönheit aus, voller Witz und kurioser Komik, und man hat ganz deutlich das Gefühl, man habe so einen Moment erlebt, in dem etwas in der Tür steht, das das Leben ist.Placeholder infobox-1
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