Völkischer Erlöserton

Kommentar Buch und Parteiaustritt des Jürgen W. Möllemann

Eines steht fest: Dieser Mann ist ein Phänomen. Was Kohl nicht gelang und auch nicht Lafontaine, gelingt Jürgen W. Möllemann auf Anhieb, nämlich gleich am ersten Tag die gesamte Auflage seines Buches an die Händler abzusetzen. Klartext, eine einzige Abrechnung mit der FDP, voller Hasstiraden und Denunziationen. Junker Lambsdorff behandele alle wie »baltische Stiefelknechte«, Zauderer Genscher habe vor allem um den Nobelpreis gebettelt und überhaupt seien alle anderen ohnehin nur Weicheier, an der Spitze Guido Westerwelle. Kurzum: Mit diesem Buch voller Rufmorde erledigt Möllemann vor allem einen, nämlich sich selber innerhalb seiner »liberalen Familie«. Adé FDP!

Aber Möllemann wäre nicht Möllemann, wenn er es darauf nicht gerade angelegt hätte. Der dem Parteiausschluss zuvorkommende Austritt folgte unmittelbar auf das Buch. Interessant ist deshalb nicht primär dessen Inhalt, sondern dessen Cover. Klartext. Für Deutschland. Möllemann. Eine Schutzhülle wie eine Parteigründung. Und so ist es auch gemeint. Möllemann macht da weiter, wo er innerhalb der FDP aufgehört hatte: beim Prinzip Protestpartei. Schon in seiner programmatischen Kolumne im Neuen Deutschland vom Mai vergangenen Jahres postulierte Möllemann den Anbruch einer »Neuen Zeit« und die Notwendigkeit einer neuen Partei gegen das Establishment, die »politisch korrekte Klasse«. Das Buch erweist sich jetzt als getreue Fortschreibung der Strategie.

Im Zentrum steht die Konstruktion einer großen Verschwörung gegen den aufrechten Tabubrecher Jürgen W. Am Ende hat das Opfer Möllemann die ganze Welt gegen sich. So insinuiert er, Westerwelle wäre aufgrund sexueller Ausschweifungen vom Mossad erpresst worden, um einen zukünftigen Außenminister Möllemann zu verhindern. Mölli im Netz der Spinne Weltjudentum. Wenn es nicht so infam wäre, könnte man über diese »Räuberpistole« (Westerwelle) lachen. Aber anders als noch in der Auseinandersetzung mit Michel Friedman geht Möllemann diesmal noch über die antisemitischen Provokationen hinaus. Wenn es im Buch heißt: »Es ist höchste Zeit, den Bürgern zu sagen: Ihr seid das Volk! Steht auf!« muss jeder, der nur über ein minimales historisches Gedächtnis verfügt, unweigerlich den Nationalsozialismus assoziieren: Nun Volk steht auf, und Sturm brich los. Das ist bei einem Medienprofi vom Schlage Möllemanns natürlich beabsichtigt, denn wie heißt es wenige Zeilen später im völkischen Erlösertone: »Und dann will ich einer von euch sein.« Schon einmal hatte ein »einfacher Mann aus dem Volk« (M. über M.) zu seinem Volke gefunden, schon damals hieß es: »Deutschland braucht eine neue Politik ... Also eine ganz neue Art von Partei« (Klartext). Mit »Riesenstaatsmann Mümmelmann« (Strauß) dürfte also weiter zu rechnen sein. Wie verkündete er zum Parteiaustritt: »Eines werde ich nicht: Aufgeben.« Spätestens bei den Landtagswahlen 2004 wird sich dieses Versprechen wohl bewahrheiten.

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