Völlig außer Form

Fußball-WM Aus Brasilien werden reihenweise Videokolumnen gesendet, deren Inhalt und Aufmachung an die Grenze des guten Geschmacks reicht
Ausgabe 26/2014
Investigativjournalismus auf der Fähre by Harald Stenger: "Do you know Lukas Podolski? And Philipp Lahm? Bastian Schweinsteiger?"
Investigativjournalismus auf der Fähre by Harald Stenger: "Do you know Lukas Podolski? And Philipp Lahm? Bastian Schweinsteiger?"

Foto: Screenshot, spiegel.de

Berichterstattung über die Fußball-WM ist eine Königsdisziplin, da machte sich ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz Gedanken zum Unterschied zwischen Präpositionen: „Die Welt wird nicht nur nach, sondern auch auf Brasilien schauen.“ Schauen wollen auch kleinere, mobile Einheiten: Wie bereits vor zwei Jahren hat der DFB eine Art Kamerateam dabei (tv.dfb.de) und nicht nach, sondern auf Brasilien wurde auch Harald Stenger losgelassen: Der hessische Ex-DFB-Pressechef ist jetzt wieder so etwas wie ein Journalist, er videokolumniert für Spiegel Online. Für zeit.de meldet sich ein Webreporter von der Copacabana. Der Ton ist noch schlechter als die Einführung: „Zugegeben, es ist nicht so superausgefallen, sich aus Brasilien ausgerechnet von hier zu melden“, sagt Christian Spiller. Recht hat er.

Videokolumnen im deutschen Onlinejournalismus: Redakteure lesen vom Blatt, alles Mögliche wird von allen Möglichen erläutert. Gern mit der Kamera vom Stativ, die Bücherwand im Rücken. Meist sind die Beiträge eine Übertragung der Schriftform, ohne Mehrwert und ohne dass dem Bild ein eigenes Recht zukommen würde. Auch kennen die Kollegen ihre Technik nicht so genau, der Trip nach Brasilien ist ein Workshop in Kameraführung und Schnitt. Und ihre Formate wissen nicht recht, was sie erzählen wollen: Spiller redet am Strand gegen Brandung und fest installierte Kamera an, es geht um Dinge außerhalb des Bildrahmens: „Zum Beispiel hätte man das ganze Geld auch anders investieren können“ – linke Hand fährt aus, da liegen wohl Favelas. Kommt jetzt eine Grundsatzerörterung zum Thema Kommerz? Eine These? Recherche vor Ort? Nein.

In der Reihe mit dem irrigen Titel Studio Stenger (aus dem Studio kommt hier nichts) entpuppt sich Harald Stenger als entfernter Verwandter eines Osnabrückers, des größten Nussknackers der Welt nämlich. Hölzern sitzt Stenger, dem sprichwörtlichen deutschen Touristen furchterregend ähnlich, im gebügelten Kurzarmhemd in einer Kneipe und schaut auf das Brasilien-Spiel. Wenn er Jogi Löw trifft, wirkt es eitel und hohl.

Seine Brasilienreise ist eher Rentnertrip: Mit drei Bröckchen Portugiesisch hampelt er über die Fähre, fragt Spielernamen ab, reckt Daumen. Grafiken kommen aus der digitalen Steinzeit. Im Gespräch mit dem Ex-Profi Arne Friedrich sitzt er schön mit dem Rücken zur Straße, der Schnitt springt brav hin und her, auswendig gelernte Fragen immer im Bild, Antworten auch. Und so hören wir Autolärm, wenn wir auf Stenger blicken, das Licht zeigt an, dass sie nachgedreht wurden, eine Tonblende wäre fein. Arne Friedrich sagt, dass man eine Abwehr braucht. Nach dem Sieg der Nationalmannschaft über Portugal schnitt Stenger Worte aus einer Spanplatte aus: „Es. War. Eine. Echte. Teamleistung.“

Beim DFB gibt es eine Mischung aus vorproduzierten Spielerporträts und „Eindrücken“ zu Fahrstuhlmusik. Die Kamera zittert, allerlei Füße laufen durchs Bild, Bälle werden angenommen, soll wohl heißen: Training. Die Videos schließen keine Lücke, sie weisen auf eine hin. Das Bildmaterial ist PR, streng eingegrenzt zwischen Unvermögen und Schweigepflicht. Es soll zeigen: Wir sind dabei. So gesehen produziert der DFB offen das, worum die journalistisch gemeinten Kolumnen sich mühsam drücken: Eigen-PR. Die Onlinekolumnen berichten zwar nichts, sind aber auch da. Sie fuhren nach Brasilien, um ein bisschen zu schauen.

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