Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“, war in den 1980er Jahren eine beliebte Formel bei deutschen Linken. Aber wer ist das eigentlich – das „Volk“? Wer gehört dazu? Und wer nicht? Was ist mit Ausländern? Oder Rechtsextremen? Oder Oligarchen? In seinem gerade erschienenen Buch Die Ambivalenz des Volkes. Der Nationalsozialismus als Gesellschaftsgeschichte (Suhrkamp Verlag, 423 S., 24 €) spricht sich der Berliner Historiker Michael Wildt dafür aus, den Begriff schlicht nicht mehr zu benutzen. Und greift lieber auf den anderen Ausdruck in der oben zitierten Formel zurück: Solidarität.
der Freitag: Herr Prof. Wildt, vom israelischen Philosophen Avishai Margalit stammt der schöne Satz, eine Nation sei im Grunde nichts anderes als „eine Gruppe von Menschen, die ihre Nachbarn hassen und sich hinsichtlich ihrer ethnischen Herkunft gemeinsamen Illusionen hingeben“.
Michael Wildt: Ja, da geht es um Semantik: Wie kann man den Begriff „Volk“ mit Leben füllen? In der Tat ist Ethnisierung, wie sie bei Margalit mitschwingt, eine Definitionsmöglichkeit. Dann begreift es sich selbst als „ethnos“. Die uns geläufigere und legitimere Perspektive ist die verfassungsrechtliche, also die Versammlung der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Das ist das Konzept des „demos“.
Sie würden somit zwischen den Begriffen „Volk“ und „Nation“ nicht differenzieren? In Ihrem Buch bildet der Ausdruck „Rasse“ die Trennlinie ...
Doch, das stimmt schon. Lassen Sie es mich so formulieren: Wenn der Biologismus zum Paradigma des Sozialen wird, kann man streng genommen nicht mehr von „Nation“ sprechen. Zwar kann es auch in ihr ethnische Zuschreibungen und Assimilationsdruck geben. Aber erst durch das, was mit Michel Foucault als „Biopolitik“ beschrieben werden darf, wird das Volk naturalisiert und das Konzept der Nation aufgelöst. Denn dann geht es nicht mehr „nur“ um Genealogie ... sondern um Genetik! Wer im Nationalsozialismus als jüdisch definiert wurde, besaß keine Chance mehr, sich selbst der deutschen Nation zuzurechnen.
Der Exklusionscharakter von „Volk“ geht aber noch weiter. Die Feministin Olympe de Gouges hat schon während der Französischen Revolution die Marginalisierung der Frauen beklagt.
Ja, natürlich! In der französischen Verfassung blieben Frauen und Sklaven außen vor. Das ist es auch, worum es mir in meinem Buch geht: Es ist und bleibt politische Verhandlungssache, wer eine Staatsbürgerschaft erhält – und wer nicht. Deswegen gefällt mir Ihre Margalit-Definition auch so gut: Nations- und Volksbildung hat immer etwas mit Abgrenzung zu tun.
Sie beschreiben auch eine Szene aus Georg Büchners Drama „Dantons Tod“. Da lyncht ein Mob einen angeblichen Aristokraten und rechtfertigt das wie folgt: „Wir sind das Volk, und wir wollen, dass kein Gesetz sei; ergo totschlagen!“
Was Büchners Stück, und speziell diese Szene, zeigt: Die Letztsouveränität durch das Volk beinhaltet eine Macht, bei der eine Gruppe am Ende vielleicht kein Gesetz mehr über sich duldet. Deshalb spreche ich auch von „Ambivalenz“. Wenn es die letzte Instanz in einem politischen System darstellt, kann dabei eine Ordnung herauskommen, die aus heutiger Perspektive undemokratisch ist. Und zwar, weil sie die Würde und das Existenzrecht anderer Menschen leugnet.
Na ja, ein Staatsrechtler wie Martin Kriele, der auch in Ihrem Buch vorkommt, würde jetzt antworten: Die stets mögliche Revolution ist halt die „Sprengkraft“, die in der Idee der Volkssouveränität enthalten ist.
Jetzt sind wir am Kern der Sache! Es gibt das liberale Erfolgsnarrativ von „Volk“, das ich kritisiere. Als sei das Volk heute domestiziert, weil in unserem Grundgesetz die Menschenrechte verankert sind. Jede Ordnung kann revolutionär abgelöst werden! Und in der Moderne wurde der Sturz des alten Systems immer mit der Souveränität des Volkes begründet. Dass das auch in ein NS-Regime münden kann, ist die dunkle Seite der Volksherrschaft.
Sagt Ihnen der Name Nathaniel Branden etwas? Das war ein amerikanischer Psychotherapeut, der vor fünf Jahren gestorben ist. Nicht zuletzt angesichts der „Du bist nichts, dein Volk ist alles!“-Ideologie der Nazis befand er, dass Selbstaufopferung krank machen würde. Aber folgt man seiner Denkweise, landet man bei einer Gesellschaft, die sich ins Private zurückzieht, ins Singuläre, ins Egoistische. Er selbst warb für einen radikalen Kapitalismus. Das ist doch auch problematisch, oder?
Klar! Auf der anderen Seite klingt das schon stark nach Pathologisierung politischer Akteure. Dann landet man bei den Exkulpationsdiskursen der Nachkriegszeit: Wir haben uns „verführen“ lassen, wir waren „berauscht“, jetzt sind wir wieder „nüchtern“. Damit kann man die eigene Verantwortung für das Getane wunderbar beiseiteschieben.
Zur Person
Prof. Michael Wildt, 65, lehrt Geschichte an der Humdoldt-Universität zu Berlin. Sein 2003 erschienenes Buch Generation des Unbedingten gilt als Standardwerk für die Zeit des Nationalsozialismus. Dort widerlegt er die Theorie, dass NS-Täter Außenseiter gewesen seien.
Welche Mechanismen können Katastrophen wie im 20. Jahrhundert verhindern? Die repräsentative Demokratie?
Alle vier Jahre sein Kreuz bei einer Partei zu machen, reicht nicht. Es braucht auch Partizipationsmöglichkeiten von unten. Menschen müssen konkret in den Angelegenheiten mitbestimmen können, die sie betreffen. Und zwar alle. Nicht nur Ortsansässige, auch Geflüchtete sollten über Flüchtlingsheime entscheiden dürfen.
Das sehen Ultrarechte anders. Der AfD-Mann Andreas Kalbitz zum Beispiel redet gerne mal von „Ethnodeutschen“. Sie sagen ja selbst, dass dem Begriff „Volk“ das Völkische nicht mehr ausgetrieben werden kann.
Ja. Wenn ich wie die AfD das Volk so definiere, dass es weiß und christlich ist und schon die Großeltern hier geboren sein müssen, dann ist das nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar. Für die deutsche Staatsbürgerschaft ist die Herkunft völlig egal! Oder welcher Religion man angehört! Muslime nicht zum „deutschen Volk“ zu zählen, ist verfassungswidrig.
Wenn es nach Ihnen geht, könnte der Begriff „Volk“ aus unserem Vokabular gestrichen werden?
Das ist ein Vorstoß von mir, ja. Im Grunde brauchen wir das „Volk“ nicht mehr. Der Ausdruck passt nicht in unsere weltumspannende Wirklichkeit. In Diskussionen merke ich aber, auf wie viel Widerstand und Kritik das stößt. Das Prinzip der Volkssouveränität ist halt die Grundlage moderner Verfassung. Aber entzaubern sollte man den Begriff des Volkes schon.
In der Wendezeit hatte ein Demonstrant „Ich bin Volker“ auf seinem Transparent stehen.
Ja, das ist doch schön ironisch!
Aber mal ernsthaft. Wen meinten die Montagsdemonstranten mit „Wir sind das Volk“?
Einige Freunde von mir haben damals in Leipzig mitdemonstriert. Und mein Eindruck ist: Dieser Satz war vor allem gegen die SED gerichtet. Man wollte der DDR-Führung das Recht absprechen, das Volk zu repräsentieren.
Die Neue Rechte hat den Slogan einfach übernommen. Was geht Ihnen da durch den Kopf?
Anmaßung und Täuschung! Drei Viertel der Thüringer haben bei der Landtagswahl nicht AfD gewählt. Das Volk ist vielfältiger und bunter, als die Rechte uns weismachen will. Es ist keine ethnisch homogene Gruppe. Das Gemeinwohl der vielen Individuen mit unterschiedlicher Herkunft und Erfahrung kann nicht „völkisch“ oder national-sozial bestimmt werden.
An der belgischen Politologin Chantal Mouffe üben Sie harsche Kritik. In ihrem Appell „Für einen linken Populismus“ schreibt sie, sie wolle das „Volk“ gegen die neoliberale Hegemonie mobilisieren. Wo ist das Problem?
Mouffe wendet den Begriff des „Volkes“ gegen das rechte, völkische Verständnis, löst aber damit nicht die dem Volk inhärente Problematik der Zugehörigkeit. Menschen gegen die neoliberale Hegemonie zu mobilisieren, ist ja nur zu berechtigt. Aber mit der Frontstellung: hier „das Volk“, dort „die Elite“, essenzialisiert Mouffe erneut das Kollektiv und verhindert alternative Partizipationsentwürfe. Lieber sollten wir dem Begriff das Pathos nehmen! Da passt durchaus ein Zitat von unserer Bundeskanzlerin: „Das Volk sind alle, die hier leben!“
Ihr Vorschlag ist deshalb: Lasst uns lieber von „Solidarität“ sprechen!
Ja, das ist für mich ein viel treffender Begriff. „Solidarität“ richtet sich gegen Ungleichheit, Unfreiheit und Ausbeutung. Er bedeutet Unterstützung und Respekt auf der Basis der Menschenrechte. Er ist weit mehr Praxis als Theorie. Ich jedenfalls möchte lieber in einer solidarischen Gesellschaft freier und gleicher Menschen leben als in einem „Volk“.
Kommentare 25
Jemanden, der in Kategorien denkt, in denen Wörter abgeschafft oder ersetzt werden sollen, sollte man prinzipiell kritisch sehen.
- der "volks"-begriff
steht - pathetisch - für das erwachen der vorher passiv-leidenden
gegen anmaßende repräsentanten.
ebenso: für die verdrängung von stimmen,
die eine homogenität der "volks-einheit" infrage stellen.
- ohne die anerkennung der menschenrechte,
die alle sterblichen glück-sucher ins recht setzt,
gibts nur eine biologistische verkürzung zum "bienen-volk".
Abgesehen davon, dass es schon immer schlecht geklappt hat, von philosophisch-abstrakten Erwägungen ausgehend das »Wording« der breiten Bevölkerung zu verändern (siehe auch Gender etc.), halte ich auch den dahinter steckenden Erziehungsanspruch für politisch äußerst fragwürdig.
Hinzu kommt, dass Michael Wildt (der sich als Historiker schwerpunktmäßig mit dem NS beschäftigt), die Genese des Begriffs ausschließlich vom NS her aufzäumt und die gleichfalls recht reichhaltige linke Begriffstradition (Französische Revolution, Volksfront bzw. Unitad Popular etc.) en passant in den rechten Kontext mit einordnet. Sicher ist der Begriff aktuell von den Rechten »geklaut« und in linken Kontexten entsprechend nur noch schwer verwendbar. Im Original sind damit allerdings gemeint: die unteren Klassen. Das über Bord zu schmeißen zugunsten einer im Kielwasser des Neoliberalismus segelnden Identitätspolitik mit entsprechend schwammigen, blutleeren Alternativbegrifflichkeiten kann letztlich nur dazu führen, dass die Linke aufgrund sogenannter political-correctness-Kriterien oben und unten nicht mehr klar benennen kann respektive von vornherein darauf verzichtet.
Entsprechend plädiere ich unbedingt dafür, die Diskussion um den Begriff ausgehend von Chantal Mouffe weiter zu entwickeln – auch deswegen, weil die von Büchner beschriebenen Sanscoulotten den Aristokraten nicht wegen eines abzulehnenden Konzepts gelyncht haben, sondern wohl eher als greifbare Figur einer Jahrzehnte, Jahrhunderte währenden Unterdrückung und Erniedrigung.
Es geht eher, das ist die Intention, um die Entzauberung des Wortes.Dafür kann man sein!Bürger, "die people" (im englischen) könnten passendere Begriffe sein. Ich stimme zu.
Sprache ist lebendig! Es geht nicht um Verbote - aber wenn Vokabeln einfach nicht mehr benutzt werden, weil man andere für passender hält - sterben sie aus.
das problem: die lange passivierten minder-mächtigen
werden nicht zu kompetenten meistern ihres lebens,
indem sie das leben anderer nehmen.
Doch. In gewisser Weise werden sie das schon. Oder haben Sie andersgerichtete Evaluationen – etwa der Art, dass das Leben von Sanscoulotten, die an irregulären Übergriffen beteiligt waren, besonders unglücklich oder sonstwie nachteilig verlaufen wäre?
Auch hier finde ich das Interview nicht schlecht, auch nicht den Inhalt der Antworten, zur Konklusion, dass die Abschaffung von Problembegriffen auch das Problem löst, komme ich freilich auch nicht. Das ist/wäre auch nicht Philosophie, sondern Philosophieimitation oder ihr Missverständnis. Die Klärung von Begriffen ist das Geschäft der Philosophie, nicht ihr Verbot oder ihre Umbenennung. Das ist Politik, Ideologie oder eine Kombination.
Wie auch immer, der wichtigere Aspekt ist ohnehin, dass nicht die Identifikation mit dem Ich-Sein, Mann/Frau-Sein, Deutsch/Migrant-Sein, Billardspieler-Sein problematisch ist, sondern es lediglich ein Problem darstellt, wenn aus der Identifikation mit irgendwas eine Entwertung jener folgen würde, die meine Identifikationen nicht teilen.
Entgegen dem, was gerne geglaubt wird, ist eine stabile Ich-Identifikation aber der beste Schutz gegen eine Entwertung anderer. Phillosophisch ist es auch nciht zwingend, sondern wäre ein Fehlschluss: Non Sequitur.
Je mehr Quellen die Ich-Identifikation umfasst, umso besser. Wenn ich mich nur noch über ein Merkmal identifiziere, z.B. Deutscher oder Frau oder links zu sein, wird es prekär.
"Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?" (Schlusszeile "Die Lösung“; Brecht)
die haben ihr glück gefunden in einem neuen apparat,
der "boney" bonaparte oder pol pot zur hand ging
und dem eliminatorischen vollstrecken das odium des "irregulären" nahmen.
||| Wenn es die letzte Instanz in einem politischen System darstellt, kann dabei eine Ordnung herauskommen, die aus heutiger Perspektive undemokratisch ist. Und zwar, weil sie die Würde und das Existenzrecht anderer Menschen leugnet. |||
Es stellt ein generelles Problem demokratischer Systeme dar, dass sie zwar zu einer - nicht zu großartig zu denkenden, aber immerhin - Streuung der Macht führen, aber keinen freundlich-wohlwollenden Umgang garantieren, weder der Dazugehörenden untereinander, noch der Darzugehörenden mit denen, die nicht dazugehören. Selbst verfassungsmäßig verankerter Humanismus garantiert das nicht, weil sich das Verfasste allzuoft im Formalen ergeht und erschöpft. Und auch, wenn es Linke nicht gerne hören: Wenn sich eine Nation eine totalitäre Regierung zusammenwählt, ist diese Regierung demokratisch legitimiert. Selbst wenn sie hinterher - im schlimmsten Falle einer Zweidrittel-Mehrheit - die Demokratie abschafft. Dies war schon immer ein blinder Fleck im Demokratiekonzept und in der Demokratie-Diskussion, und die Chance, diesen blinden Fleck aufzugreifen und eine Lösung zu suchen, wurde nach dem Zwiten Weltkrieg nicht aufgegriffen. Er exisitert auch heute noch.
M.E. stellt der Begriff des "Volkes" die Erweiterung des "Stammes"-Konzeptes auf größere Personenzahlen und zwischengeschaltete Organisationsformen dar. Die Bindekräfte, die hierfür beansprucht werden, sind alle willkürlich, zumindest hinsichtlich der Frage von Inklusion und Exklusion, genau wie die Kräfte, mit denen Hierarchisierung begründet wird. Alles nur Konventionen, was völlig okay wäre, wenn der Einfluss auf diese Konventionen, auf ihre Interpretation und ihre Durchsetzung nicht machtrelativ wäre, und wenn der Umgang mit diesen Konventionen weniger dem Formalen als mehr dem Fingerspitzengefühl verpflichtet wäre. Mehr leben und leben lassen statt "es steht geschrieben".
Machtbalance ist somit das wesentliche Problem. Ernsthafte Machtbalance, nicht diese Schimäre der Gewaltenteilung, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Klüngel der Golf- oder Poloplätze, in den Lobbies und Hauptstadtsalons ausgehebelt werden kann. Dafür gibt es leider noch nicht mal den Ansatz einer praktikablen Lösung.
Wirr ist das Volk und die ganze Aufregung darüber. Naja, des Volkes Vertreter überbieten das meist nocheinmal. Und dabei kommt dann die demokratische Wahlalternative "Pest" oder "Cholera" heraus, ein Graus!
»die haben ihr glück gefunden in einem neuen apparat (…)«
Wenn der alte nicht so unmenschlich gewesen wäre, hätte man sich die Prozedur sicher sparen können.
Die DDR hat mit dem Begriff "Volk" sehr intensiv hantiert. Es gab eine Volkskammer, es gab örtliche Volksvertretungen und es gab die Einheit von Partei und Volk.
Nur vor diesem Hintergrund war die Losung"Wir sind das Volk" so praktisch und so aktuell. Es ging darum, der DDR-Obrigkeit klarzumachen, dass ihre Sprüche restlos sinnentleert sind. Als dann "Wir sind ein Volk" aufkam, wurde ich gleich misstrauisch.
ja, magda - dieser bezug fehlte mir ebenfalls in den ausführungen des interviewten…'das Volk' stand in der geschichte linker ideologie und weltanschauung ja eben nicht nur im namen der von dir erwähnten institutionen, die ja heute auch eher unangenehme erinnerungen erzeugen, sondern auch bereits in einer sehr lebendig praktizierten 'Völkerfreundschaft' und in einer damals schon sehr zentralen 'internationalen Solidarität', die sowohl zwischen- als zu völkern, sehr bürgernah vermittelt wurde. insofern sehe ich persönlich auch heute sehr konkrete alternativen, diesen begriff wieder positiv aufzuladen, ohne ihn den rechten spektrum zu überlassen oder ihn sogar gleich im LTI-stil, insgesamt aus der sprache verbannen zu müssen! (irre, dass ausgerechnet ein NS-experte über solche instrumenarien öffentlich nachdenkt!) der erfolg der totalitären ideen heutzutage und die soziale spaltung, bezieht ihre energie zum großen teil aus einem gefühlten oder tatsächlichen verlust von identität. da auch der in den neunzigern von links propagierten segen der globisisrung, sich überwiegend für wirtschaftsunternehmen und konzerne relevant zu sein scheint und die seinerzeit naiven kompensationen der bereits erwarteten kollateraleffekte eines 'globalen dorfes', sich offenbar doch nicht nur mit den damals omnipräsenten phrasen ("glokal = global denken - lokal handeln!") ausbalancieren ließen, spricht heute soziologisch und politisch also immer noch vieles für eine notwendigkeit identitätsstiftender begrifflichkeiten (wie 'nation' und 'volk')! die debatte sollte auf jeden fall weitergeführt werden und das nicht ständig mit 'erzieherischen' intentionen verbunden, die stets eine gewisse entmündigung bezüglich der zu erziehenden implizieren und sie sollte ebenfalls nicht etwa nur als aktionistische reaktion auf irgendeinen rechtslastigen furz stattfinden… just saying!
doof, dass sich leserkommentare nicht im nachhinein grammatikalisch oder orthographisch korrigieren lassen… hahahaha! aber nun, wenigstens fühle ich mich gleich etwas jünger, so als internetverkorkster spätpubertärer… inhaltlich habe ich aber meinen worten nichts hinzuzufügen. gute nacht! ;)
Die Historikerin Déborah Cohen, die sich lange mit der Verachtung des "peuple" (also des "Volkes nicht in ethnischer oder politischer Bedeutung, sondern als "Plebs") durch die Aristokraten und Bourgeois des 18.Jahrhunderts beschäftigt hat, plädiert in ihrem neuesten Werk ("Le peuple") für die Beibehaltung des Terminus, auch - oder gerade - wenn ihn Le Pen weiterhin erfolgreich benutzt. Sie zitiert Napoléon III: "Man kann nur das wirklich abschaffen, was man ersetzen kann". Dem vorgeschlagenen Begriff "Solidarität" fehlt die soziale Kraft und klingt sehr nach Sonntagspredigt, vor allem zu Weihnachten. "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" hat zum Beispiel eine ganz andere Wucht als "Freiheit, Gleichheit, Solidarität".
Cohen gibt eine ganz andere sehr sympathische Definition von "Volk" im 21. Jahrhundert:
"Überall dort, wo die Herrschenden die Reproduktion des Existierenden absichern und wo irgendjemand daran arbeitet, die scheinbare Fatalität der fehlenden Alternative zu demontieren, dort bildet sich Volk. Zu denken, dass das Volk das Ensemble derer ist, die die Zukunft konstruieren, bedeutet auch, an die französische Revolution anzuknüpfen, und zwar mit ihrem demokratischen Moment, der Konstitution von 1793. Wir müssen heute handeln, das heißt zumeist, die kapitalistische Logik zu demontieren. Wir müssen da handeln, wo wir sind, in der Fabrik, in der Schule, im Hospital, auf dem Meer und in den Bergen, da wo die Grenzen sich schließen.
Volk ist also keine reine Vergangenheit. Volk ist schon da, um die Möglichkeiten und die Geschichte wieder zu öffnen. Francois Furet hat Ende der 90er Jahre gesagt, wir seien dazu verdammt, in der Welt zu leben, in der wir leben. Volk kann diese Prophezeiung nicht ertragen und folgerichtig nicht an sie glauben. Volk ist alles, was handelt, um diese Prophezeiung zu widerlegen. Walter Benjamin erhoffte, dass die Zukunft von dem befreit sei, was sie heute hässlich macht."
Wenn nur das "Anknüpfen" in diesem unserem bleiernen Lande nicht so schwierig wäre. Es gibt weder Gelbwesten noch Generalstreiks, und unser politisches Personal schafft noch nicht einmal handfeste Skandale. "Wir" wollen die Welt so, wie sie ist. Und das mit dem Klima kriegen "wir" auch schon hin. Mit Elektroautos von "Volkswagen"( oder "Soli(daritäts)car"?).
+ + der erfolg der totalitären ideen heutzutage und die soziale spaltung, bezieht ihre energie zum großen teil aus einem gefühlten oder tatsächlichen verlust von identität. da auch der in den neunzigern von links propagierten segen der globisisrung, sich überwiegend für wirtschaftsunternehmen und konzerne relevant zu sein scheint und die seinerzeit naiven kompensationen der bereits erwarteten kollateraleffekte eines 'globalen dorfes', sich offenbar doch nicht nur mit den damals omnipräsenten phrasen ("glokal = global denken - lokal handeln!")
Ja, das leuchtet ein. Aber ich fand das "Globalisierte" immer auch recht befreiend, obwohl klar ist, dass das dem "Volke" immer nur bedingt nützt. Das hat vielleicht auch mit der DDR zu tun. Dort zu leben bedeutete ja auch, in etwas Unsicherem und möglicherweise Temporärem zu leben. trotz all des Volksgeredes. Mir hat das aus verschiedenen Gründen gut getan. Auch, dass mit "völkischen" Herkünften gar nicht so viel hergemacht wurde, weil da auch viel Nachkriegsverwerfungen dran hingen.
P.S. wegen der schnellen Schreiberei würde ich mir nicht so viel Gedanken machen. Es reimt sich ja zusammen. :-))
Es gibt weder Gelbwesten noch Generalstreiks, und unser politisches Personal schafft noch nicht einmal handfeste Skandale.
Ja aber das hat doch auch gute Seiten. Gestern sind hier die Traktoren langgefahren - wieder raus aus der Stadt. Sind deren ZIele nicht auch denen der "Gelbwesten" in manchem ähnlich? In Deutschland ist eben alles noch in Maßen. Die meisten Leute wollen es so. Die wollen ihr Leben leben. Die Gelbwesten wollen das doch auch, werden aber möglichkerweise noch mehr existenziell bedroht.
Die Gelbwesten (die franz., nicht die rechten Replikate hierzulande) sind erheblich weiter. Ich kann mir bei deutschen Bauern nicht die Forderung nach Generalversammlung und Basisdemokratie vorstellen. Sie sind genauso durch Verträge mit Lebensmittelkonzernen und Agrar- und Chemieindustrie geknebelt wie ihre frz. Kollegen. Die leben oft am am Existenzminimum (es gibt viele Suizide von Bauern), folgen aber trotzdem (oder deswegen?) in der Mehrheit ihren konzernhörigen Großverbänden (wie bei uns).
Heute war ein großer Bauern"korso" auf den Champs-Elysées. Sie durften sogar ihre Heuballen abladen, ohne dass sie mit Gasgranaten oder Hartgummigeschossen, wie die GW, traktiert wurden. Schließlich will die Macronie die Massenstreiks- und demos am 5. Dezember nicht noch vergrößern.
Es stimmt. Im Vergleich ist in Deutschland alles in Maßen. Aber dieses "Maßhalten" (Erhard), dieses - Sich Bescheiden-Müssen und -Wollen hat keine gute Tradition. So verstehe ich auch Michael Wildt, der wohl auch seinen Vorschlag der Abschaffung des Terms nicht ganz ernst meint. Das "Volk", das sich permanent zu mäßigen hat(te), rächt sich durch Feindprojektion - natürlich nicht an den realen Verursachern ihres bescheidenen Lebens, sondern an denen, die wirklich oder imaginiert, aus der sich bescheidenen "Volksgemeinschaft" herausragen, die nicht "mitmachen". Da ist wenig Emanzipationsbegehren. Und das macht die Sache hierzulande so schwierig.
Ich denke nicht, dass die Vokabel "Volk" aussterben wird. Sie könnte eher auf der einen Seite missliebig und damit noch stärker zum Kampfbegriff der anderen Seite werden.
Und - Bingo - die andere Seite könnte sich dann auf das Grundgesetz berufen (Art. 20. Abs. 2).
Herr Wildt hart vollkommen recht! Natürlich sind die Begriffe Volk, Vaterland, Patriot und Nation reine Konstrukte, politische Narrative, die fatalerweise suggerieren, die Bewohner einer politischen Gemarkung wären durch bestimmte Eigenschaften miteinander verbunden.
Notwendig war das Narrativ der Nation zur Ablösung des Feudalwesens und der Einführung der Demokratie. Jedoch hat die Idee der Demokratie nie an den Grenzen politischer Gemarkungen halt gemacht.
Schon damals nannte man sich "Citoyen", also "Bürger", jedoch nicht zu verwechseln mit "Bourgeois" - "Großbürger". Der Staatsbürger eines Staates zu sein, dessen Gesamtbevölkerung "Staatsvolk" genannt werden kann, ist vielleicht akzeptabel - im Gegensatz zu den politischeren Begriffen Nation oder Vaterland.
Letztlich haben wir dem politischen Narrativ der Nation in zwei Endzeitkriegen Millionen von Menschenleben geopfert und die wohl schrecklichsten Menschheitsverbrechen begangen.
Wer sich heute - insbesondere in Deutschland - noch Patriot nennt, oder von Volk, Vaterland und Nation fabuliert, muss ich ernsthaft fragen lassen, ob er - über die reine Biologie hinaus - noch ein Mensch ist.
Ich wünsche mir eine europäische Staatsbürgerschaft, die ich gegen meine deutsche eintauschen kann. Ich will Citoyen Europas und perspektivisch Citoyen der Erde, oder gleich der ganzen Welt sein!
"Sicher ist der Begriff aktuell von den Rechten »geklaut« und in linken Kontexten entsprechend nur noch schwer verwendbar. Im Original sind damit allerdings gemeint: die unteren Klassen." Im "Original" ist mit Volk eine Gruppe von Menschen gemeint, die sich durch eine eigene Kultur und gemeinsame genetische Merkmale von anderen Völkern abgrenzt. War 5000 v. Chr. vielleicht noch stimmig, ist spätestens seit 1945 überholt.
Zur Abgrenzung wurde der Begriff auch in der DDR verwendet, als man sich von der regierenden SED lossagte. Auch Sie verwenden den Begriff "Volk" als Abgrenzung zu "denen da oben". Manchmal kann das Schwert als letztes Mittel größeren Schaden abwenden, aber grundsätzlich ist eine Abgrenzung kein positiver Vorgang, zumal er mit Anmaßung und der Lüge, man selbst sei besser als die anderen, einhergeht.
Ihre Definition des Volkes mag noch stimmig sein, bezogen auf eine Masse von Menschen, die gegen eine Tyrannei, eine Diktatur oder das Feudalwesen angeht. Ist die Demokratie jedoch einmal erreicht, gibt es kein Oben und Unten mehr. Es gibt wohl Regierende, aber die stammen von unten, aus dem Volk. Es gibt auch Reiche, aber auch die stammen von unten, aus dem Volk. Aber selbst wenn jemand den Reichtum bereits geerbt hat, so hat er weder mehr Rechte, noch ist er ein besserer oder schlechterer Mensch als andere.
Das Volk, "die da unten", ist genauso gut oder schlecht, wie "die da oben" (meist eher schlechter). Gerade in dieser Hinsicht ist die Verwendung des Begriffes "Volk", als Summe der Staatsbürger, die weder in politischer Verantwortung steht, noch zum reichsten Bevölkerungsteil gehört, besonders problematisch. Es ist die Aufwertung derjenigen, die keine Verantwortung übernehmen, sondern sich als Untertanen fühlen, über deren Köpfe hinweg regiert wird.
"Die da unten", das "niedere" Volk, sind Leute, die nicht in der Demokratie angekommen sind. Untertanen die ihre demokratisch gewählten Volksvertreter verhöhnen und gleichzeitig in maßloser Gier von ihnen verhätschelt werden wollen. Es sind die Dummen, die glauben klug zu sein, die Egoisten, die glauben es sei gerecht, dass sie immer mehr verlangen dürfen, es sind Leute, die sich als Opfer inszenieren, die andere in moralischen Pflichten sehen, sich selbst jedoch nicht, es sind Kindsköpfe, infantile, bigotte Spinner.
Es sind letztlich Leute, die die Demokratie gefährden - daher wählen sie Brexit, Trump, die AfD, oder die (sog.) Linke, rennen mit gelben Westen in Frankreich umher und wollen "Revolution" - also die Abschaffung der bestehenden Demokratie. Genau diesen Begriff von "Volk" - den hier im Forum erschreckend viele selbstverständlich verwenden - als etwas vermeintlich "Besseres", das sich von den vermeintlich Schlechten "da oben" abgrenzt, sollten wir schnellstens ablegen, denn er ist eine ganz perfide Lüge!
ja, die meisten deutschen bauern-demonstranten
sind programmierte des europäischen agro-systems wie die französischen.
ihre proteste laufen gefahr, reformer als
agenten einer von außen kommenden,
feindseligen um-progammierung zu stempeln.
s.o.
Mit »Bürger« tu ich mich noch schwerer, als mit »Volk«. Volk wurde immer als Kurzform von »Bevölkerung« i. S. v. »alle Personen in einem Staatsgebiet« (tatsächlich engl. /people/) verkauft. Bürger ist nur eine Teilmenge des Volkes.