Voll auf die Zwölf

Rhythmus Eine stehen gebliebene Uhr auf einem historischen Platz Berlins ist für unseren Autor längst zum Symbol der Stadt geworden
Ausgabe 22/2014

Auf dem Bebelplatz in Berlin steht eine Uhr. Eine Geschichte, die so beginnt, muss weitererzählt werden. Denkt man. Stimmt in diesem Fall aber nicht. Es ist nämlich schon alles gesagt. Die Uhr, sie steht wirklich. Ihre Zeiger zeigen auf zwölf Uhr. Und schon seit Jahren. Zeigten sie auf fünf vor zwölf, könnte man sagen, das hat seinen Sinn. Auf dem schönen Platz zwischen Unter den Linden und Gendarmenmarkt, zwischen Oper und Juristischer Fakultät, unweit des Hedwigsdoms und fast neben dem in den Boden eingelassenen Mahnmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung 1933 könnte man die Uhr für ein weiteres Denkmal halten: Denk daran, es ist fünf vor zwölf, die Zeit drängt.

Aber davon kann keine Rede sein. Die Uhr steht, weil sie nicht geht. Sie ist angebracht auf einem etwa drei Meter hohen Steinsockel. Die Zifferblätter weisen einmal in Richtung des Alten Fritz, zum anderen in Richtung Rotes Rathaus. Unterhalb der Zifferblätter befinden sich alternde, eherne Beschriftungsschilder. Darauf ist nichts zu lesen oder zu sehen. Haben wir es vielleicht mit einem zweckfreien Denkmal zu tun? Es dürfte wenige Plätze geben in Berlin, über die so viele Touristen flanieren, beeindruckt von der Schönheit des steinernen Ensembles. Alle sehen diese Uhr.

Genauso ist es, mag man sich im Berliner Senat denken. Indes, es sind Touristen. Die sehen sie nur einmal und dürften sich denken: Morgen wird sie repariert, so muss es sein bei den ordentlichen, den tüchtigen Deutschen. Pustekuchen! Sie sind in Berlin. Wenn sie in zwei oder drei Jahren mit ihren nun größer gewordenen Enkeln wieder kommen, steht die Uhr immer noch, wird an der Oper immer noch gebaut und ihr Flugzeug ist immer noch in Tegel und nicht auf dem neuen Großflughafen Schönefeld gelandet. Die Frage, wer für die Uhr auf dem Bebelplatz zuständig ist, läuft ins Leere. Ebenso wie die Frage, wer für das Desaster in Schönefeld verantwortlich ist. Niemand ist verantwortlich. Dafür zu sorgen, dass niemand verantwortlich ist, das haben die Berliner aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt. Da sind sie inzwischen ganz sicher geworden. Ist doch gleichgültig, ob das Ding läuft oder nicht, sagen die Politiker, wir werden trotzdem gewählt. Die Probleme, die man in Hamburg mit der Elbphilharmonie hat, sehen sie als Bestätigung. Na bitte, dort ist es nicht anders als bei uns. Und das ist auch gut so.

Man könnte an der Uhr einen Spruch anbringen: „Wanderer, kommst du nach Sparta, berichte dorten, du habest mich stehen gesehen, wie der Senat es empfahl.“

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